Ausgabe 31/2016 - 05.08.2016
Berlin (epd). Kostenlos und anonym ist das Therapieangebot, das das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" pädophilen Männern macht. Fast 6.420 haben sich bis zum Frühjahr 2016 an die Anlaufstellen in elf Städten gewendet. Allein in Berlin am Sexualwissenschaftlichen Institut der Charité waren es in den vergangenen zehn Jahren mehr als 2.300. Wie viele Übergriffe auf Kinder und Jugendliche dadurch verhindert wurden, weiß niemand.
Aber der Leiter des Instituts und Gründer des Netzwerks, Klaus Michael Beier, ist überzeugt, dass Prävention der einzige Schutz für die potenziellen Opfer ist. Bundesweit haben in den vergangenen Jahren 550 Männer eine Therapie angefangen, zwei Drittel hielten durch. Sie müssen lernen mit ihrer pädophilen Neigung zu leben, ohne übergriffig zu werden oder Missbrauchsdarstellungen - als Kinderpornografie bezeichnet - zu konsumieren.
Ein pädophiler Mann, der Verantwortung übernehme und sein Verhalten kontrolliere, könne auch Spitzenämter im Staat bekleiden, sagte Beier dem "Spiegel" auf dem Höhepunkt der Edathy-Affäre im Jahr 2014. Für einen Teil der Bevölkerung kam das einer Provokation gleich. Der SPD-Bundestagabgeordnete Sebastian Edathy hatte sich kinderpornografisches Material beschafft. Unterstützung erhielt Beier aber von der Politik.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, Prävention sei der beste Opferschutz und erhöhte noch im selben Jahr die Mittel für Beiers Projekt um 148.000 auf 535.000 Euro. Heute betragen sie 585.000 Euro. Ein Drittel geben die Berliner für die Koordination des inzwischen bundesweiten Netzwerks aus. Die meisten Anlaufstellen gibt es erst wenige Jahre. Seither steigen die Behandlungszahlen.
Doch die Arbeit steht nirgendwo auf sicheren Füßen. Die Landesregierungen fördern die Anlaufstellen jeweils nur für ein bis drei Jahre. Für die Berliner läuft die Finanzierung durch das Justizministerium Ende des Jahres aus. Ein klinisches Forschungsprojekt mit Jugendlichen wird vom Familienministerium noch bis März 2017 gesichert. Gegenwärtig kümmern sich nach Auskunft des Sprechers, Jens Wagner, fünf Therapeuten um die Patienten. Für eine klinische Forschung mit sexuell auffälligen Jugendlichen stehen vier Halbtagsstellen zur Verfügung.
Eine dauerhafte Absicherung sollte über das Gesundheitswesen erfolgen, meint Justizminister Maas. Seine Möglichkeiten der Projektförderung sind ausgeschöpft. Aber der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat einen Antrag des Präventionsnetzwerks auf Finanzierung als Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgung im April abgelehnt. Gesetzlich ist eine Förderung als Modellvorhaben bis zu acht Jahre möglich, um zu prüfen, ob neue Therapien Kassenleistungen werden können.
GKV-Spitzenverbands-Vorstand Gernot Kiefer argumentierte, Kriminalprävention gehöre nicht zum Aufgabenspektrum der Krankenversicherung, sondern müsse aus Steuergeldern finanziert werden. Das könnten die Krankenkassen auch anders sehen, denn laut Weltgesundheitsorganisation ist Pädophilie eine behandlungsbedürftige Störung.
Beim Bund und beim Berliner Senat wiederum ist wenig darüber zu erfahren, wie denn dann die Weiterführung der preisgekrönten und hochgelobten Präventionsarbeit gesichert werden soll. Das Bundesgesundheitsministerium erklärt, das Projekt sei der Regierung "ein wichtiges Anliegen". Über die Weiterführung liefen derzeit Gespräche innerhalb der Bundesregierung. Gespräche laufen auch im Berliner Senat. Sie würden "noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen" heißt es aus der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD).
Müller und sein Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) haben Beier mehrfach ihre Unterstützung zugesichert. Doch im Berliner Doppelhaushalt für dieses und das kommende Jahr ist kein Cent für das Projekt eingestellt, wie Heilmanns Sprecherin bestätigt. Der Justizsenator verhandele mit dem Gesundheitsressort und den Ressorts für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie Finanzen darüber, wo das Geld herkommen könne. Die Sprecherin von Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) ergänzt, es gebe den "politischen Willen, das Projekt zu unterstützen".
Das hören Beier und seine Mitarbeiter nicht zum ersten Mal. Kommen die Finanzierungszusagen nicht bald, sind die Therapieplätze in Berlin sowie die Koordination des gesamten Netzwerks gefährdet.