sozial-Branche

Behinderung

Tanz

Beim "Thunderclap" verschwinden Barrieren




Patrizia Kurz tanzt HipHop mit Behinderten und Nichtbehinderten.
epd-bild/Pat Christ
Inklusive Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung sind vielerorts noch Mangelware. Im Großraum Würzburg gibt die gelernte Krankenschwester Patrizia Kurz seit einiger Zeit inklusive HipHop-Tanzkurse.

Ist Leonie richtig gut drauf, stellt sie in ihrem Zimmer das Radio an und beginnt zu tanzen. Am allerliebsten zum Titelsong von "Bibi und Tina". Die Elfjährige, die ein Förderzentrum in Marktheidenfeld (Kreis Main-Spessart) besucht, bewegt sich für ihr Leben gern zu Musik. Seit Oktober tut sie das auch in einem inklusiven HipHop-Kurs von Patrizia Kurz in Marktheidenfeld. Drei Kinder mit und zwei Kinder ohne Handicap tanzen einmal in der Woche zusammen mit ihren Mamas.

Tanzen mit Rollstuhlfahrern

"Alle Menschen können HipHop tanzen", ist Patrizia Kurz überzeugt. Eben das zeigt sie in aktuell drei Tanzkursen. Kurz kommt in die Mainfränkischen Werkstätten nach Würzburg und Ochsenfurt, um jungen Erwachsenen, die ein geistiges und manchmal auch ein körperliches Handicap haben, HipHop-Tanzschritte beizubringen. An jedem Montag fährt die Krankenschwester nach Marktheidenfeld, um Leonie und ihre Freunde zu unterrichten. In Kürze wird unter ihrer Leitung in Würzburg ein vierter inklusiver Tanzkurs starten. Daran wollen mehrere Rollstuhlfahrer und eine blinde Frau teilnehmen.

Heute wird in Marktheidenfeld eine Drei-Minuten-Choreographie zu "Hey Mama" und "Would I lie to you" von David Guetta einstudiert. Die Kinder und ihre Mütter trainieren die Figuren "Thunderclap" und "Bart Simpson" und üben, sich wie Roboter zu bewegen. Was Kurz in den vergangenen Monaten in Unterfranken etabliert hat, hat Modellcharakter. Noch gibt es fast keine modernen Tanzkurse, bei denen Teilnehmer mit und ohne Handicap zusammen lernen, sich zur Musik geschickt zu bewegen. "In der Region gibt es sonst keine inklusiven Freizeitangebote", sagt Nadine Eitel, Leonies Mama. Die Freizeitangebote der Lebenshilfe findet Leonie zwar toll, aber sie ist dann wieder - wie schon in der Schule - nur von Kindern umgeben, die ein geistiges Handicap haben.

Dass es noch viel zu wenig inklusive Freizeitangebote gibt, bestätigt Judith Schreck, die mit ihrer 14 Jahre alten Tochter Jana zum HipHop-Unterricht kommt. Auch Jana ist geistig behindert. Als Kind nahm sie dennoch am "normalen" Kinderturnen teil. Jetzt als Jugendliche kommt sie nur noch als Ministrantin mit nicht-behinderten Gleichaltrigen in Kontakt. Eva Bopp kommt jede Woche mit ihren Töchtern Emma und Luisa zum inklusiven HipHop-Unterricht. Sie findet es gut, dass ihre beiden nicht-behinderten Mädels mit Kindern in Kontakt kommen, die anders sind als sie selbst. Solche Kontakte gebe es noch zu wenig. Kein einziges Kind mit Behinderung besuche die Kita-Gruppe der vierjährigen Emma, auch Erstklässlerin Luisa gehe nur mit nichtbehinderten Kindern in eine Klasse.

Oldschool, Newschool, Dance Hall und House

Auf die Idee, sich zur Tanzlehrerin ausbilden zu lassen, kam Patrizia Kurz trotz ihrer eigenen Tanzleidenschaft erst relativ spät - was daran lag, dass sie sich alleine um ihre heute zehn Jahre alte Tochter kümmern musste. 2014 begann sie ihre zweijährige Ausbildung bei der Deutschen Tanzlehrer- und HipHop-Tanzlehrer-Organisation (DTHO). Dort lernte sie, wie man Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Tricks von Oldschool, Newschool, Dance Hall und House näherbringt. Tanzen für Menschen mit Handicap ist dabei allerdings kein Thema: "Das Konzept habe ich mir selbst erarbeitet", sagt Kurz. Motiviert wurde sie durch eigene Erfahrungen. Kurz hat selbst ein leichtes Handicap, ihre Hüfte ist beschädigt: "Weshalb ich nicht besonders gelenkig bin."

Weil Menschen mit Handicap nach wie vor mit vielen Benachteiligung durch ihre Umgebung fertig werden müssen, fällt es vielen schwer, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, sagt Kurz. In einer inklusiven Gruppe HipHop-Choreografien einzustudieren und sie aufzuführen, stärke das Selbstbewusstsein. Voraussetzung ist, dass der Tanzlehrer viel Fingerspitzengefühl mitbringt. Das hat Kurz in hohem Maße. Sie lobt und spornt an, so dass sich niemand blöd vorkommt, wenn er die Figur, die gerade geübt wird, noch eher ungelenk ausführt. Es muss sowieso nichts perfekt sein. Hauptsache, es macht Spaß. Und das macht es.

"HipHop meets Inklusion"

Was Patrizia Kurz in der Region Würzburg auf den Weg brachte, ist hierzulande noch ungewöhnlich. Eines der wenigen ähnlichen Projekte befindet sich in Augsburg. In der dortigen Tanzschule Trautz & Salmen findet seit Ende 2015 jeden Dienstag das Projekt "HipHop meets Inklusion" statt. Daran nehmen 20 Tanzende mit Handicap, ein nicht-behinderter Tänzer sowie vier Tanzlehrer ohne Behinderung teil. "Wir haben Menschen mit Down-Syndrom und anderen geistigen Behinderungen", erläutert Tanzlehrer Jochen Preuss.

Die Gruppe studiert einfache und aktuelle Choreographien ein: "Geübt wird so lange, bis sie weitestgehend synchron funktionieren." Ziel ist es, Auftritte bei Stadtfesten und anderen Veranstaltungen zu ergattern, was auch immer wieder gelingt. Preuss: "Dabei tragen wir alle das gleiche Outfit, wie alle anderen Hip Hop oder Dance4Fans-Kurse bei uns auch." Vertanzt wird moderne Musik, wie sie ebenfalls in allen anderen Kursen verwendet wird.

Pat Christ

« Zurück zur vorherigen Seite


Weitere Themen

Wohlfahrtsverbände fordern bessere Finanzierung der Pflegeausbildung

Die Freie Wohlfahrtspflege Nordrhein-Westfalen fordert eine auskömmliche Finanzierung der Altenpflegeausbildung. Der echte Finanzierungsbedarf der ausbildenden Fachseminare für Altenpflege liege nach eigenen Erhebungen bei monatlich 490 Euro pro Auszubildendem und Monat, erklärte die Arbeitsgemeinschaft von 16 Wohlfahrts-Spitzenverbänden am 10. Mai in Köln. Doch die Förderungen der Betriebskosten durch das Land NRW sei seit 20 Jahren nicht angepasst beziehungsweise sogar von 317 Euro abgesenkt worden und liege nun bei nur noch 280 Euro. Dies decke die notwendigen Ausgaben in der Altenpflegeausbildung nicht.

» Hier weiterlesen

Theologin wirbt für neue diakonische Unternehmenskultur

Die Ökonomisierung des Sozialmarkts bedroht nach Ansicht der Bielefelder Theologin Beate Hofmann die diakonische Unternehmenskultur. Diakonische Arbeit sei auch in Zukunft nur denkbar in einer Balance zwischen Professionalität, Wirtschaftlichkeit und Spiritualität, sagte Hofmann am 5. Mai in Lemgo. Neben der Qualität der Beziehungen und des Sinnpotenzials der Arbeit seien die spirituelle Begleitung und eine Kultur der Pausen wesentliche Merkmale diakonischen Handelns, erklärte die Professorin für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel beim Jahresempfang der Stiftung Eben-Ezer.

» Hier weiterlesen

Diakonie-Chef warnt vor Risiken bei Robotern in Pflege-Einsatz

Schleswig-Holsteins Diakonie-Landespastor Heiko Naß hat vor Risiken beim Einsatz von Robotern und anderen computergestützten Systemen in der Pflege gewarnt. Daten könnten missbraucht und Pflegebedürftige überfordert werden, sagte Naß am 9. Mai auf dem Jahresempfang des Diakonischen Werkes. Insgesamt könne die Digitalisierung aber dazu beitragen, dass Pflegekräfte entlastet und die Qualität erhöht werden, erklärte der evangelische Theologe.

» Hier weiterlesen