sozial-Branche

Medizin

Brustkrebs

Eine Behinderung wird zur Begabung




Eine blinde Tastuntersucherin bei der Arbeit.
epd-bild/Annette Zöpf
Blinde Menschen haben einen besonders guten Tastsinn. Damit können sie Auffälligkeiten im weiblichen Brustgewebe erkennen - und so im besten Fall einem Brustkrebs vorbeugen. Viele Ärzte aber sind skeptisch.

Ein Umzug in eine fremde Stadt. Allein und mit einer Behinderung. Filiz Demir hat diesen Schritt vor zwei Jahren gewagt - von Marburg nach Duisburg. "Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Viele Freunde leben in Marburg. Aber ohne Job war ich dort nicht so glücklich", sagt die 41-Jährige. Ihre Arbeit hat sie 2010 verloren, in dem Jahr, in dem sie blind wurde. "Ich kann nur noch zwischen hell und dunkel unterscheiden."

"Man hat mir wenig zugetraut"

Demir ist gelernte Datenverarbeitungskauffrau und hat bis zu ihrer Erblindung in der Buchhaltung gearbeitet. Um sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden, lernte sie die Braille-Schrift und arbeitete mit Vorlesesoftware. So gerüstet versuchte sie wieder eine Anstellung im kaufmännischen Bereich zu finden - vergeblich: "Man hat mir wegen meiner Krankheit nicht genug zugetraut."

Also suchte Demir im Internet nach Umschulungen. Dort las sie zum ersten Mal über die Ausbildung zur Medizinischen Tastuntersucherin (MTU). Das Ausbildungsangebot richtet sich ausschließlich an blinde Frauen. Ihre Behinderung wird zur Begabung: Viele blinde Menschen haben einen feineren Tastsinn als Sehende. Als MTU untersuchen sie das Brustgewebe von Frauen auf auffällige Veränderungen. So sollen bösartige Tumore möglichst früh entdeckt und behandelt werden.

"Ich war mit der Qualität meiner eigenen Tastuntersuchung nicht zufrieden", sagt der Duisburger Frauenarzt Frank Hoffmann. Als er über eine Lösung nachdachte, fiel ihm der besondere Tastsinn blinder Menschen ein. Gemeinsam mit Berufsförderungswerken entwickelte er ein Ausbildungsprogramm. Die Berufsförderungswerke in Halle, Düren, Nürnberg und Mainz bieten die Ausbildung an: Auf sechs Monate Unterricht folgen drei Monate Praktikum. "Am Ende steht die Abschlussprüfung vor einer Ärztekammer", erklärt Hoffmann.

Eine Untersuchung für 46,50 Euro

Demir hat bei Hoffmann ihr Praktikum gemacht und ist geblieben. "Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen. Dadurch ist die Arbeit sehr befriedigend", sagt sie.

Am Ende der 30- bis 60-minütigen Untersuchung steht jedoch keine Diagnose. Demir gibt ihren Befund an den Arzt weiter, der entscheidet über weitere Schritte. "Darum kann das als ärztliche Leistung abgerechnet werden", sagt Hoffmann. Eine Untersuchung kostet 46,50 Euro. Zwölf Krankenkassen übernehmen die Kosten. Deutschlandweit arbeiten derzeit gerade einmal etwa 30 Frauen als MTU. Einige Frauen nähmen deshalb teilweise weite Wege in Kauf, um zu einer Untersuchung zu kommen, erzählt Hoffmann.

Solche Untersuchungen könnten dazu beitragen, das Bewusstsein der Frauen für ihre Brustgesundheit zu verstärken, sagt Walter Heindel, Professor am Universitätsklinikum in Münster. Ansonsten spreche die Datenlage gegen Tastuntersuchungen: "Große randomisierte Studien haben gezeigt, dass beispielsweise die Brustselbstuntersuchung nicht nützlich ist. Auch für die routinemäßige Tastuntersuchung beim Gynäkologen ist die Evidenz nicht gegeben." Die Deutsche Gesellschaft für Senologie empfiehlt sie daher nicht.

Kritik an Tastuntersuchungen

Auch wenn Medizinische Tastuntersucherinnen zwar kleinere Gewebeauffälligkeiten entdeckten, wie eine erste Studie nahelegt, heißt das nicht, dass in der Folge automatisch die Sterberate sinke, erklärt Heindel. Der Duisburger Frauenarzt Hoffmann kennt die Kritik und verweist auf eine Studie, die in absehbarer Zeit erscheinen soll. "Wir wollen beweisen, dass die Medizinischen Tastuntersucherinnen einen Mehrwert liefern."

Ein anderes Problem hat er bereits gelöst: Trotz positiver Resonanz wollten nur wenige Praxen und Kliniken die blinden Frauen anstellen. "Das Kündigungsschutzgesetz für Menschen mit Behinderung ist streng, so dass viele diesen Schritt nicht gewagt haben", sagt Hoffmann. Deshalb hat der Frauenarzt das Sozialunternehmen "Discovering Hands" gegründet. "In Zukunft wird Discovering Hands alle Medizinische Tastuntersucherinnen einstellen. Wir vermitteln sie dann an Arztpraxen", erklärt Hoffmann.

Christiane Meister-Mathieu

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