sozial-Politik

Armutsbericht

Nahles: Steuern und Transfers mildern bestehende Ungleichheiten




Die Kindertafel in Hagen unterstützt Schüler aus armen Familien.
epd-bild / Friedrich Stark
Die Bundesregierung lobt beim Kabinettsbeschluss zum 5. Armuts- und Reichtumsbericht ihre Entscheidungen zur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Doch die Sozialverbände dringen auf konkrete Taten.

708 Seiten über die "Lebenslagen in Deutschland": Das Bundeskabinett hat am 12. April den 5. Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedet. Während die Bundesregierung ihre Entscheidungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik als Erfolge herausstrich, sprach die Linke von "Schönfärberei", Sozialverbände forderten stärkere Anstrengungen, um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.

Insgesamt belege der Bericht eine "positive Entwicklung der sozialen Lage in Deutschland", erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Sie verwies unter anderem auf die niedrigen Arbeitslosenzahlen sowie auf einen Anstieg bei Volkseinkommen und Reallöhnen. Bestehende Ungleichheiten würden durch Steuern und Transfers "erheblich abgemildert". Erstmals wurden auch sogenannte Hochvermögende zu Einkommen und Reichtum befragt. Dabei kam heraus, dass sie zum Großteil ihr Vermögen Erbschaften verdanken und stärker an der Gesellschaft teilhaben als Arme.

Bericht belegt "verfestigte Ungleichheit"

Entsprechend weist der Bericht eine "verfestigte Ungleichheit" bei Vermögen aus. Danach besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Netto-Vermögens. Auch komme der wirtschaftliche Aufschwung nicht bei allen an, erklärte Nahles. So hätten die unteren 40 Prozent der Beschäftigten real weniger verdient als Mitte der 1990er Jahre.

Laut Bericht gelten 4,4 Prozent der Bevölkerung als arm, 2013 waren es 5,4 Prozent. Allerdings sind dem Statistischen Bundesamt zufolge derzeit rund 1.026.000 Menschen ab 18 Jahren auf eine Grundsicherung angewiesen. Das waren zwar 1,2 Prozent weniger als im Dezember 2015. Bei Einführung der Leistung 2003 lag ihre Zahl jedoch bei nur 440.000.

Verbände und Kirchen sehen keine Entwarnung

Auch Sozialverbände und kirchliche Einrichtungen sehen keine Entwarnung und verlangten konkrete Schritte zur Armutsbekämpfung. Die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Esche, Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg, fand es "irritierend", dass der Bericht behaupte, Kinder in Deutschland wüchsen überwiegend in gesicherten Verhältnissen auf, "wenn man bedenkt, dass Kinderarmut auf hohem Niveau stagniert".

Caritas-Präsident Peter Neher forderte eine stärkere materielle Unterstützung zur Armutsbekämpfung, unter anderem durch höhere Regelbedarfe und den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus. Der Sozialverband VdK warnte vor Altersarmut. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts zeige sich keine Trendwende. "Das Thema Altersarmut und insbesondere das hohe Armutsrisiko bei Erwerbsminderung wird von der Politik immer noch nicht wirklich zur Kenntnis genommen", kritisierte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Und ergänzte: "Das Rentenniveau darf nicht weiter sinken. Die Kürzungsfaktoren in der Rentenformel müssen weg, damit die Renten wieder parallel zu den Löhnen steigen."

AWO fordert höhere Steuern für Vermögende

Der Bericht zeige deutlich, "dass eine höhere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften, Kapitaleinkünften und Spitzeneinkommen als Umverteilungsinstrumente unumgänglich sind", sagte AWO-Chef Wolfgang Stadler. Armut sei kein selbst gewähltes Schicksal, sondern vor allem Folge von strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen: "Die Politik ist gefordert, hieran etwas zu ändern."

Linke-Fraktionsvize Sabine Zimmermann hielt der Bundesregierung "Schönfärberei" vor. Künftige Berichte müssten von einer unabhängigen Institution erstellt werden, verlangte sie.

Eine Sprecherin des Bundesarbeitministeriums wies den Vorwurf zurück. Alle Studien seien im Internet nachzulesen, Nahles selbst liege an Transparenz. Bereits bei Bekanntgabe der Einigung mit dem Kanzleramt am 23. März habe Nahles "Handlungsfelder identifiziert". Dazu gehörten unter anderem Maßnahmen zur "Primärverteilung". Dabei spielten höhere Löhne und die Tarifstärkung eine "ganz zentrale Rolle".

Christina Denz

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Kinder unter Migranten sollen besser geschützt werden

Angesichts der großen Zahl von Kindern unter den Flüchtlingen und Migranten hat die EU-Kommission besondere Schutzmaßnahmen vorgeschlagen. Jeder dritte Asylbewerber in Europa sei minderjährig, erklärte Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am 12. April in Brüssel. Zugleich seien Kinder "die am stärksten gefährdeten Migranten".

» Hier weiterlesen

Butterwegge: Armutsbericht ohne analytische Tiefenschärfe

Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat der Bundesregierung vorgeworfen, zu wenig gegen die soziale Ungleichheit in Deutschland zu tun. Mit Blick auf den am 12. April vom Bundeskabinett verabschiedeten 5. Armuts- und Reichtumsbericht sagte der Wissenschaftler: "Es fehlt nicht an statistischen Daten, sondern an politischen Taten." Trotz Kritik an vielen Details sagte Butterwegge, der Bericht sei "weniger blauäugig und einseitig ausgefallen als seine Vorgänger".

» Hier weiterlesen

Expertin: Eltern wird traditionelles Mutterbild aufgedrängt

Das Bild der arbeitenden Mutter ist nach Expertenmeinung im Wandel und sorgt bei Frauen für Verunsicherung. Ob sie Teilzeit, Vollzeit oder gar nicht arbeiten: "Mütter haben inzwischen alle das Gefühl, ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen", sagte die Münchener Soziologin Paula-Irene Villa dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kein Vereinbarkeitsmodell sei unumstritten: "Wie eine Mutter zu leben hat, ist heute nicht mehr eindeutig", betonte die Expertin. Das bedeute aber auch mehr Entscheidungsfreiheit für Frauen.

» Hier weiterlesen