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Hartz IV

Bundesverfassungsgericht prüft Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen




Die Hartz-IV-Sanktionen sind umstritten, denn sie könnten das Existenzminimum des Einzelnen gefährden.
epd-bild/Norbert Neetz
Das Bundesverfassungsgericht überprüft Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher. Am 15. Januar ging es in Karlsruhe um die Frage, ob das Kürzen der Sozialleistungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, das ja das Existenzminimum für alle Bürger garantiert. Opposition und Sozialverbände riefen dazu auf, die Sanktionen beim Hartz-IV-Bezug zu streichen.

In Karlsruhe wird darüber verhandelt, ob Jobcenter das Arbeitslosengeld II kürzen dürfen. Dabei geht es um die Frage, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen. Geprüft wird zudem, ob die Strafmaßnahmen der Jobcenter die Berufsfreiheit verletzen. Dazu hatte das Sozialgericht Gotha den Fall eines Lageristen aus Erfurt vorgelegt, der einen Lagerjob ablehnte. Daraufhin wurde ihm Hartz IV zunächst um 30 Prozent und später um 60 Prozent gestrichen.

Das Bundesverfassungsgericht werde prüfen, ob die Sanktionen, die der Gesetzgeber festgeschrieben hat, grundgesetzlich zulässig seien, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Stephan Harbarth. Es gehe darum, ob die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele geeignet und zumutbar für die Betroffenen seien. Es gehe aber nicht um die Frage, ob das Sanktionssystem politisch sinnvoll sei. Das sei Sache des Gesetzgebers.

Für den Kläger sagte Rechtsanwältin Susanne Böhme, starre Sanktionen, die für drei Monate gelten, bewirkten keine Verhaltensänderung beim Leistungsbezieher. Besonders Personen mit "multiplen Vermittlungshindernissen" seien von den Kürzungen betroffen. Häufig wirke sich das außerdem auf weitere Personen aus, die mit dem Empfänger in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dies seien häufig Kinder.

Heil verteidigt "aktivierende Hilfen"

Für die Bundesregierung sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD), mit der Einführung der Regelungen im Jahr 2005 habe sich der Gesetzgeber für "aktivierende Hilfen" entschieden. Es solle "soviel Ermutigung geben wie möglich und soviel Ermahnung wie nötig". Der Sozialstaat müsse Mittel haben, die Mitwirkung verbindlich einzufordern. Das Existenzminimum bleibe gesichert.

"Zur Menschenwürde gehört auch, dass Menschen sich anstrengen", sagte Heil. Sonst wäre das Arbeitslosengeld ein bedingungsloses Grundeinkommen. "Das will ich nicht", sagte Heil. 2018 seien nur bei 3,1 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Sanktionen ausgesprochen worden.

Allein die Existenz von Sanktionen führe zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Hilfeempfängern. Daher sei die Bundesregierung von der Verfassungsmäßigkeit und der "grundlegenden Notwendigkeit" des bestehenden Systems überzeugt, sagte deren Bevollmächtigter Rechtsanwalt Matthias Kottmann.

Gesetz sieht Mitwirkungspflichten vor

Nach den rechtlichen Bestimmungen im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) müssen die rund vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher jede zumutbare Arbeit annehmen oder andere Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt nutzen, sonst drohen Kürzungen. Bei wiederholten Pflichtverstößen darf das Jobcenter das Arbeitslosengeld II sogar komplett streichen.

"Es ist längst überfällig, dass die Sanktionen bei Hartz IV auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand gestellt werden", erklärte Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion. Die Sanktionen bedrohten jene existenziell, die schon ins Hartz-IV-System abgerutscht sind. "Das ist nicht länger hinnehmbar. Denn: Grundrechte kürzt man nicht." Das Prinzip des Förderns und Forderns sei gescheitert. Das System stinke zum Himmel, sagte Ferschl.

Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sprach sich dafür aus, "eine ordentliche Grundabsicherung für jede und jeden" einzuführen. Die Sanktionen hätten sich nicht bewährt. "Deswegen macht es Sinn, die Sanktionen abzuschaffen, und dafür zu sorgen, dass die Ärmsten in unserem Land gut abgesichert sind: Die Kinder mit einer Kindergrundsicherung, die Alten mit einer Garantierente, und diejenigen, die im Arbeitsleben stehen, mit einer echten Garantiesicherung."

Drese: Sanktionen reformieren

Für eine Hartz-IV-Reform, aber gegen eine Abschaffung von Mitwirkungspflichten sprach sich dagegen Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) aus. Drese, die in diesem Jahr Vorsitzende der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder ist, plädierte für eine Abschaffung von überzogenen Sanktionen vor allem gegenüber unter 25-jährigen Leistungsbeziehern. "Oberstes staatliches Ziel sollte sein, alle Kräfte zu bündeln, um Langzeitarbeitslose wieder zurück in Arbeit zu bringen", sagte die Ministerin. Das neue Teilhabechancengesetz gehe in die richtige Richtung, weil es Langzeitarbeitslose gezielt unterstütze. "Wir müssen gezielter fördern, ohne den Einzelnen komplett aus seiner Verantwortung zu lassen, sich selbst einzubringen", so Drese.

Die Diakonie Deutschland erklärte, wenn Betroffene nicht mitwirkten, sei dies oft nicht auf Verweigerung, sondern auf Überforderung zurückzuführen. "Sanktionen treffen in der Praxis häufig Menschen, die sich nicht ausdrücken können, und nicht diejenigen, die sich drücken", sagte Friederike Mussgnug von der Diakonie. Überforderung entstehe etwa durch Krankheiten, Depressionen, familiäre Konflikte oder auch Verständnisprobleme.

Caritas wirbt für Ermessensentscheidungen

Direktorin Katrin Gerdsmeier vom Deutschen Caritasverband erklärte, Sanktionen sollten eine Ermessensentscheidung sein. Hartz-IV-Empfänger müssten als eigenverantwortliche Personen ernst genommen werden. "Wir möchten, dass auf den Einzelfall reagiert werden kann", sagte sie.

Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands forderte, statt Leistungskürzungen Hilfen in den Vordergrund zu stellen. Sanktionen seien schwerwiegend, sinnvoller seien weitere Fördermaßnahmen.

Auch die Nationale Armutskonferenz (nak) plädierte für das Aus der Sanktionen. Gerwin Stöcken, Sprecher der nak: "Es ist äußerst fraglich, ob Sanktionen ein geeignetes Mittel sind, um Menschen fit zu machen für den Arbeitsmarkt." Er verwies zudem darauf, dass das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verhaltensabhängig sei. "Statt auf Sanktionen sollte deshalb stärker auf die persönliche Beratung und Betreuung in den Jobcentern gesetzt werden, um den Betroffenen endlich auf Augenhöhe zu begegnen", so Stöcken.

Az.: 1 BvL 7/16

Christine Süß-Demuth, Dirk Baas


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