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Psychologe rät: Umgangsrecht individuell regeln




Demonstration für die Abschaffung des § 219a in Gießen im Dezember
epd-bild/Michael Schick
Der Staat sollte nach Ansicht des Bremer Psychologen Stefan Rücker nicht festlegen, dass Scheidungskinder abwechselnd bei beiden Elternteilen leben sollen. Jede Familie müsse das individuell für sich aushandeln.

"Es gibt nicht den einen Hut, der auf alle passt", sagte der Psychologe an der Universität Bremen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Rücker ist wissenschaftlicher Leiter der Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht", die seinen Angaben zufolge erstmals in Deutschland die Auswirkungen der beiden gängigen Betreuungsmodelle auf die Kinder beleuchtet.

Bisher leben die Kinder hierzulande meist nach dem "Residenzmodell" überwiegend bei einem Elternteil. Das sogenannte Wechselmodell, bei dem die Kinder zum Beispiel eine Woche beim Vater und die nächste bei der Mutter wohnen, wird unter anderen von der FDP empfohlen, um veränderten Familienmodellen gerecht zu werden. Nach Ansicht der Befürworter sollte es per Gesetz als Normalfall festgeschrieben werden. Rücker sagte, er sei in dieser Frage gegen jeglichen Dogmatismus.

Studie soll demnächst erscheinen

Die Ergebnisse seiner Studie würden demnächst vom Bundesfamilienministerium veröffentlicht, das die Untersuchung in Auftrag gegeben habe. Ähnliche Studien in anderen Ländern hätten ergeben, dass Kinder, die abwechselnd bei beiden Elternteilen lebten, etwas besser entwickelt und emotional stabiler seien. Die Unterschiede nivellierten sich jedoch, wenn andere Faktoren berücksichtigt würden, wie etwa der jeweilige Erziehungsstil oder das Verhältnis der Eltern untereinander, erläuterte der Psychologe.

"Der Gegenstand ist viel zu komplex, als dass man ihn in zwei Modelle pressen könnte", betonte Rücker. Er plädierte dafür, die Beratung für die Familien deutlich auszubauen. Es gebe einen großen Nachholbedarf. Immerhin 200.000 Kinder seien jährlich betroffen. Wenn Eltern sich nicht einigen könnten, müssten sie sich differenziert beraten lassen können, anstatt sofort vor dem Familiengericht zu landen.

Wechselmodell oft kaum praktikabel

Zudem sei für viele Familien das Wechselmodell kaum praktikabel, selbst wenn sie es wünschten. Sie könnten es sich nicht leisten, wenn Väter ihre Arbeitszeit reduzierten und beide Elternteile in gleich großen Wohnungen lebten. "Im Moment ist das Wechselmodell eines für die Mittelschicht und die Oberklasse." Die Politik müsse dafür sorgen, dass diese Ungerechtigkeit etwa durch Steuererleichterungen beseitigt werde.

Hintergrund der Debatte sind Bestrebungen in der Politik, das Umgangsrecht anzupassen, weil immer mehr Mütter arbeiten und Männer zunehmend mehr Umgang mit den Kindern einfordern. Derzeit leben dennoch rund 73 Prozent aller Scheidungskinder wochentags bei der Mutter und jedes zweite Wochenende beim Vater, der Unterhalt zahlt. Auch die Diakonie teilte mit, sie halte nichts von einer gesetzlichen Verankerung eines einheitlichen Betreuungsmodells. Eltern müssten sich eigenverantwortlich einigen. Am Mittwoch beschäftigte sich auch der Rechtsausschuss des Bundestages mit dem Thema.

Martina Schwager


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