sozial-Politik

Koalitionsverhandlungen

Verbände rügen Pläne zum Familiennachzug




Auch in der Türkei warten viel syrische Flüchtlinge auf eine Möglichkeit, nach Deutschland nachzuziehen.
epd-bild/Thomas Lohnes
Nach der Einigung von Union und SPD beim umstrittenen Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge hagelt es Kritik von Hilfsorganisationen und Sozialverbänden. Fast alle sind sich einig: Die Obergrenze sei willkürlich festgelegt und der bereits bestehende Schutz für Härtefalle nahezu unwirksam.

Der Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen bleibt nach einem Beschluss des Bundestages vom 1. Februar über Mitte März hinaus für weitere viereinhalb Monate ausgesetzt. Schon an der Einigung von Union und SPD in den Koalitionsgesprächen hatten viele Flüchtlingsorganisationen und Sozialverbände Kritik formuliert. Ihnen geht der Beschluss nicht weit genug. Epd sozial fasst die Stimmen zusammen:

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Einigung als inhuman. Er lehnt die Pläne der Koalitionsverhandler für eine weiterhin restriktive Familiennachzugsregelung und die geplante Obergrenze von 1.000 Menschen pro Monat ab. Auch in der angekündigten Weiterführung der existierenden Härtefallregelung sieht der Paritätische keine substanzielle Verbesserung. "Die Zahl von 1.000 Menschen pro Monat, die zu ihren Familienangehörigen nachziehen dürfen, ist willkürlich und moralisch fragwürdig. Im Klartext heißt diese Obergrenze, dass Zehntausenden von Menschen der Familiennachzug verweigert wird", sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbandes.

"Grenze ist willkürlich gesetzt"

Dass monatlich lediglich 1.000 Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen nachziehen dürften, sei mit der Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht zu begründen, betonte der Deutsche Caritasverband. "Diese Grenze ist willkürlich festgesetzt, viel zu niedrig und trennt Familien, die eigentlich nach Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden sollen." Ein Land wie Deutschland könne die Aufnahme und Integration schutzsuchender Menschen in einer wesentlich höheren Größenordnung gut meistern, so Neher.

"Die Diakonie Deutschland ist von dem Kompromiss enttäuscht. Wir können keinen großen Fortschritt gegenüber dem Sondierungspapier erkennen", sagte Präsident Ulrich Lilie. "Die Härtefallregelung war schon bisher unzureichend, sie wird auch künftig nicht ausreichen." Ein reiches Land wie Deutschland müsse in der Lage sein, an dieser Stelle menschliche Not zu lindern. Aus Sicht der Kirchen sei rechtlich, politisch und ethisch geboten, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sofort zu beenden.

Für die Arbeiterwohlfahrt sagte Vorstand Brigitte Döcker, die Höchstzahl von 1.000 Nachzügen ab August 2018 bedeutee für den allergrößten Teil der Betroffenen faktisch einen Ausschluss des Familiennachzugs. "Auch die geplante Härtefallregelung halten wir nicht für eine geeignete Lösung, um der Vielzahl an Einzelschicksalen gerecht zu werden", sagte Döcker. Sie verwies auf die bisherige Härtefallregelung. Sie habe im vergangenen Jahr dazu geführt, dass nur wenige Dutzend Verwandte nachziehen konnten.

"Einigung ist ein trauriger Deal"

Die Einigung sei "ein trauriger Deal auf dem Rücken schutzbedürftiger Flüchtlingskinder", sagte Jörg Angerstein, Vorstandssprecher des in Osnabrück ansässigen Kinderhilfswerks terre des hommes. Die strikte Begrenzung des Familiennachzugs widerspreche dem im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie und den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention.

Vizepräsidentin Anne Lütkes vom Deutschen Kinderhilfswerk betonte, die Regelung sei ein "fauler Kompromiss auf dem Rücken von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen". Sie lebten mit der ständigen Sorge um die zurückgebliebenen Eltern und Geschwister, sagte sie. Das behindere ihre Integration. Die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus müsse sofort beendet werden, sagte Lütkes.

Die Diakonie Düsseldorf forderte, dass Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ihre Familien wieder ohne Auflagen und weitere Beschränkungen nach Deutschland einreisen lassen dürfen. Die derzeit noch geltende Aussetzung des Familiennachzuges für diese Flüchtlinge sei "unmenschlich" und "integrationspolitischer Unsinn", sagte Diakoniepfarrer Thorsten Nolting. Die Festlegung auf 1.000 Nachzügler pro Monat sei nur eine weiteren Hürde, die errichtet werde, um den Familiennachzug zu erschweren. Mittlerweile werde in Deutschland das glatte Gegenteil dessen praktiziert, was im Jahr 2015 als Willkommenskultur gefeiert wurde.

Der Caritasverband für die Diözese Hildesheim ging ebenfalls auf Distanz. Direktor Achim Eng lehnte die festgelegte Obergrenze ab. "Die Zahl 12.000 Personen jährlich ist entschieden zu niedrig. Uns überzeugt die Hochrechnung von Pro Asyl, die von 50.000 bis 70.000 Nachzugsberechtigten ausgeht." Das Grundrecht, als Familie zusammenzuleben, dürfe nicht kontingentiert werden: "Wer als Opfer vor Krieg und Folter flieht und Schutz erhält, kann und darf beim Familiennachzug nicht mit dem Hinweis auf eine bereits erreichte willkürlich festgelegte Obergrenze abgespeist werden", sagte Eng.

Dirk Baas

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