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Haft

Sozialprojekte ersparten Straftätern das Gefängnis




Sozialarbeiter Falk Pieper betreut in Wuppertal das Projekt "Schwitzen statt Sitzen".
epd-bild/Uwe Möller
Wenn Straftäter Geldstrafen für kleinere Vergehen nicht bezahlen können, müssen sie ins Gefängnis. Das kann sie noch tiefer in die Abwärtsspirale stürzen. Das Projekt "Schwitzen statt Sitzen" will das verhindern.

Es waren zwei Schicksalsschläge, die den 29-jährigen Marc aus der Spur brachten: Erst verlor der gelernte Zerspanungsmechaniker seine Arbeit, kurz darauf seine Wohnung. Dann wurde er straffällig. Für den Diebstahl eines Tablet-Computers sollte er 600 Euro Strafe zahlen. Marc hatte das Geld nicht und hätte deshalb eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen. Dann aber fand er einen Weg, die Haft zu umgehen: Mit Hilfe des Sozialprojekts "Schwitzen statt Sitzen" leistete er die Geldstrafe auf einem Wuppertaler Sportplatz mit gemeinnütziger Arbeit ab.

Schon seit 1997 haben straffällig gewordene Menschen in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, bei kleineren Delikten Geldstrafen mit gemeinnütziger Arbeit zu begleichen, wenn sie die zu zahlende Summe nicht aufbringen können. Denn ob Schwarzfahren oder Ladendiebstahl - wer zum Beispiel 30 Tagessätze à zehn Euro nicht zahlen kann, muss dafür alternativ rund einen Monat ins Gefängnis. Doch eine solche vierwöchige Ersatzhaft kostet den Steuerzahler etwa 3.000 Euro.

Beide Seiten profitieren

Von "Schwitzen statt Sitzen" profitieren daher das Land und die betroffenen Straftäter gleichermaßen. Pro Jahr sitzen im Schnitt 35.000 Häftlinge in den NRW-Gefängnissen ein, davon etwa 6.000 wegen minderschwerer Delikte. Allein im Vorjahr konnten mit Hilfe des Projekts gut 54.000 Hafttage vermieden werden. Bei angesetzten Kosten von rund 120 Euro pro Tag und Häftling sparte das Land 6,5 Millionen Euro, rechnet das Düsseldorfer Justizministerium vor, das das Projekt in NRW initiierte.

Auch in anderen Bundesländern wie Niedersachen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es "Schwitzen statt Sitzen". Ausgeweitet und bundesweit flankiert wurde diese Form des Strafvollzuges 2010. Damals hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) eine entsprechende Reform angeregt, nach der Täter eher gemeinnützige Arbeit leisten sollten, statt hinter den Mauern einer ohnehin überfüllten Vollzugsanstalt zu verschwinden. Dasselbe soll bei kleineren Straftaten gelten: Statt zu einer Haftstrafe von bis zu einem halben Jahr kann der Richter Angeklagte - etwa notorische Ladendiebe - auch zum Müllsammeln im Park verurteilen.

Zypries gab Gerichten Alternativen an die Hand

Zypries setzte sich über die Bedenken vor allem aus der Union hinweg: Sie schrieb den Richtern das Schwitz-Prinzip nicht zwingend vor, sondern gab den Juristen eine Alternative zur Verhängung der Haftstrafe an die Hand.

Inzwischen sind in NRW zehn soziale Träger angeschlossen. Die evangelische Kirche unterstützt das Projekt seit September 2015, die katholischen Bistümer schlossen im Juni eine Kooperationsvereinbarung mit dem Justizministerium. Die Träger bekommen von den Staatsanwaltschaften Klienten zugewiesen und vermitteln diese in gemeinnützige Beschäftigungen - zum Beispiel auf Sportplätzen oder in Tierheimen. Insgesamt zahlt das Land für das Projekt 400.000 Euro jährlich an die Träger - ein Bruchteil der Einsparungen durch Haftvermeidung.

Für die straffällig Gewordenen wiederum ist die gemeinnützige Arbeit ein Schutz davor, noch tiefer in die Abwärtsspirale zu rutschen, sagt NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD): "Durch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen werden Verurteilte unnötig aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen." Die gemeinnützige Arbeit sei damit auch eine "Maßnahme der sozialen Integration".

Ähnlich sieht das auch Sozialarbeiter Falk Pieper. Er betreut in der diakonischen Einrichtung Wichernhaus in Wuppertal "Schwitzen statt Sitzen" für den Landgerichtsbezirk Wuppertal. "Das Projekt hat für die Betroffenen nur Vorteile", betont er. Etwa 700 Klienten vermittelt er pro Jahr in gemeinnützige Tätigkeiten.

Es fehlt an ausreichend Personal

Doch gerade weil das Projekt schon seit Jahren so gut läuft, ist Pieper auch unzufrieden - was nur scheinbar ein Widerspruch ist. Er betreut das Projekt alleine mit einer 30-Stunden-Stelle. Für intensive Gespräche und tägliche Besuche auf den Einsatzstellen fehlt ihm zunehmend die Zeit. Dieses Problem hätten auch viele seiner Kollegen bei den anderen Trägern, berichtet Pieper und betont: "Eine volle Stelle und eine Verwaltungskraft zusätzlich kosten nicht viel im Vergleich zu dem, was die Landesregierung dann noch zusätzlich sparen könnte."

Denn obwohl das Land den Etat im Vorjahr gegenüber 2014 auf 400.000 Euro verdoppelte, hat Pieper für seine Vermittlungsarbeit seit Jahren unverändert 40.000 Euro jährlich zur Verfügung. Der Grund: Mit der erhöhten Landessumme ging auch eine gestiegene Zahl von sozialen Trägern einher. "Unterm Strich bleiben wir unterfinanziert", bilanziert Pieper.

Ungeachtet dessen ist für Menschen wie den 29-jährigen Marc das Projekt ein persönlicher Segen: "Ich glaube, der Knast hätte mir den Rest gegeben", sagt er. "Die gemeinnützige Arbeit sehe ich jetzt als meine Chance auf einen Neuanfang."

Frank Bretschneider

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