sozial-Branche

Behinderung

Lilie: Teilhabe-Einigung ist "Schritt in die richtige Richtung"




Ulrich Lilie
epd-bild/Norbert Neetz
Die evangelische Diakonie hat die Einigung der Regierungskoalition auf ein Bundesteilhabegesetz begrüßt. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Diakoniepräsident Ulrich Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Neuregelungen, die Behinderten ein eigenständigeres Leben ermöglichen sollen, seien "für die große Mehrzahl der betroffenen Menschen eine große Erleichterung". Der Diakoniechef stellte sich den Fragen von Thomas Schiller.

epd sozial: Die Regierungskoalition hat sich nach langem Ringen auf Eckpunkte für das Bundesteilhabegesetz geeinigt, um die Menschen mit Behinderungen mehr Möglichkeiten für ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Dazu sollen die Freibeträge für Vermögen und Einkommen stufenweise angehoben werden. Reichen die von der Regierung vorgesehenen Summen aus?

Ulrich Lilie: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und für die große Mehrzahl der betroffenen Menschen eine große Erleichterung.

epd: Was soll das geplante Bundesteilhabegesetz aus Sicht der Diakonie bringen?

Lilie: Wenn mit dem neuen Gesetz endlich die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umgesetzt wird, erwarten wir eine Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts der Menschen mit Behinderung. Sie wollen mitten in der Gesellschaft leben und an ihr teilhaben - und das muss durch die neue Eingliederungshilfe ermöglicht werden..

epd: Wo sehen Sie Schwierigkeiten in der Umsetzung?

Lilie: Das anspruchsvolle Ziel der Inklusion wird verfehlt werden, wenn nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Bund beteiligt sich zwar künftig an der Finanzierung der Leistungen, aber nur in sehr beschränktem Umfang. Die Kommunen bzw. die Länder wollen mit demselben Gesetz ihre Kosten für die Eingliederungshilfe begrenzen. Das ist Quadratur des Kreises. Hier muss sich mindestens eine Seite noch bewegen.

epd: Wenn Menschen mit Behinderungen künftig stärker selbst über das Budget für ihre Betreuung verfügen können: müssen dann insbesondere große diakonische Einrichtungen wie Bethel oder Alsterdorf damit rechnen, künftig mit weniger Mitteln zu wirtschaften?

Lilie: Dass Menschen über das ihnen zustehende Budget verfügen können, ist eine gute Sache. Sie können selbst bestimmen, welche Angebote und Assistenzleistungen sie in Anspruch nehmen wollen. Gerade die großen diakonischen Einrichtungen haben ihre Angebote schon so weiterentwickelt, dass sie das selbstbestimmte Leben im Quartier unterstützen. Das geplante Bundesteilhabegesetz wird jedoch für viele Menschen mit erheblicher Behinderung nicht zu mehr, sondern zu weniger Selbstbestimmung führen. Denn es werden vielen Leistungen nur über Pauschalbeträge finanziert werden - oder nur, wenn die Leistungen gemeinsam in Anspruch genommen werden. Der gewünschten Individualisierung des Lebens sind so weiterhin sehr enge Grenzen gesetzt. Hier stehen wir mit der Politik noch in sehr kritischer Auseinandersetzung: Die neue Eingliederungshilfe muss eben tatsächlich personenzentriert sein. Und: Menschen mit erheblicher Behinderung dürfen nicht vorrangig auf Leistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden.

epd: Wie sollen diese Einrichtungen reagieren?

Lilie: Für die diakonischen Einrichtungen und Dienste wird es in den nächsten Jahren extrem anspruchsvolle administrative Veränderungen geben. Sie müssen ihr Leistungsangebot rechnerisch aufspalten und es mit verschiedenen Kostenträgern aushandeln und abrechnen: Die Kosten der Unterkunft werden getrennt von den Fachleistungen der Eingliederungshilfe und auch die Pflegeversicherung wird eine größere Rolle spielen. Es wird weiterhin Angebote "aus einer Hand" geben, aber des besteht das Risiko, dass bei der Umstellung der Rotstift der Kostenträger zu erheblichen Qualitätsverlusten führt.

Der Referentenentwurf schießt beim Thema Kostenbegrenzung weit über das legitime Ziel hinaus. Er gibt den Kostenträgern Instrumente in die Hand, die aus Sicht der Diakonie Deutschland nicht akzeptabel sind. Zum Beispiel: der externe Vergleich mit dem unteren Drittel der vergleichbaren Angebote. Hier wird eine Abwärtsspirale der Vergütung in Gang gesetzt, der die Qualität der Behindertenhilfe auf Dauer absenkt und vor allem für viele kleine Träger das Aus bedeuten wird.

epd: Stärkt das neue Gesetz den Wettbewerb zwischen Trägern?

Lilie: Unterschiedliche diakonische Träger werden vor Ort zukünftig stärker mit ihren verschiedenen Angeboten begegnen. Das erfordert einen neuen Umgang mit der Konkurrenz. Die Zeiten, dass Zuständigkeiten territorial abgesteckt waren, sind in der sozialen Arbeit aber schon lange vorbei, und das ist auch gut so.


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