» Blinde schwimmen gegen Bundesteilhabegesetz
» Sozialforscher fordert Umverteilung statt Mitleidsökonomie
» Bundeskabinett beschließt neuen Hartz-IV-Regelsatz
» Jede zweite Bürgerstiftung setzt sich Flüchtlinge ein
» Jedes fünfte in Deutschland geborene Kind hat ausländische Mutter
» Dicke Menschen werden ausgegrenzt

Demonstration

Blinde schwimmen gegen Bundesteilhabegesetz




Blinde protestierten unter dem Motto "Wir gehen baden" vor dem Reichstag gegen das Bundesteilhabegesetz.
epd-bild/Rolf Zöllner
Blinde und sehbehinderte Menschen sind aus Protest gegen das geplante neue Bundesteilhabegesetz vor dem Berliner Reichstag in die Spree gesprungen. "Es ist kalt, wenn man sich mit der Zukunft beschäftigt, die das Teilhabegesetz möglicherweise für uns vorsieht", sagte Andreas Bethke, Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands.

An der Aktion in der Bundeshauptstadt am Mittwoch beteiligten sich 14 blinde und sehbehinderte Menschen. Sie schwammen mit jeweils einem Begleiter bei etwa 20 Grad im Wasser. Bethke warnte, künftig müsse man sich vor den Behörden als behinderter darstellen, als man eigentlich sei, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Auch bei den Bildungschancen würden sehbehinderten Menschen mit dem neuen Gesetz "Steine in den Weg gelegt", gerade wenn es um qualifizierte Bildungsabschlüsse gehe.

"Wenn Menschen durch eine Behinderung benachteiligt werden, muss der Staat Geld in die Hand nehmen und diese Nachteile mit sogenannten Teilhabeleistungen ausgleichen", erklärte der Blinden- und Sehbehindertenverband. Zudem verlangt er eine bundeseinheitliche Lösung für das Blindengeld. Diese sei bislang eine freiwillige Leistung der Bundesländer und falle dazu noch unterschiedlich hoch aus.

Unterstützung erhielten die Schwimmer von der Opposition im Bundestag. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte, das Bundesteilhabegesetz in seiner jetzigen Form bedeute "einen Rückschritt bei allem, was Gleichberechtigung und gleiche Möglichkeiten angeht". Es müsse geändert werden, damit die freie Wahl bestehe, wie oder wo jemand leben wolle. Auch Kathrin Werner von den Linken betonte: "Man kann nur hoffen, dass viel, viel an diesem Gesetz geändert wird."

Hubert Hüppe von der CDU erklärte, das Bundesteilhabegesetz erfülle in seiner jetzigen Form nicht das, was es vorher versprochen habe. Es dürfe nicht nur ums Geld gehen, sondern auch darum, dass es in die richtigen Strukturen fließe. Bislang gingen immer noch über 80 Prozent des Geldes an Einrichtungen und nicht an die Menschen selbst, kritisierte der Bundestagsabgeordnete. Dies müsste sich mit einem "vernünftigen Bundesteilhabegesetz" ändern.



 
 

Armut

Sozialforscher fordert Umverteilung statt Mitleidsökonomie



Der Essener Bildungs- und Sozialforscher Fabian Kessl fordert mit Blick auf immer mehr Hilfsangebote für arme Menschen in Deutschland eine Diskussion über eine Umverteilung des Wohlstands. Eine zunehmende Zahl von Menschen sei auf Spenden angewiesen, sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das Almosengeben erlebt eine neue Konjunktur." Dies sei aber auf Dauer keine Perspektive. Kessl leitet die zweitägige internationale Tagung "Die neue Mitleidsökonomie", die am Donnerstag und Freitag an der Universität Bielefeld stattfindet.

Als Ursache für die wachsende Zahl armer Menschen sieht Kessl auch eine gesellschaftliche Entwicklung, "die eine massive Konzentration von Vermögen bei ganz Wenigen mit sich bringt". Die Angebote der Mitleidsökonomie seien zwar als Nothilfe sinnvoll, aber sie lösten das Problem der Armut nicht. "Ohne eine Diskussion über Umverteilung werden wir da nicht weiterkommen."

Es habe sich in den vergangenen Jahren eine neue Qualität von Armutslinderung etabliert, stellte Kessl bei der Befragung von knapp 850 karitativen Angeboten in 45 Kommunen fest. "Denn historisch betrachtet gab es Kleiderkammern oder Suppenküchen früher nur im Bereich der Nothilfe, vor allem für Menschen, die auf der Straße gelebt haben." Inzwischen müssten aber vielfach auch berufstätige Menschen armutslindernde Angebote in Anspruch nehmen. "Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ein Job so viel Geld einbringt, dass Menschen davon ihren Lebensunterhalt bestreiten können."

80 Prozent der Angebote wie Tafeln, Sozialkaufhäuser oder Kleiderkammern seien erst in den vergangenen 20 Jahren entstanden, erklärte der Sozialwissenschaftler. "Es ist ein Phänomen, das wir in dieser Quantität und Qualität bislang nicht hatten." So seien die Tafeln erst Mitte der 90er Jahre entstanden. Heute versorgten die knapp 1.000 Tafeln aber täglich zwei Millionen Bedürftige mit Nahrungsmitteln.

Das Problem sei, dass sich das System der Mitleidsökonomie zunehmend etabliert habe, kritisierte Kessl. Wohlfahrtsverbände hätten politische Akteure immer wieder darauf hingewiesen, dass es eigentlich ein Skandal sei, wie viele Menschen auf Spenden zur Existenzsicherung angewiesen seien. "Nur hat das bislang nicht dazu geführt, dass massiv in Armutsbekämpfung investiert wurde." Eine Möglichkeit, die Diskussion anzustoßen, sei, die Tafeln oder Suppenküchen einmal symbolisch zu schließen, schlug Kessl vor.


 
 

Armut

Bundeskabinett beschließt neuen Hartz-IV-Regelsatz



Der Hartz-IV-Regelsatz soll im nächsten Jahr leicht steigen. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch die Erhöhung um fünf Euro auf dann 409 Euro pro Monat. "Wir passen die Leistungen an das an, was Geringverdiener im Monat zur Verfügung haben und ausgeben", erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Das sichere das Nötige zum Leben.

Deutlicher steigen nach Angaben des Ministeriums die Leistungen für Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren. Sie sollen ab 1. Januar 291 statt bisher 270 Euro bekommen. Sozialverbände hatten den neuen Regelsatz für Erwachsene als zu gering kritisiert. Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte einen Satz in Höhe von 520 Euro, die Diakonie von 556 Euro.

Ebenfalls angepasst werden mit Beschluss des Kabinetts die Leistungen für Asylbewerber. Bei ihnen sollen Strom und Wohnungsinstandhaltung, die bislang von den bezogenen Geldleistungen bezahlt werden müssen, künftig als Sachleistungen erbracht werden. Der Leistungssatz sinkt damit für alleinstehende Asylbewerber von derzeit 354 auf 332 Euro, bei Paaren auf 299 (318).

Zusätzlich eingeführt wird ein Ehrenamts-Freibetrag für Asylbewerber. Engagieren sie sich beispielsweise in Vereinen, dürfen sie künftig eine Pauschale von bis zu 200 Euro im Monat erhalten, ohne dass der Betrag auf die Sozialleistungen angerechnet wird.



 
 

Engagement

Jede zweite Bürgerstiftung setzt sich Flüchtlinge ein



Mehr als jede zweite Bürgerstiftung in Deutschland engagiert sich für geflüchtete Menschen. Jede fünfte Bürgerstiftung hat in den vergangenen zwei Jahren ihren Schwerpunkt auf die Flüchtlingsarbeit gelegt, wie die Stiftung Aktive Bürgerschaft anlässlich der Vorstellung des aktuellen Bürgerstiftungsreports am Mittwoch in Berlin mitteilte.

Bundesweit gebe es derzeit 400 Bürgerstiftungen, in denen fast 50.000 Bürger aktiv sind. Sie alle unterstützten das lokale Gemeinwesen in einer bestimmten Stadt oder Region. In der Flüchtlingsarbeit leisteten die Bürgerstiftungen dabei einen besonderen Beitrag, denn sie vernetzten vielerorts die lokale Zusammenarbeit und das Engagement, betonte der Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft, Stefan Nährlich.

Die ersten Bürgerstiftungen wurden den Angaben zufolge vor 20 Jahren 1996 und 1997 in Gütersloh und Hannover gegründet. Vorbild waren die angelsächsischen Community Foundations.

Das gemeinsame Stiftungskapital der Bürgerstiftungen beträgt den Angaben zufolge derzeit über 330 Millionen Euro. 80 Prozent davon kamen im Laufe der Zeit durch Zustiftungen dazu. Seit 2005 stellten die 400 Bürgerstiftungen mehr als 100 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung.


 
 

Migration

Jedes fünfte in Deutschland geborene Kind hat ausländische Mutter



Rund 20 Prozent der 2015 in Deutschland geborenen Babys haben eine ausländische Mutter. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte, kamen im vergangenen Jahr insgesamt 738.000 Kinder auf die Welt. Etwa 590.000 haben eine deutsche Mutter, rund 148.000 eine Mutter mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Zwischen 1996 und 2014 lag der Anteil der Neugeborenen mit nichtdeutscher Mutter stabil bei 17 bis 18 Prozent.

Den Angaben zufolge stieg die Zahl der Geburten im Vergleich zum Jahr 2014 insgesamt um 22.650. Dazu trugen vor allem Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei (plus 17.280) bei.

Der Geburtenanstieg des Jahres 2015 unterscheidet sich damit deutlich von dem des Vorjahres, wie die Statistiker ausführten. 2014 wurden rund 33.000 Kinder mehr als im Vorjahr geboren. Zu dieser Geburtenzunahme hatten mit 22.000 Babys in erster Linie Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit beigetragen.

Die meisten ausländischen Mütter sind Türkinnen: Etwa 21.600 im vergangenen Jahr geborene Babys wurden von Frauen mit türkischem Pass geboren. Auf Platz zwei folgen polnische Mütter, die 10.800 Babys in Deutschland zur Welt brachten. Besonders stark war der Anstieg neugeborener Kinder von Syrerinnen, deren Zahl sich von 2.300 auf 4.800 mehr als verdoppelte.


 
 

Studie

Dicke Menschen werden ausgegrenzt



Fettleibige Menschen werden laut einer Studie in Deutschland häufig ausgegrenzt. Jeder Achte vermeidet bewusst Kontakt zu Betroffenen, 71 Prozent der Bevölkerung finden stark Übergewichtige unästhetisch, wie die DAK-Gesundheit am Mittwoch in Berlin mitteilte. Die Krankenkasse, die die Studie in Auftrag gegeben hat, will nun eine Aufklärungskampagne starten, um "die verbreiteten Vorurteile gegenüber Betroffenen zu entkräften". DAK-Vorstand Thomas Bodmer sagte: "Adipöse Menschen haben in unserer Gesellschaft ein schweres Los. Sie kämpfen gegen Pfunde und Vorurteile."

Nach der repräsentativen Forsa-Untersuchung glaubt die Mehrheit der Befragten, dass Fettleibige selbst schuld an den überflüssigen Pfunden und zu faul zum Abnehmen seien. Dabei sei Adipositas, also starkes Übergewicht, eine Volkskrankheit, die durch viele Faktoren entstehe.

In Deutschland ist nach Angaben der Krankenkasse jeder vierte Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren stark übergewichtig, das sind 16 Millionen Menschen. Frauen und Männer seien gleichermaßen betroffen. Der Anteil der Patienten mit extremer Adipositas (Body-Mass-Index über 40) hat sich nach den Angaben im Zeitraum 1999 bis 2013 mehr als verdoppelt. Adipositas gilt als Auslöser für mehr als 60 Begleiterkrankungen.

Fettleibige Menschen leiden hierzulande aber nicht nur gesundheitlich. Sie hätten auch mit Vorurteilen zu kämpfen, etwa wenn es um mögliche Gründe für ihr starkes Übergewicht geht, so die DAK. So ist fast jeder Zweite (47 Prozent) der Meinung, dass Bewegungsmangel und vieles Sitzen schuld an Fettleibigkeit seien. 33 Prozent gaben falsche beziehungsweise ungesunde Ernährung an.

Wichtige gesundheitliche Gründe wie Stoffwechselstörungen oder genetische Disposition in der Öffentlichkeit seien hingegen in der Umfrage kaum genannt worden. "Mit einfachen Schuldzuweisungen Betroffenen gegenüber kommen wir nicht weiter", nahm Claudia Luck-Sikorski, Professorin für Psychische Gesundheit und Psychotherapie an der Hochschule für Gesundheit in Gera, Übergewichtige in Schutz: "Ausgrenzung und Stigmatisierung verschlimmern ihre Lage."