sozial-Politik

Gastbeitrag

Reichtum

Verkehrte Welt der Erbschaftssteuer




Andreas Mayert
epd-bild/Sozialwissenschaftliches Institut der EKD
Die Erbschaftssteuerreform greift nach Auffassung von Andreas Mayert vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD zu kurz. Er hält die extreme Ungleichheit bei der Vermögensverteilung in Deutschland für ethisch fragwürdig.

Nicht nur Vermögen scheinen von einer Generation an die nächste vererbt zu werden, sondern auch Reformen jenes Gesetzes, das diese Vermögensübertragungen regelt. 2014 hielt das Bundesverfassungsgericht bereits zum dritten Mal die deutsche Regelung der Erbschaftssteuer für nicht verfassungsgerecht und verlangte eine Neuregelung bis zum Juni 2016. Grund für die Entscheidung der Karlsruher Richter waren insbesondere Verschonungsregeln beim Erbe von Betriebsvermögen. Diese seien aufgrund ihres Ausmaßes nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar, weil sie dazu führen, dass Erben von Geld, Immobilien oder anderen Wertgegenständen weitaus höhere Steuern zahlen müssen als Betriebserben.

Eingriff in familiäre Entscheidungen

Da Betriebserbschaften im Regelfall den Wert der Vererbung von beispielsweise Eigenheimen oder Ersparnissen um ein Vielfaches übertreffen, zeigt sich bei der Steuerbelastung von Erbschaften eine verkehrte Welt. Während nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes auf Erbschaften von 100.000 bis 200.000 Euro im Jahr 2014 im Durchschnitt 14,6 Prozent Steuern zu zahlen waren, lag die Steuerbelastung von Erbschaften, die 20 Millionen Euro oder mehr betragen, bei 1,8 Prozent. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Ungleichbehandlung Gerechtigkeitsfragen aufwirft. Sie können allerdings sehr unterschiedlich beantwortet werden, greift der staatliche Zugriff auf Erbschaften doch tief in höchst private familiäre Entscheidungen ein.

So plädierte etwa die Autorin Laura Diaz in einem in der Beilage "Christ & Welt" der Wochenzeitung "Die Zeit" erschienenen Artikel mit der programmatischen Überschrift "Mein Erbe gehört mir" für eine völlige Abschaffung der Erbschaftssteuer. Denn nicht das Erben an sich sei ethisch falsch, sondern der staatliche Eingriff in die Familiensphäre und die Versteuerung von Geld, das bereits versteuert wurde.

Ganz ähnlich sieht es der belgische Ökonom und Sozialethiker Philippe Van Parijs, der als einer der prominentesten Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens alles andere als ein Befürworter von sozialer Ungleichheit ist. Er vertritt die Auffassung, dass das Vererben und Verschenken von Vermögen in der ansonsten von Eigennutz getriebenen Marktwirtschaft zu den wenigen Beispielen von Transfers gehören, deren Motive Sorge, Zuneigung oder Liebe sind. Diese sollten nicht durch Besteuerung entmutigt werden.

Doppelbesteuerung liegt nicht vor

Doch ganz so einfach kann man es sich bei einer ethischen Beurteilung der Besteuerung von Erbschaften nicht machen. Denn das schöne Bild der Vererbung von Vermögen als letzten großzügigen Akt eines Sterbenden zugunsten seiner Familie entspricht nicht immer der Realität, vor allem nicht bei der Vererbung von Betriebsvermögen. Diese werden häufig so über die Zeit mit Schenkungen kombiniert und auf die Erben verteilt, dass die Steuerbelastung möglichst gering bleibt. Hier scheint der Steuerberater eine mindestens ebenso große Rolle zu spielen wie die familiäre Bande.

Und auch das Argument der Doppelbesteuerung ist bei näherer Betrachtung nicht stichhaltig, denn besteuert wird nicht das Vermögen des Erblassers, sondern der Vermögenszugewinn des Erben. Mit der gleichen Argumentation könnte der Verkäufer einer Ware darauf pochen, sein dabei erzielter Gewinn dürfe nicht versteuert werden, weil die Ware mit dem bereits versteuerten Einkommen des Käufers bezahlt wurde.

Für die ethische Beurteilung von Erbschaften wohl noch wichtiger ist, dass die Vererbung insbesondere großer Vermögen zwei schwerwiegende Gerechtigkeitsfragen aufwirft. Erstens lässt sich kaum begründen, warum der mit Eigenleistung verbundene Erwerb von Vermögen - hauptsächlich in Form von Lohn- und Gewinneinkommen - besteuert werden sollte, der leistungslose Erwerb einer Erbschaft hingegen nicht oder mit weit geringeren Steuersätzen. Vielmehr widersprechen solche Regelungen nicht nur dem Grundsatz der Gleichbehandlung, sondern auch dem Leistungsprinzip, das für die Legitimation einer liberalen Marktwirtschaft - ob man es mag oder nicht - nun einmal von eminent wichtiger Bedeutung ist.

Erbschaft von mehr als 20 Millionen Euro

Die zweite Gerechtigkeitsfrage ergibt sich daraus, dass Erbschaften - spiegelbildlich zu Vermögen - in Deutschland ausgesprochen ungleich verteilt sind. Diese Ungleichheit wird noch dadurch verschärft, dass die in Deutschland erbschaftsrechtlich besonders begünstigten Betriebsvermögen noch ungleicher verteilt sind als die Vermögen allgemein.

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW aus dem Jahr 2011 besitzt das reichste Tausendstel der deutschen Bevölkerung - was ungefähr 80.000 Menschen entspricht - 22,4 Prozent des gesamten Nettovermögens und 75,7 Prozent des gesamten Betriebsvermögens. Die 50 Prozent ärmsten Deutschen - also 40 Millionen Menschen - besitzen hingegen 1,4 Prozent des Nettovermögens, und 80 Prozent der Deutschen - was 64 Millionen Menschen entspricht - besitzen keinerlei Betriebsvermögen. Diese Ungleichheit findet in der Verteilung der Erbschaften ihre Entsprechung.

Zwischen 2011 und 2014 erbten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland jahresdurchschnittlich 311 Personen bzw. 0,18 Prozent aller Erben 20 Millionen Euro oder mehr, vereinigten aber 40,1 Prozent des gesamten vererbten Vermögens auf sich. Auf der anderen Seite erbten in diesem Zeitraum jahresdurchschnittlich 124.000 Deutsche bzw. 72,8 Prozent aller Erben Vermögen von 200.000 Euro oder weniger, vereinigten aber nur 6,6 Prozent der gesamten Erbmasse auf sich. Daraus lässt sich schließen, dass die enorme Vermögensungleichheit in Deutschland durch die Ungleichheit des Vererbungsgeschehens perpetuiert wird. Bedenkt man nun noch, dass die effektive steuerliche Belastung von Erbschaften ab 20 Millionen Euro nur etwa ein Siebtel der Besteuerung von Erbschaften bis 200.000 Euro beträgt, wird die Ungleichheit sogar noch weiter verstärkt.

Ethisch nicht vertretbar

Für die dynastische Fortschreibung der bestehenden Vermögensungleichheit lässt sich kein ethisches Argument ins Feld führen, werden hiermit doch zugleich Lebenschancen ohne denkbare gerechtigkeitstheoretische Rechtfertigung von Generation zu Generation höchst ungleich verteilt. Und nicht nur das Leistungsprinzip der Marktwirtschaft wird auf diese Weise untergraben, es ist auch höchst ungesund, wenn zwar der Aufbau von Betriebsvermögen von unternehmerischem Geschick, Ehrgeiz und Talent abhängt, in späteren Generationen jedoch allein das Erbschaftsprivileg darüber entscheidet, wer über dieses Betriebsvermögen verfügt. Wenn der Staat diese Entwicklung über das Erbschaftssteuersystem sogar noch verschärft, lässt sich erst recht kein denkbares Gerechtigkeitsprinzip finden, das zur Begründung herangezogen werden könnte.

Oder doch? Das Bundesverfassungsgericht hat die Verschonungsregel bei der Vererbung von Betriebsvermögen in der jetzigen Form zwar abgelehnt, hält aber die Existenz einer solchen Vorgehensweise im Grundsatz nicht für verfassungswidrig. Die Begründung des Gerichts: Eine Verschonungsregel sei deshalb verfassungskonform, weil der wirtschaftliche Fortbestand von kleineren bis mittelgroßen Betrieben, die sich in Familienbesitz befinden, ansonsten nicht sichergestellt werden könnte.

Aus Gründen des Gemeinwohls und des Erhalts von Arbeitsplätzen müsse aber daran gelegen sein, dass der Eintritt eines Erbfalls nicht die wirtschaftliche Fortexistenz der betroffenen Betriebe gefährdet. Denn vererbt würden bei diesen Betrieben hauptsächlich Vermögensgegenstände, die für die Fortführung des Betriebs notwendig sind, nicht aber liquide Mittel, mit denen die Erbschaftssteuer bezahlt werden kann. Die Verschonung sei allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn der Betrieb tatsächlich so fortgeführt wird, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, wenn keine nicht für die Betriebsfortführung notwendigen Vermögensgegenstände im Betriebsvermögen versteckt werden und wenn der Erbempfänger über keine privaten Mittel verfügt, die Erbschaftssteuer ohne Rückgriff auf das Betriebsvermögen zu bezahlen.

Große Betriebsvermögen steuerfrei

Um die Regelung der zuletzt genannten Bedingungen drehte sich in den letzten beiden Jahren ein Hauptteil der politischen Diskussion. Die große Koalition hat sich nun für eine Reform entschieden, die das bisherige System weitestgehend beibehält und nur an einzelnen Stellschrauben dreht. So soll es nun nicht mehr möglich sein, Luxusgegenstände im Betriebsvermögen zu verstecken und steuerfrei mitzuvererben. Aber weiterhin bleibt die Vererbung und Verschenkung eines Betriebsvermögens bis zu 26 Millionen Euro steuerfrei. Steuerberater raten daher bereits dazu, höhere Vermögen - wie bisher schon - in Tranchen zu 26 Millionen über einen längeren Zeitraum an künftige Erben zu verschenken. Schon in der Vergangenheit wurde diese Vorgehensweise beispielsweise so genutzt, dass Teile des Vermögens an noch minderjährige Familienmitglieder übertragen wurden.

Liegt der Wert der Erbschaft zwischen 26 und 90 Millionen, haben Erben nun ein Wahlrecht, das ebenfalls zur Steuergestaltung einlädt. Entweder sie zahlen Erbschaftssteuer im Rahmen eines Abschlagsmodells, bei dem das verschonte - also steuerbefreite - Vermögen bis zum Übertragungswert von 90 Millionen langsam abschmilzt. Oder sie wählen den Weg einer Bedürftigkeitsprüfung, in dem sie nachzuweisen haben, ein wie großer Teil der Erbschaftssteuer aus ihrem Privatvermögen und der nicht zum Betriebsvermögen zählenden Erbmasse bestritten werden kann. Reicht beides nicht aus, können sie von der Steuer befreit werden. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber diese moderaten Verschärfungen des Erbrechts mit für die Erben großzügigen Abschlägen auf den Wert des vererbten Betriebsvermögens verbindet.

Mehr Schaden als Nutzen

Eine große Erbschaftssteuerreform sieht anders aus. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht auch die Neuregelung kippen wird, was allerdings Jahre in Anspruch nimmt, in denen weiterhin mit geringer Steuerbelastung vererbt werden kann. Ob diese Großzügigkeit für den Erhalt von kleineren und mittleren Unternehmen tatsächlich notwendig ist, bleibt fraglich. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat in einer 2012 durchgeführten Studie keinen einzigen Fall gefunden, in dem eine Betriebsinsolvenz auf die Erbschaftssteuer zurückgeführt werden konnte. Zudem gibt es andere Wege, den Erhalt eines Betriebes sicherzustellen, etwa großzügige Stundungsregeln bei der Erbschaftssteuer oder die Teilübertragung von Unternehmensbestandteilen an Dritte mit einer Rückkaufsoption.

Neben die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken tritt die Frage, ob sich die verkehrte Welt im Bereich der Erbschaftssteuer ethisch begründen lässt. Wie obige Ausführungen zeigen, ist das nicht der Fall. Es ist zwar richtig, dass der Staat nicht auf den weit überwiegenden Teil relativ geringer Erbschaften zugreifen sollte, bei denen familiäre Solidarität tatsächlich eine große Rolle spielt. Dass er aber im Ergebnis riesige Vermögensübertragungen effektiv geringer besteuert als solche "Normalerbschaften", forciert die Vermögensungleichheit in Deutschland, ist nicht leistungsgerecht und fügt der Marktwirtschaft mehr Schaden als Nutzen zu.

Andreas Mayert ist promovierter Sozialwissenschaftler und Diplom-Volkswirt. Seine Arbeitsschwerpunkte beim Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD sind Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie die Ökonomische Theorie sozialer Normen.

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