sozial-Thema

Arbeitslosigkeit

Interview

Experte: "Private Arbeitgeber intensiv umwerben"




Matthias Knuth
epd-bild/bildwerkeins/Paul Walther
Ob das Programm "Sozialer Arbeitsmarkt" Erfolg hat, das misst der Arbeitsmarktforscher Matthias Knuth nicht an den nackten Zahlen. Und schon gar nicht an der schnellen Umsetzung. Im Interview mit dem epd erläutert der Professor, wie die erwünschte soziale Teilhabe gelingt. Und er betrachtet die Rolle der Wirtschaft, die Qualität des Programmes und die Bedeutung des Coachings.

Der Name ist für Matthias Knuth Programm: "Teilhabechancengesetz". Dessen primäres Ziel sei die Verbesserung der sozialen Teilhabe von sehr arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen. Und es gehe darum, die Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen zu erhöhen. Ohne individuelles Coaching werde das nur schwer gelingen, sagt der Hochschullehrer an der Uni Duisburg-Essen. Die Jobcenter stünden hier vor großen Aufgaben. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Die Bundesregierung hat hohe Erwartungen an das Programm "Sozialer Arbeitsmarkt". Bis zu 150.000 länger Arbeitslose will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erreichen. Ist das eine realistische Zahl?

Matthias Knuth: Sicher nicht auf die Schnelle. Man kann erwarten, dass sich die Zahl der in diesem Programm Beschäftigten irgendwann während der bis Ende 2024 befristeten Laufzeit der Zielmarke von 150.000 nähern wird.

epd: Ist die Zahl allein entscheidend?

Knuth: Nein. Nicht hilfreich wäre es, das Programm daran zu messen, dass diese Zahl kurzfristig erreicht wird. Die Qualität der Umsetzung sollte Priorität haben vor der großen Zahl. Für 150.000 Förderungen über die gesamte Zeit reichen die zusätzlich bereitgestellten Mittel auch wahrscheinlich nicht aus.

epd: Oft waren in der Vergangenheit Programme für langzeitarbeitslose Personen nicht gerade von Erfolg gekrönt, wie etwa die von 2011 bis 2014 laufende Bürgerarbeit. Wie bewerten Sie generell die Erfolgsaussichten des Sozialen Arbeitsmarktes?

Knuth: Erfolg hängt davon ab, an welchen Zielen man ihn misst. Der Name "Teilhabechancengesetz" weist ja darauf hin, dass das primäre Ziel die Verbesserung der sozialen Teilhabe von sehr arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen ist. Weiteres Ziel ist die Förderung von Beschäftigungsfähigkeit und damit der Übergang aus der geförderten in eine ungeförderte Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Der Erfolg des Instruments ist also nicht in erster Linie an den Übergängen in ungeförderte Beschäftigung zu messen, sondern an seinen Teilhabewirkungen. Und die kann man durchaus messen.

epd: Warum sollten Arbeitgeber jetzt mitziehen und Personen beschäftigen, die seit sieben Jahren ohne Job sind und oft massive persönliche Probleme haben?

Knuth: Es gibt durchaus Arbeitgeber, die bereit sind, soziale Verantwortung gegenüber Menschen zu übernehmen, die aus dem Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Sie fühlen sich jedoch von den Problemen überfordert, die manche Teilnehmer mitbringen, und können im Betriebsalltag damit nicht angemessen umgehen. Deshalb sieht das neue Instrument neben einer anfangs massiven Lohnkostenförderung eine "ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung" vor.

epd: Es geht um individuelle Hilfen ...

Knuth: Ja, diese Betreuung ist sehr wichtig. Sie ist vom Jobcenter vorzuhalten. Die Betreuung braucht also im Unterschied zum früheren Instrument "Förderung von Arbeitsverhältnissen" nach dem alten § 16e nicht erst vom Arbeitgeber beantragt zu werden. Das ist ein wichtiger Fortschritt.

epd: Gibt es überhaupt genug Arbeit für diese Jobsucher, die ja nicht selten nur schlecht qualifiziert oder seit Jahren aus dem Arbeitsmarkt raus sind?

Knuth: Zunächst einmal wird es darum gehen müssen, für die Zielgruppe geeignete Arbeitszuschnitte erst einmal zu schaffen.

epd: Es fehlen also tatsächlich passende Jobs?

Knuth: Ja, denn wenn die Betroffenen auf Stellen passen würden, wie sie heute normalerweise definiert und zur Besetzung ausgeschrieben werden, dann hätten sie ja längst eingestellt werden können. In privatwirtschaftlichen und öffentlichen Betrieben wird es also darum gehen, die seit Jahrzehnten betriebene Verdichtung der Tätigkeiten durch Anlagerung von Hilfsfunktionen ein Stück weit zurückzunehmen, um Raum für niedrigschwellige Arbeit zu schaffen. Das entlastet die bisher Beschäftigten und verdrängt niemanden.

epd: Und die anderen Arbeitgeber?

Knuth: Sozialunternehmen und Beschäftigungsträger müssen ihre Tätigkeitsfelder wieder hochfahren, die mangels Förderung nur noch auf Sparflamme laufen konnten, und neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Es ist allerdings ein gravierendes Problem, dass das Instrument entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf im Gesetzgebungsverfahren mit einem Verfallsdatum versehen wurde. Mit immer nur zeitlich befristeten Förderperspektiven lässt sich kein Sozialer Arbeitsmarkt schaffen.

epd: Maximal fünf Jahre soll es Lohnzuschüsse geben, die von anfangs 100 Prozent dann nach und nach auf 70 Prozent sinken. Die FDP rügt "Parallelstrukturen" und eine zu lange währende Förderung durch den Staat. Sehen Sie da die Gefahr von Mitnahmeeffekten?

Knuth: Man kann gegen das Instrument viele Vorbehalte vorbringen, aber nicht alle gleichzeitig.

epd: Das müssen Sie erklären.

Knuth: Die Zielgruppe kann nicht gleichzeitig für jegliche produktive Arbeit zu unqualifiziert und leistungsschwach sein und dennoch Mitnahmeeffekte ermöglichen. Zudem wird selbst die 100-prozentige Förderung der Lohnkosten in den ersten beiden Jahren nicht die vollen Kosten der Beschäftigung decken. Die Firmen haben auch Kosten für Anleitung, Personalverwaltung und für Arbeitsmittel, die sie selbst tragen müssen. Folglich ist es notwendig, dass die Beschäftigten relativ bald Beiträge zum wirtschaftlichen Ertrag eines Unternehmens leisten, wenn nicht ergänzende Förderungen von dritter Seite hinzukommen.

epd: Aber wird sich der Einsatz der Langzeitarbeitslosen denn für die Unternehmen wirklich rechnen?

Knuth: Ja. Aber dazu muss es dem Arbeitgeber gelingen, die Ertragskraft eines Beschäftigten rascher zu steigern als der Lohnkostenzuschuss sinkt. Dann leistet er einen wunderbaren Beitrag zum Ziel des Programms, die Beschäftigungsfähigkeit zu steigern, und hat eine Belohnung verdient, die man nicht als "Mitnahmeeffekt" diffamieren sollte. Arbeitgeber, die darauf neidisch sind und "Wettbewerbsverzerrung" rufen, sollten einfach in den Wettbewerb eintreten und sich an dem Programm beteiligen.

epd: Nach deutlicher Kritik von Gewerkschaften und Sozialverbänden können Firmen nun den Lohnausgleich in Höhe des jeweiligen Tariflohns geltend machen. Droht hier dennoch, wie von der Linkspartei befürchtet, eine unnötige Ausweitung des Niedriglohnsektors?

Knuth: Dass am Ende des Gesetzgebungsverfahrens nun doch der Tariflohn bezuschusst werden kann, ist sehr wichtig. Sonst hätte man gerade diejenigen Arbeitgeber aus dem Programm ausgeschlossen, die an der Tarifbindung festhalten. Die gezahlten Löhne werden dennoch entsprechend den Tätigkeiten, die geschaffen werden können, eher niedrig sein. Untere Lohngruppen oder, wenn keine Tarifbindung besteht, Mindestlohn. Statistisch werden sich die meisten Stundenlöhne wohl unterhalb der Niedriglohnschwelle befinden.

epd: Gäbe es einen anderen Weg?

Knuth: Die Alternative wäre ein um bis zu 150.000 Beschäftigungsverhältnisse kleinerer Niedriglohnsektor - um den Preis entsprechend höherer Langzeitarbeitslosigkeit. Das Schöne an statistisch als relative Größen definierten Niedriglohnsektoren und Armutsgefährdungsquoten ist, dass man sie bekämpfen kann so viel man will: sie verschwinden nicht.

epd: Die Jobs in den Unternehmen sollen durch intensives Coaching der Teilnehmer flankiert werden. Wie wichtig ist die Begleitung durch Experten und wer soll diese Funktion übernehmen?

Knuth: Das Gesetz ist hier sehr offen formuliert: Die Jobcenter können das Coaching selbst machen oder entsprechend qualifizierte Dienstleister beauftragen. Eine "Selbstvornahme" hätte durchaus Charme für die Organisations- und Qualifikationsentwicklung in den Jobcentern. Das Coaching würde den daran beteiligten Fachkräften eine andere Perspektive auf die Zielgruppe vermitteln als sie aus der Rolle als Vermittlungsfachkraft oder Fallmanager zu gewinnen ist. Das Coaching kann aber nicht funktionieren, wenn die Teilnehmenden dazu ins Jobcenter einbestellt werden oder wenn sie womöglich sogar der gleichen Person mal als Coach und mal als Vermittlungsfachkraft begegnen würden. Coaching unter Sanktionsdrohung ist ein Widerspruch in sich. Man muss also ein "Coaching-Team" bilden, das neben der Jobcenter-Bürokratie agiert.

epd: Also wird es vermutlich doch dazu kommen, andere Träger ins Boot zu holen?

Knuth: Wahrscheinlicher als die Selbstvornahme ist die Beauftragung von Trägern, die über sozialpädagogisch ausgebildetes Fachpersonal verfügen. Bei Jobcentern mit sehr vielen Teilnehmern könnte man sich auch ein gemischtes Team vorstellen, also eine Coaching-Taskforce, die aus Jobcenter-Mitarbeitern und Mitarbeitern von Trägern besteht. Im Bundesprogramm "Perspektive 50plus" hat sich dieses Vorgehen als fruchtbar erwiesen.

epd: Minister Heil will reguläre Beschäftigung fördern, die auch sozialversicherungspflichtig ist. Also müssen vor allem private Firmen mitziehen?

Knuth: Die Beteiligung der Privatwirtschaft ist wichtig für die Akzeptanz des Instruments. Aber um die Beteiligung privater Arbeitgeber muss intensiv geworben werden. Generell würde ich es als einen großen Erfolg betrachten, wenn 15 bis 20 Prozent der zu fördernden Arbeitsplätze bei privatwirtschaftlich orientierten Arbeitgebern geschaffen werden könnten.