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Missbrauch in Korntal soll binnen eines Jahres aufgeklärt sein



Über drei Jahre nach Veröffentlichung der ersten Missbrauchsvorwürfe gegen die Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal nimmt der Aufarbeitungsprozess Fahrt auf: Am 10. April präsentierte eine Auftraggebergruppe in Stuttgart die unabhängigen Aufklärer, die Licht in die Geschichte der Kinderheime bringen sollen.

Anerkannte Opfer können demnach innerhalb eines Jahres mit einer Anerkennungsleistung von bis zu 5.000 Euro rechnen, sagte der Vorsteher der Brüdergemeinde, Klaus Andersen. Allerdings lehnt eine wichtige Opferorganisation, das Netzwerk Betroffenenforum, die Zusammenarbeit ab.

Ehemalige Heimkinder sollen der pensionierten Frankfurter Richterin Brigitte Baums-Stammberger mittels Fragebögen oder Interviews über ihre Zeit berichten, teilte die Auftraggebergruppe mit. Dazu werde eine Hotline, eine E-Mail-Adresse und ein Postfach eingerichtet. Die Schilderungen würden anonym erfasst und auf ihre Plausibilität geprüft. Dazu sollen auch ehemalige Mitarbeiter herangezogen werden, sofern sie für den Aufklärungsprozess zur Verfügung stünden, sagte die Juristin.

Ausschuss entscheidet über Entschädigungen

Ein Vergabeausschuss entscheidet, wer wie viel Geld zugesprochen bekommt. Am Ende des Aufklärungsverfahrens wird es einen Abschlussbericht geben. Baums-Stammberger war als Richterin vor allem mit Fällen von Gewalt gegen Jugendliche und Sexualstraftaten befasst.

Neben der Juristin wird der Marburger Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger an der Aufklärung mitarbeiten. Sein Ziel ist nach eigenen Worten herauszufinden, wie Gewalt gegen Kinder möglich war und ob es eine "Kultur des Verschweigens, Wegschauens und Vertuschens" gegeben habe. Auch die religiöse Begründung von Schlägen und drakonischen Strafen solle in den Blick genommen werden. Untersucht werde der Zeitraum von 1945 bis in die 1980er Jahre.

Kritik an dem Verfahren kam vom Sprecher des Netzwerks Betroffenenforums, Detlev Zander, der selbst vor über drei Jahren die Vorwürfe gegen die Diakonie an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Seine Organisation war aus der Auftraggebergruppe ausgetreten und hat gegen die Brüdergemeinde Strafanzeige wegen noch nicht verjährtem schweren sexuellen Missbrauchs an Schutzbefohlenen und Verletzung der Fürsorgepflicht gestellt.

Zander bezweifelt die Unabhängigkeit der Aufklärer - der Prozess werde scheitern, sagte er. Er lehne es ab, dass Vertreter der Brüdergemeinde als "Täterorganisation" mit am Aufarbeitungstisch säßen. Zander forderte erneut Diakonie und Evangelische Landeskirche in Württemberg auf, sich in den Prozess einzuschalten. Andere Gruppen wie die AG Heimopfer arbeiten dagegen weiter an der Aufklärung mit.

Bis zu 150 Fälle werden erwartet

Wolfgang Schulz von der Auftraggebergruppe sagte, er rechne mit insgesamt 150 ehemaligen Heimkindern, die sich wegen Missbrauchsvorwürfen melden könnten. Für Menschen, die über lange Zeiträume in einem Heim Qualen erlitten hätten, sei eine Maximalleistung von 5.000 Euro allerdings "inakzeptabel". In Einzelfällen könnten voraussichtlich auch höhere Beträge bezahlt werden, betonte Schulz.

Ehemalige Korntaler Heimkinder berichten von sexueller und körperlicher Gewalt sowie Zwangsarbeit in Brüdergemeinde-Einrichtungen insbesondere in den 60er und 70er Jahren. Ein erster Versuch der Aufklärung scheiterte vor einem Jahr, nachdem die Betroffenen dem Team um die Landshuter Sozialwissenschaftlerin Mechthild Wolff das Vertrauen entzogen hatten.

Marcus Mockler

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