Ausgabe 10/2018 - 09.03.2018
Frankfurt a.M. (epd). In Deutschland ist penibel geregelt, welche Voraussetzungen Zuwanderer auf dem Weg in ihren angestammten den Beruf erfüllen müssen. Für nahezu jeden Ausländer ist das ein Feld, das er kaum überblicken kann. Die Neuankömmlinge brauchen Hilfe, jemanden, der sie durch das Labyrinth von Behörden und Kammern führt, Gesetze kennt - und Kontakte hat. Jemand wie Sükriye Altun Mangel, Anerkennungs- und Qualifizierungsberaterin beim Frankfurter Verein "beramí".
Beramí, ein 1990 gegründeter Verein, zählt heute knapp 40 Beschäftigte aus über zehn Nationen, nur eine Handvoll sind Männer. Er ist aktiv in der Anerkennungsberatung, bietet aber auch selbst entwickelte und maßgeschneiderte Kurs- und Qualifizierungsprogramme an, auf die Zuwanderer bei ihrem Weg in den Jobmarkt zwingend angewiesen sind. "Wir haben zum Beispiel einen Kurs entwickelt, der Ärzte, die als Flüchtlinge hierher gekommen sind, auf ihre Approbationsprüfung vorbereitet", erzählt die Beraterin im Gespräch mit dem epd.
Der Bedarf an Beratung und Begleitung der Migranten sei unverändert hoch, berichtet die Fachfrau. Nicht zuletzt wegen der seit 2015 ins Land gekommenen Flüchtlinge herrsche Hochbetrieb im Verein. Sie weiß aus Erfahrung: die meisten Flüchtlinge und Migranten sind ohne kompetente Begleitung heillos überfordert. Zeugnisse müssen übersetzt und anerkannt werden, wo sie fehlen, muss Ersatz her. Alle paar Monate kommen neue Verwaltungsvorschriften. Jedes Bundesland arbeitet nach eigenen Regelungen. Aufenthaltsrechtliche Fragen sind ebenso zu klären wie Kostenübernahmen von Kursen oder es sind Anmeldeformalitäten bei Prüfungen zu regeln.
Dabei geht der Verein selbst auch aktiv auf die Zuwanderer zu: Er bietet regelmäßig offene Sprechstunden in den Arbeitsagenturen an fünf Tagen pro Woche an und besetzt eine Expertenhotline.
"Bei der Anerkennungsberatung prüfen wir zunächst die vorhandenen Unterlagen und ermitteln den bestehenden Nachholbedarf, etwa beim Spracherwerb", erläutert Sükriye Altun Mangel. "Wir versuchen zu klären, ob es überhaupt Sinn macht, ein Anerkennungsverfahren einzuleiten." Besprochen würden auch berufliche Alternativen, wenn "der im Ausland erlernte Beruf hier nicht verwertbar ist". Oder es womöglich Jahre dauern würde, alle Qualifizierungen nachzuweisen.
Bei Lehrern sei das oft der Fall, berichtet die Expertin. Hier biete sich alternativ das Arbeitsfeld der Erzieher an. Aber auch dahin sei es ein weiter Weg. Auf die Anerkennungsberatung folgt dann in den allermeisten Fällen die sogenannte Qualifizierungsberatung.
Dazu gibt es in allen Bundesländern ein Netz von Beratungsstellen, die Klienten in die passenden Kurse, Fachschulen oder auch Universitäten vermitteln. Für spezielle Berufsfelder, in denen dringend Personal gebraucht wird, gibt es zudem ungezählte spezielle Angebote.
Allein in Nordrhein-Westfalen beschäftigen sich bereits mehr als 40 Einrichtungen damit, geflüchtete Menschen für die Pflege- und Gesundheitsberufe fortzubilden. Die Koordinierungsstelle "welcome@healthcare" berät sie dabei und entwickelt Vorschläge, wie Sprachbarrieren abgebaut werden können oder welche Maßnahmen der Arbeitsförderung möglich sind. Die Koordinierungsstelle ist ein Projekt der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW und wird gefördert vom Landessozialministerium.
In Deutschland lebten 2016 rund 18,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, was etwa 22 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Sie sind im Schnitt doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Nichtmigranten. Ein Trend, der zusätzlich verstärkt wird durch die Zuwanderung aus vielen Krisengebieten der Welt.
Schon im Jahr 2005 erkannte die Politik den Handlungsbedarf und startete das Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ). Dessen Ziel ist es, dass im Ausland erworbene Berufsabschlüsse hierzulande häufiger in eine "bildungsadäquate Beschäftigung" münden.
Die regionale Umsetzung diese Programms ist Sache von 16 Landesnetzwerken. Sie bieten die Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung für Ratsuchende mit ausländischen Qualifikationen an, entwickeln bedarfsorientiert Anpassungsqualifizierungen und setzen diese dann auch um.
Den ungebrochen großen Beratungsbedarf belegen die Statistiken des IQ-Programms. So stieg die Zahl der Erstkontakte bei der Anerkennungsberatung seit dem dritten Quartal 2012 mit Schwankungen von rund 1.700 auf den Höchstwert von über 12.200 im dritten Quartal 2017. In dieser Zeit fanden zusammen rund 136.000 Beratungsgespräche statt. In der Qualifizierungsberatung wurden zwischen Januar 2015 und September 2017 rund 26.700 Erstgespräch registriert.
Seit Inkrafttreten des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz 2012 hat jede Person mit einem ausländischen Berufsabschluss einen Rechtsanspruch auf ein Verfahren zur Anerkennung der ausländischen Qualifikation. Das Verfahren ist offen für alle, unabhängig von Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsstatuts, also auch für Asylbewerber und Geduldete.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt das Gesetz: "Insgesamt stimmt die Richtung, die eingeschlagen wurde", sagte der zuständige Fachreferent beim DGB-Bundesvorstand, Mario Patuzzi, dem epd. "Gleichwohl sind an einigen Stellen die Regelungen, Instrumente und Verfahren des Anerkennungsgeschehens optimierungsbedürftig."
Er kritisierte die fehlende Einheitlichkeit und Transparenz bei der Anerkennung von Gesundheits- und Sozialberufen, die ländergesetzlich geregelt sind. "Das führt zu einer verwirrenden Rechtslage, die Anerkennungsinteressierte und selbst Fachleute kaum mehr durchblicken und Anerkennungsverfahren kompliziert und aufwendig machen können." Hier gelte es, in den kommenden Jahren, die Rechtslage zu vereinheitlichen - und damit Verfahren weiter zu straffen.
Patuzzi verwies auf ein anderes Problem: Nach dem Gesetz sei zwar die Anerkennung von formalen Abschlüssen aus dem Ausland möglich. Viele Migranten und vor allem Flüchtlinge verfügten aber nicht über formale Abschlüsse, sondern über "Berufserfahrung", zum Beispiel in der Pflege. "Für diese Gruppe brauchen wir neue Anerkennungsmöglichkeiten, die aber an unser bestehendes Bildungs- und Qualifizierungssystem angedockt werden müssen."
Auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDI) sieht Nachholbedarf und spricht von "Verfahrensdefiziten". Auf Nachfrage heißt es, "auch für die reglementierten Berufe, wie etwa die Gesundheits- und Heilberufe, bei denen bisher die Landesbehörden für die Anerkennungsverfahren zuständig sind, müssen bundeseinheitliche Verfahren geschaffen werden." Auch hätten es die Länder nicht geschafft, für die Gesundheitsberufe ein bundeseinheitliches Sprachniveau festzulegen, das die Antragsteller anzuweisen haben.
Kritik übt die BDI auch an der unzureichenden Personalausstattung der Anerkennungsstellen der Länder. Die Folge seien "oft weitreichende Verfahrensverzögerungen".
Die beklagt auch Sükriye Altun Mangel: "Die Leute wollen hier etwas erreichen, sie wollen nicht unnötig warten." Doch man müsse ihnen helfen, "erst mal ihren Weg zu finden". Oft gebe es dabei auch Enttäuschungen. Viele Klienten könnten zunächst nicht begreifen, "dass ein Zertifikat kein Berufsabschluss ist".