Ausgabe 10/2018 - 09.03.2018
Stuttgart, Düsseldorf (epd). Die Fahrzeugflotte der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) besteht fast ausschließlich aus Dieselfahrzeugen: 3.000 Autos sind das bundesweit. Dazu kommen rund 1.150 Fahrzeuge in der Pflege, darunter auch Dieselfabrikate: "Wir wären von Fahrverboten unmittelbar betroffen", sagte JUH-Sprecherin Juliane Flurschütz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Jede Einschränkung unserer Dienste ginge zu Lasten der betroffenen Personen. Deren Teilhabe am sozialen Leben würde massiv eingeschränkt. Deshalb stellte sie klar: "Wir werden auf Sonderregelungen dringen."
Die könnten in der Tat ein Schlupfloch sein, das die Sozialbranche nutzen kann. Denn das Bundesverwaltungsgericht befand, dass bei allen Maßnahmen der Städte zur Luftreinhaltung stets "der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss".
Die Richter gestatteten zudem "hinreichende Ausnahmen" für Autos, die nicht schon die strenge Euro 6-Norm erfüllen. Sie nannten zum Beispiel "Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen", nicht ausdrücklich aber Pflegedienste, Fahrdienste für Schüler oder andere motorisierte Anbieter von sozialen Leistungen.
Aktuellen Zahlen zufolge gibt rund 15 Millionen Diesel-Pkw, davon erfüllen etwa zwölf Millionen nicht die höchste Euro 6-Norm zur Abgasreinigung. Wieviele ältere Dieselfahrzeuge der Rettungsdienste, Pflegedienste oder Fahrbereitschaften für behinderte Menschen auf Deutschlands Straßen unterwegs sind, weiß niemand.
Beim privaten Berliner Pflegedienst Dosteli GmbH ist man dagegen ganz entspannt. Inhaber Jan Basche sagte auf Anfrage, man habe in der ambulanten Betreuung von Pflegebedürftigen ohnehin keine Dieselautos im Einsatz. "Wir sind nicht betroffen, denn in der Tagespflege nutzen unsere Mitarbeiter für ihre meist kurzen Strecken ausschließlich kleine Benziner."
Rund 80 Kleinwagen gehören zum Fuhrpark der Firma, die außer in Berlin auch im hessischen Offenbach Leistungen anbietet. Das sei auch bei fast allen anderen ambulanten Pflegeanbietern, die er kenne, so, sagte Basche. Im Segment der Kleinstwagen gebe es fast keine Dieseltypen.
Gleichwohl könnte es Probleme in Teilbereichen der Pflege geben, berichtet der Chef von knapp 300 Mitarbeitern. Zum einen in der Tagespflege, wo die Senioren auch mit betagten Dieselautos zu den Tagesstätten und wieder nach Hause gefahren werden. Aber auch die Lieferdienste und Sanitätshäuser, die spezielle Produkte für die Pflege bereitstellen, wie etwa Inkontinenzprodukte, wären mit ihren Dieseltransportern betroffen. Gleiches gilt laut Basche auch für den Service "Essen auf Rädern". Hier müsse "man sich Gedanken machen", betonte der Inhaber des Unternehmens.
Die von der Sozialbranche angemahnten Sonderregelungen wird es in Stuttgart geben. Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): "Wir machen großzügige Ausnahmen allerdings nur für eine zahlenmäßig kleine Gruppe." Er nannte ausdrücklich schwerbehinderte Menschen, Krankenwagen und Ärzte im Einsatz sowie soziale und pflegerische Hilfsdienste. Ebenfalls in der City fahren dürften demnach Patienten, die regelmäßige zur Behandlung müssen, zum Besipiel Dialysepatienten.
Der Caritasverband Stuttgart hat auf der Basis bestehender Luftreinhaltepläne der Stadt schon überlegt, wie auf Fahrverbote zu reagieren ist. "Wir haben dazu Papiere in der Schublade", sagte eine Sprecherin. Aber: Die seien jetzt überholt. Man wolle zunächst abwarten, ob auch Fahrzeuge nachgerüstet werden können. Von rund 90 Autos erfüllten etwa 35 nicht die Euro-Norm 6. 13 könnten aber nachgerüstet werden, sagte die Sprecherin: "Wir denken, dass es keine unlösbaren Probleme gibt.""
Auch soll die Fahrzeugflotte der Caritas um weitere Elektroautos wachsen, doch die Sprecherin sieht auch hier Grenzen. Die Anschaffungskosten seien kein Problem, denn es gebe ja auch Zuschüsse der öffentlichen Hand. Schwierig sei der nötige Ausbau der Ladestationen. "Wo wir Eigentümer der Gebäude sind, geht das. Aber wir haben auch viele Räume nur gemietet, da ist der Bau von Ladestationen oft problematisch."
Das bestätigt auch der Berliner Pflegedienst-Inhaber Basche. Neben dem Fehlen von genügend Ladestationen verweist er auf eine andere Schwierigkeit. Die kurzen Wechselzeiten zwischen zwei Dienstschichten seiner Mitarbeiter seien viel zu kurz, um die Akkus der Autos wieder aufzuladen: "Das funktioniert nicht."
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sich schon länger mit dem Problem. "Wie sich ein mögliches Dieselfahrverbot auf unsere Angebote auswirken wird, prüfen wir derzeit genau", sagte Referent Jörg Heyer dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Er verwies auf die vielen Werkstattbeschäftigten, die auf Fahrdienste angewiesen sind. "Deswegen gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass es Ausnahmegenehmigungen geben muss, so wie auch für Krankenwagen, Feuerwehren oder bei der Abfallentsorgung." Man müsse für die behinderten Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben so lange sicherstellen, bis die Fahrzeuge um- oder nachgerüstet sind.
Eine schnelle Umrüstung des Fuhrparks ist bei den Rettungsdiensten aber kaum zu erwarten: Der Markt biete keine brauchbaren Alternativen, ist überall zu hören. Beispiel Deutsches Rotes Kreuz, Landesverband Rheinland-Pfalz: "Wir haben eine reine Dieselflotte. Die meisten der landesweit 155 Fahrzeuge haben maximal die Euro 5-Norm", berichtet Pressesprecherin Elisabeth Geurts. Benziner, die geeignet wären, die Rettungsdienstcontainer zu tragen, gebe es nicht.
Die Johanniter-Unfall-Hilfe möchte den Entscheidungen der Kommunen nicht vorgreifen: "Wir können derzeit keine Aussage dazu treffen, wie die Städte auf das Urteil reagieren werden." Teilweise seien bereits Verhandlungen geführt worden, jedoch ohne konkrete Ergebnisse. Sprecherin Flurschütz: "Diese Gespräche werden wir nun wieder aufnehmen."