Ausgabe 38/2016 - 23.09.2016
Bad Urach (epd). Wenn der Führbügel hoch gestellt ist, beginnt für Blindenhündin Lara die Arbeit. Hochkonzentriert führt sie ihr Herrchen Jürgen Viesel, der Fachgruppenleiter für Führhundhalter beim Blinden- und Sehbehindertenverband Württemberg (BSVW) ist. Sie warnt ihn vor Hindernissen oder sucht einen Platz im Bus. Seit zehn Jahren sind die beiden ein Team. Lara ist sein Wegweiser auf vier Pfoten.
Nicht jeder Hund kann Blindenhund werden. Ausgeglichen und gehorsam müssen die Tiere sein, aggressiv oder ängstlich dürfen sie nicht sein. Viesel entschied sich für einen Labrador, die als gutmütig gelten. Das Tier wurde schon im Alter von acht Wochen aus seinem Wurf herausgenommen und verbrachte ein Jahr bei einer Patenfamilie.
Danach folgte eine sechsmonatige, anspruchsvolle Ausbildung. Kommandos wie "Komm", "Geh voran" oder "Zeige den Weg" beherrscht sie seitdem, auch rechts und links kann sie unterscheiden. Ruhig zu bleiben, wenn Kranken- oder Polizeiwagen mit Sirene vorbeirasen, gehörten außerdem zum Training. Die ersten Blindenhunde wurde in Oldenburg ausbildet - und zwar vor genau 100 Jahren.
Auch Viesel nahm Unterricht, drei Wochen lang. Er musste lernen, das Tier zur führen. In einer weiteren Woche wurde erprobt, "ob die Chemie zwischen uns stimmte". Denn für den Besitzer ist die Beziehung zu seinem Blindenhund "wie eine menschliche Partnerschaft"; mittlerweile habe sich eine enge Verbindung entwickelt.
In seiner Heimatstadt Bad Urach ist auch Viesels Arbeitsstelle. Eine halbe Stunde dauert der Fußweg, den der Bürokaufmann täglich geht. Lara erkennt dabei Barrieren wie etwa eine Mülltonne oder eine Pfütze - die für einen Hund eigentlich kein Problem darstellen. Lara denkt aber für ihr Herrchen mit. In beiden Fällen stellt sich die Hündin quer. "Ich stoße an ihr an und weiß dann, dass ich einen anderen Weg suchen muss", erklärt Viesel. Bleibt Lara dagegen gerade stehen, heißt das: Hier ist eine Treppe.
Mit dabei hat Viesel zwar stets den Blindenstock. Besser sei jedoch der Hund. Die Gründe seien, "dass ich dann frei laufen kann und mich weniger konzentrieren muss. Das ist bequemer", erläutert er. Allerdings können Blindenhunde nicht alle Gefahren bannen. Dazu gehören rote Ampeln, denn Hunde sind farbenblind. "Dann muss ich mich am Verkehrslärm orientieren oder an den Blindenampeln mit Piepton", sagt Viesel.
Lara ist Viesels ständiger Begleiter. Im Theater, Restaurant oder Krankenhaus darf sie unter anderem dabei sein. "Im Flugzeug bekommt der Hund sogar extra einen Sitz reserviert. Lara sitzt dann zwischen mir und meiner Frau Gina", erzählt er. Nur ein Ort ist Tabu: die Rolltreppe. "Hunde könnten sich hier die Pfoten verletzten. Sie lernen schon in der Ausbildung, diese Rolltreppen zu meiden und eine Alternative zu suchen", sagt der 45-Jährige.
Viesel sieht auf einem Auge gar nichts mehr, das zweite Auge hat noch eine Sehkraft von zwei Prozent. Seit 35 Jahren ist das so. "Ich kann nur hell und dunkel bis zu zwei Meter Entfernung erkennen", berichtet er. Für dieses Leben in Dunkelheit ist er also auf den Blindenhund angewiesen, der in der Anschaffung zwischen 25.000 und 30.000 Euro kostet: Rund 20.000 Euro übernimmt die Krankenkasse.
Fressen oder sich streicheln lassen sind beispielsweise Dinge, die Lara während ihres Einsatzes nicht machen darf. Doch sie ist nicht rund um die Uhr die hochkonzentrierte Beschützerin. "Klar, es gibt einen Dienstschluss", wie es Viesel beschreibt und auch gleich demonstriert, wie das aussieht: Er lässt den Führbügel fallen. "Dann geht gar nichts mehr", betont er.
Dazu kommt, dass Lara, die zehn Hundejahre oder 82 Menschenjahre alt ist, nächstes Jahr in Pension geht. Sie bleibt bei Viesel, und ein zweiter Blindenhund kommt dazu.