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Kriminalität

Polizei deckt 84 weitere mutmaßliche Morde durch Ex-Pfleger auf




Intensivstation eines Krankenhauses
epd-bild/Werner Krüper
Neuen Ermittlungen zufolge konnte Pfleger Niels H. über Jahre hinweg ungestört mindestens 90 Menschen töten, weil Kollegen und Vorgesetzte weggeschaut haben. Wie viele Opfer wirklich auf sein Konto gehen, wird nie geklärt werden können.

Die Mordserie durch den früheren Krankenpfleger Niels H. hat laut Ermittlern einen weitaus größeren Umfang als bisher bekannt. Er soll weitere 84 Menschen getötet haben. Damit würden ihm bislang insgesamt 90 Morde vorgeworfen, sagte der Leiter der Sonderkommission "Kardio", Arne Schmidt, nach fast dreijährigen Ermittlungen am 28. August in Oldenburg. Die Arbeit der Sonderkommission sei beendet, jedoch werde weiter im Alltagsbetrieb der Polizei ermittelt. Vertreter der beiden betroffenen Kliniken sprachen den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus.

Herzversagen und Kreislaufkollaps

H. hatte zwischen den Jahren 2000 und 2005 Patienten zunächst in einer Oldenburger, dann in einer Delmenhorster Klinik Medikamente gespritzt, die ein Herzversagen oder einen Kreislaufkollaps auslösten. Anschließend reanimierte er seine Opfer, um als Held zu erscheinen. Der heute 40-Jährige wurde bereits für sechs Taten verurteilt und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.

In einer Stellungnahme betonte der Vorstand des Klinikums Oldenburg, Dirk Tenzer, dass sein Haus noch vor Gründung der Sonderkommission eine interne Untersuchung angeschoben habe, um Sterbefälle in der Beschäftigungszeit von H. zu untersuchen. Die Ermittlungsergebnisse der Soko hätten die eigenen Ergebnisse bestätigt und neue Opfernamen aufgezeigt. Die Klinik wolle sich bei den Angehörigen der Opfer melden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die damals Verantwortlichen die Ermittlungsbehörden nicht eingeschaltet hätten. "Wir halten deren Einschätzung aus heutiger Sicht für falsch."

Leitende Klinikbeschäftigte vor Gericht

Der Geschäftsführer des Delmenhorster Josef-Hospitals, Ralf Delker, sagte, er sei bestürzt über die deutlich höheren Opferzahlen. Sein Haus sei sensibilisiert und habe Vorkehrungen "für ein Höchstmaß an Patientensicherheit" getroffen.

Dem Soko-Leiter Schmidt zufolge hat es in beiden Kliniken frühzeitig zahlreiche Hinweise gegeben, die eine polizeiliche Ermittlung gerechtfertigt hätten. Allein aufgrund der Aktenlage wäre ein schwerer Verdacht auf H. gefallen, der ihn vermutlich auch überführt hätte. Drei der damals verantwortlichen Mitarbeitenden des Delmenhorster Krankenhauses müssten sich demnächst vor Gericht verantworten. Noch nicht abgeschlossen seien die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg.

Auch nach dem Ende der Soko "Kardio" arbeiteten einige Ermittler der Soko weiter an dem Fall. In 41 Fällen stehe das toxikologische Ergebnis noch aus. Schmidt zufolge sei nur "die Spitze des Eisberges" bekannt. So könnten etwa mehr als 130 Verdachtsfälle nicht weiter verfolgt werden, weil die mutmaßlichen Opfer mit einer Feuerbestattung beigesetzt wurden. Ob und wie viele weitere Opfer von H. getötet wurden, bleibe ungewiss.

Land plant anonymes Fehler-Meldesystem

Der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme dankte seinen Kollegen, aber auch den Pastoren für die schwere Begleitung der Angehörigen und Friedhofsmitarbeiter. Auf 67 Friedhöfen seien 134 Leichen exhumiert worden, um Beweise zu sichern: "Die Ermittlungen sprengen jede Vorstellungskraft und haben mich entsetzt." Kühme schloss sich der Kritik an die damaligen Klinikleitungen an und unterstrich, "viele Todesfälle hätten verhindert werden können".

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) verwies auf eine geplante umfangreiche Novelle zum niedersächsischen Krankenhausgesetz mit einem anonymen Fehler-Meldesystem und einer erweiterte Leichenschau. Außerdem sollten künftig Stationsapotheker den Umfang von Arzneimitteln überwachen, um Auffälligkeiten schneller erkennen können. Rundt nahm damit Forderungen der Deutschen Stiftung Patientenschutz auf.

Jörg Nielsen

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