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Trennungskinder: Am Wechselmodell scheiden sich die Geister




Noch oft die Regel nach einer Scheidung: Die Kinder bleiben bei der Mutter.
epd-bild/Maike Glöckner
Von Scheidungen waren 2017 knapp 77.000 minderjährige Kinder betroffen. Väter und Mütter müssen deren Betreuung regeln. Noch passiert das meist nach dem Motto "Sie sorgt, er zahlt". Doch die Zeiten haben sich geändert - und die Politik reagiert.

Die Frage, wer die Kinder betreut, ist bei Scheidungspaaren oft ein heißes Eisen. Nicht selten gibt es dabei unlösbare Konflikte, die vor Gericht landen. Jetzt diskutiert die Politik darüber, ein neues Regelmodell für die elterliche Sorge vorzuschreiben, wenn die Paare sich nicht einigen können. Die FDP hat einen Gesetzesvorschlag präsentiert, der statt dem heute überwiegend praktizierten Residenzmodell das sogenannte Wechselmodell vorgeben will. Hier würden die Eltern ihre Kinder im Idealfall zu gleichen Teilen betreuen. Das ist sehr umstritten. Ein Blick auf die Argumente von Gegnern und Befürwortern:

Warum muss für den Umgang mit Trennungskindern überhaupt eine neue Regelung her?

Das ist nötig, weil sich die Lebensrealität geändert hat. War es früher weitgehend Konsens, dass bei Scheidungen die Mutter die Kinder behält, und der Vater nur ein begrenztes Besuchsrecht bekam, ist das heute aus der Zeit gefallen. Das Modell "Sie sorgt, er zahlt" halten viele Experten für überholt, auch, weil sich die Rolle der Frau gewandelt hat, Stichwort Erwerbsarbeit. Auch Väter sind längst mehr in der Elternzeit anzutreffen und leisten auch verstärkt Familienarbeit.

Welche Gründe nennt die FDP für ihre Initiative?

Die Liberalen sind der Ansicht, dass die gemeinsame elterliche Betreuung dem Kindeswohl am besten entspricht. Sie werben dafür, dass die Familiengerichte das Wechselmodell künftig als Regelmodell anwenden. Ziel sei eine gemeinsame Betreuung der Kinder mit zeitlicher Verteilung zwischen ein Drittel/zwei Drittel bis hin zur hälftigen Teilung.

Welche Gründe sprechen für das Wechselmodell?

Ein Vorteil ist, dass die Kinder gleich viel Zeit mit der Mutter und dem Vater verbringen können und die Bindung zu einem Elternteil nach der Trennung nicht abbricht. Ein weiterer Pluspunkt ist die Gleichberechtigung bei der Betreuung, die viele Eltern mit dem Wechselmodell verbinden. Denn sowohl Mutter als auch Vater sind für den Alltag der Kinder, aber auch für die Freizeit, die Wochenenden und den Urlaub zuständig. Das Wechselmodell ist aus Sicht vieler Experten die schonendste Lebensvariante für Trennungskinder.

Welche Nachteile hat das Modell?

"Pendelnde" Kinder können oft kein "richtiges" Zuhause finden. Sie leben die eine Woche bei der Mutter, die andere beim Vater, wechseln immer zwischen zwei Haushalten hin und her. Zudem passt diese Betreuungsform nur auf jene Eltern, die trotz Trennung harmonisch miteinander umgehen. Fachleute betonen ausdrücklich, dass dieses Modell nur Erfolg haben kann, wenn eine Kommunikationsbereitschaft seitens der Eltern vorhanden ist. Bei vielen zerstrittenen Ex-Paaren funktioniert das nicht.

Auf welcher Grundlage entscheiden die Familiengerichte heute?

Die Regelungen zum Sorgerecht, den Aufgaben der Eltern sowie den Zuständigkeiten der Familiengerichte finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, §§ 1626-1698). Auch nach gerichtlichen Verfahren verbleiben in drei von vier Fällen die gemeinsamen Kinder bei der Mutter. Sie bekommt das Sorgerecht und die Unterhaltszahlungen und bestimmt damit die weitere Lebensführung. Der andere Elternteil muss sich mit Besuchsregelungen begnügen.

Wie viele Eltern teilen sich bereits die Betreuung der gemeinsamen Kinder?

Gegenwärtig praktizieren neun Prozent der Trennungseltern ein Wechselmodell, heißt es beim Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV). Nach Angaben des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter (VAMV) wird in nur fünf Prozent aller Fälle ein echtes Wechselmodell, also eine tatsächlich etwa jeweils hälftige Betreuung, vereinbart.

Was sagen die Experten?

In der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages war viel Distanz zu den FDP-Plänen zu hören. Miriam Hoheisel, Bundesgeschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, sagte, das Wechselmodell verhindere die jeweils beste Lösung für das Kindeswohl. Deshalb sollten sich Eltern weiterhin für ein individuell passendes Betreuungsmodell entscheiden können. Zudem seien die Vorteile eines Wechselmodells für Kinder wissenschaftlich nicht belegt. Hildegund Sünderhauf-Kravets von der Evangelischen Hochschule Nürnberg sprach sich dagegen für das Wechselmodell als "Leitbild" aus. Die von den meisten Eltern gelebte partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit in der Partnerschaft werde nach Beendigung der Partnerschaft im Wechselmodell fortgesetzt.

Wird das umstrittene Modell nun Gesetz?

Das ist bislang nicht abzusehen. Die Linkspartei will das auf jeden Fall verhindern. Sie hat einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht und spricht sich dagegen aus, dass ein festgeschriebenes Wechselmodell als Regelfall vorgegeben wird. Die Linke setzt auf eine freie Entscheidung der Familien - und wird dabei vor allem Frauen- und Alleinerziehendenverbände unterstützt.

Wie geht es weiter im Politikbetrieb?

Nachdem FDP und Linke ihre Gesetzentwürfe im März 2018 in den Bundestag eingebracht haben, wurden sie zur weiteren Behandlung in den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen, der dazu am Mittwoch eine Expertenanhörung veranstaltet hat. Dabei, so berichtete die FDP, hätten die Fachleute großen Reformbedarf bei den Umgangsregelungen gesehen. Uneins seien sie sich aber darüber, was der Gesetzgeber nun konkret veranlassen soll. Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) hat angekündigt, bis zum Sommer einen Referentenentwurf vorzulegen. Sie hat aber schon klargestellt, dass sie die FDP-Forderung ablehnt: Es gebe für die Vielfalt der Familien keinen Regelfall.

Dirk Baas


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