Ausgabe 09/2017 - 03.03.2017
Berlin (epd). Die Zahl der armen Menschen in Deutschland hat laut Sozialverbänden einen neuen Höchststand erreicht. Wie aus einem am 2. März in Berlin vorgestellten Bericht von zehn Organisationen hervorgeht, lag die Armutsquote im Jahr 2015 bei 15,7 Prozent. 2014 betrug die Quote 15,4 Prozent. Dem Bericht zufolge leben damit rund 12,9 Millionen Menschen in Deutschland unterhalb der Einkommensarmutsgrenze. Die Sozialverbände und Opposition forderten eine politische Kehrtwende und mehr Einsatz für soziale Gerechtigkeit.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, sprach von einem neuen negativen Rekordwert seit der Wiedervereinigung. Er bezeichnete Berlin und das Ruhrgebiet als "armutspolitische Problemregionen". Im Zehn-Jahres-Vergleich sei die Quote in allen ostdeutschen Bundesländern mit Ausnahme Berlins gesunken, heißt es in dem Bericht. Gleichzeitig stieg die Quote in den westdeutschen Ländern. Ausnahmen sind Hamburg und Bayern.
Zudem kommen die Herausgeber des Berichts zu dem Schluss, dass die Armutsquote bei allen bekannten Risikogruppen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist. Bei Erwerbslosen liegt sie bei 59 Prozent, bei Alleinerziehenden bei 44 Prozent, bei kinderreichen Familien bei 25 Prozent. Schneider wies in diesem Zusammenhang auf die Lage der Rentner hin. Zwischen 2005 und 2015 stieg ihre Armutsquote den Angaben zufolge von 10,7 Prozent auf 15,9 Prozent.
Unterstützt wurden die Forderungen der Sozialverbände von der Opposition. "Es ist ein Skandal, dass in einem so reichen Land die Kinderarmut so wenig Aufmerksamkeit erhält und die Armut von Alleinerziehenden in den letzten 10 Jahren noch deutlich angewachsen ist", sagte die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Kinder in Familien mit niedrigem Einkommen müssten das erhalten können, was sie für gleiche Chancen in dieser Gesellschaft brauchen: "Wir fordern dafür faire Regelsätze, einen Kindergeld-Bonus und eine Kindergrundsicherung."
Dringend muss den Grünen zufolge auch etwas auf dem Wohnungsmarkt passieren: "Wir brauchen neuen Wohnraum und Mieten, die erschwinglich bleiben." Göring-Eckardt warb zudem für eine Garantierente, die Altersarmut verhindert.
Die Linke forderte eine radikale Umverteilung von "oben nach unten". "Es braucht ordentlich bezahlte Erwerbsarbeit, eine Aufwertung der frauentypischen Berufe, den Ausbau und die Demokratisierung von sozialer Infrastruktur und Dienstleistungen, eine Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen sowie eine solidarische Mindestrente", erklärte die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katja Kipping.
Der Armutsbericht bezieht sich auf Daten aus dem Mikrozensus und bewertet die relative Einkommensarmut. Darunter fallen Menschen, die über maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. Die Verbände kritisieren unter anderem, dass bei Armutsanalysen das Haushaltseinkommen herangezogen wird. Damit fielen beispielsweise pflegebedürftige Menschen in Heimen sowie Wohnungslose aus der Statistik heraus.
Bernd Siggelkow, Gründer des Hilfswerkes "Die Arche", sagte: "Wir müssen mehr Angebote für die Armen schaffen." Er nannte Nachhilfeunterricht, kostenloses Essen an Schulen, zuverlässige Ansprechpartner. "Auch die alleinerziehenden Mütter und Väter müssen stärker bei ihren Aufgaben unterstützt werden. Wir dürfen sie nicht allein lassen."
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte indes vor "undifferenzierten Bewertungen". Personen, die weniger als 60 Prozent des Durchschnitts aller Deutschen zur Verfügung haben, würden darin generell als arm bezeichnet, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Diese Bewertung sage nichts über die tatsächliche Situation eines Menschen aus und bedeute schon gar nicht, dass diese "abgehängt" seien. Besonders kritisch sehen die Kommunen die Bewertung von Studierenden, die aufgrund ihres geringen Einkommens als "arm" gelten. Zudem lehnte der Verband Forderungen nach weiteren Sozialleistungen ab.
Mitherausgeber des Berichts sind neben dem Paritätischen Gesamtverband der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben, die BAG Wohnungslosenhilfe, die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, die Volkssolidarität und Pro Asyl.