Ausgabe 06/2017 - 10.02.2017
Hannover, Dannenberg (epd). Der Streit um Abtreibungen in der Dannenberger Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik zeigt nach Ansicht des evangelischen Ethik-Experten Ralph Charbonnier, dass Schwangerschaftsabbrüche auch weiterhin nicht zu einer "geübten Routine" werden können und dürfen. Dies gelte sowohl für die betroffenen Frauen und Familien als auch für die Mitarbeitenden der Gesundheitsberufe, sagte der für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen zuständige Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst: "Abbrüche bleiben existenzielle, seelsorglich und ethisch hoch problematische Handlungen für alle Beteiligten."
Hintergrund ist die Entscheidung des neuen Chefarztes der Geburtshilfe der Klinik, Thomas Börner, in seiner Abteilung künftig keine Abtreibungen nach der Beratungsregelung mehr vorzunehmen. Er werde auch dem Kompromissvorschlag seines Capio-Mutterkonzerns nicht zustimmen können, Abtreibungen in seiner Abteilung durch andere Fachärzte oder Kooperationsärzte ausführen zu lassen, sagte Börner am Mittwoch dem epd. Gegebenenfalls werde er dafür persönliche Konsequenzen tragen.
Pastor Charbonnier sagte, hierbei handele es sich um ein ethisches und arbeitsrechtliches Problem zwischen Krankenhausträger und Abteilungsleitung. "Ich halte eine solche Anordnung eines Chefarztes für problematisch und ethisch nicht richtig, weil die Mitarbeiter, die ihm unterstellt sind, ja ebenfalls ein eigenes Gewissen haben. Es kann sein, dass manche genauso denken wie er, andere aber genau anders herum. Maßgeblich müssen die ethischen Leitlinien des Krankenhausträgers sein." Mitarbeitende dürften nicht gezwungen werden, sich allein an Vorgaben ihres Chefs zu halten, wenn Vorgaben der Krankenhausleitung anders lauteten.
Ärzte bereits bei ihrer Einstellung nach ihrer Haltung zu Abtreibungen zu befragen, hält Charbonnier allerdings für nicht praktikabel. Der Arzt sei allein seinem Gewissen verpflichtet und könne sich bei jedem einzelnen Fall neu entscheiden. "Es muss umgekehrt laufen: Ein Krankenhausträger muss für potenzielle Bewerber transparent machen, welche ethischen Leitlinien im eigenen Haus maßgeblich sein sollen."
Die grundsätzliche Haltung zu Abbrüchen liege in erster Linie bei den Krankenhausträgern, betonte Charbonnier. Während katholische Träger von der katholischen Kirche gehalten sind, Abtreibungen abzulehnen, werde dies von evangelischen Trägern unterschiedlich gehandhabt. Krankenhäuser in evangelischer Trägerschaft legten dann, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, besonderen Wert auf die seelsorgliche Begleitung und ethische Beratung der Frauen. Bei nicht-konfessionellen Kliniken würden Schwangerschaftsabbrüche zwar in Einzelfällen von Ärzten aus Gewissensgründen abgelehnt, aber in solchen Fällen von Fachkollegen im selben Haus durchgeführt, sagte der Experte.
Für ethisch problematisch halte er ein Vorgehen nach dem St. Florian-Prinzip einzelner Kliniken, die zum Beispiel selbst vorgeburtliche Diagnostik betrieben, sich dann aber weigerten, Schwangerschaftsabbrüche oder Spätabbrüche nach der 22. Schwangerschaftswoche vorzunehmen. "Es kann nicht sein, das Problem einfach auf andere Krankenhäuser zu verschieben." Die Krankenhausträger seien in solchen Fällen ethisch verpflichtet, sich mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens abzustimmen, damit die betroffenen Frauen Ansprechpartner auf ihrem Entscheidungsweg fänden.