sozial-Branche

Wohnen

Gastbeitrag

Wie die Mietmisere in Ballungsräumen überwunden werden kann




Iris Behr
epd-bild/Institut IWU
Die Kommunen alleine können die Wohnungsnot nicht wirkungsvoll lindern. Aber sie nehmen eine Schlüsselrolle ein, wenn es um die lokale Wohnungspolitik geht. Über deren Rolle und die Pflichten von Bund und Ländern beim Wohnungsbau schreibt Iris Behr vom IWU-Institut in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Kaum ein Tag vergeht, in dem es die wachsende Wohnungsnot in Deutschland nicht in die Schlagzeilen der Zeitungen bringt. Experten diskutieren schon länger, wo der Hebel anzusetzen ist, um die Misere vor allem in den Ballungsräumen möglichst rasch zu beenden. Welche rechtlichen und politischen Steuerungsmöglichkeiten haben Kommunen, um bezahlbaren, insbesondere sozial gebunden Wohnraum zu schaffen oder zu erhalten und damit den Zusammenhalt in der Stadt zu wahren?

Kommunen können diese Aufgabe nicht alleine stemmen, sondern sind auf Bund und Bundesländer angewiesen. Mehr noch: Die Kommunen können den in den 1980er Jahren eingeleiteten Richtungswechsel in der Wohnungspolitik mit Wohnungsprivatisierung im großen Maßstab, mit dem Abbau der Objektförderung zugunsten der Subjektförderung (Wohngeld), mit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit, dem kontinuierlichen Schrumpfen der gebundenen Wohnungen von vier Millionen in den 80er Jahren auf 1,5 Millionen im Jahr 2017 mit noch so aktiven kommunalen Maßnahmen nur sehr begrenzt entgegenwirken.

Sozial gerechte Bodenordnungen

Sozial gebundener Neubau ist in Zeiten niedriger Kapitalmarktzinsen und hoher Grundstückspreise kein Selbstläufer, sondern er verlangt die aktive Anwendung des Bauplanungsrechts. Beispielhaft agiert hier die Stadt München seit den 90er Jahren: Neues Baurecht wird nur geschaffen, wenn die Investoren bereit sind, einen Anteil an gebundenen Wohnungen zu errichten. Über die Jahre hin hat München so ein differenziertes Angebot an Mietwohnungen mit unterschiedlichen Miethöhen und Bindungsfristen bis zu 60 Jahren geschaffen.

Diese Grundsätze der sozial gerechten Bodenordnung sind von anderen Städten aufgegriffen worden, so zum Beispiel in Köln, Berlin, Hannover, Ulm, Stuttgart, Münster, Düsseldorf, Darmstadt oder Mannheim. Sozial gerechte Bodenordnungen und konzeptioneller Mietwohnungsbau lassen sich durchsetzen. Aber dazu braucht es die politische Mehrheit im Stadtrat und die Unterstützung der örtlichen Wohnungswirtschaft.

Bessere Steuerungsmöglichkeiten bietet den Gemeinden das Eigentum an Flächen, die bebaut werden können. Mit Konzeptvergaben können auf Auswahl der Bauherrschaft, Festsetzung der Ausstattungsstandards oder etwa die Mietpreisbindungen direkt Einfluss genommen werden. Unterstützung genossenschaftlichen Wohnens und die Grundstücksvergabe an gemeinnützig ausgerichtete Träger und kommunale Wohnungsunternehmen sind möglich.

Vorkaufsrecht nutzen

Wohnen als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge zu verstehen und dafür Flächen in öffentliches Eigentum zu bringen, ist im Baurecht mit dem Instrument Vorkaufsrecht vorgesehen. Wenn private Eigner Flächen verkaufen, kann eine Kommune das Grundstück erwerben und aktive Bodenvorratspolitik betreiben, die, wo sie dauerhaft und systematisch angelegt ist, auch preisdämpfend auf die Bodenpreise wirken kann.

Allerdings sollten Kommunen ihre Liegenschaften nicht weiterverkaufen, sondern in der Form des Erbbaurechts in öffentlichem Eigentum behalten. Eine sozial gerechte Vergabe lässt sich durch die Ausgestaltung des Erbbauvertrages erreichen.

Zielt eine Gemeinde auf bezahlbaren Wohnraum, setzt sie auf Kooperationspartner, die an langfristiger Wirtschaftlichkeit statt hoher Rendite orientiert sind. So nutzt sie ihr Grundeigentum für eine aktive preisdämpfende Liegenschaftspolitik. Dazu muss sie sich verabschieden vom Erzielen von Höchstpreisen und vom Grundstücksverkauf zur Haushaltskonsolidierung.

Gemeinwohlorientierte Grundstücksvergabe

Gemeinden in Hessen, die unter dem Schutzschirm des Landes stehen, weil sie eine sehr hohe Schuldenbelastung haben, fällt dieser Kurswechsel natürlich schwer. Sie müssten finanziell in die Lage versetzt werden, die für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung und Bautätigkeit benötigten Grundstücke zu erwerben und dürfen nicht durch die haushaltsrechtlichen Regeln beschränkt werden. Lohnend wäre eine derartige Wohnungspolitik allemal: Die öffentlichen Kosten der Unterkunft, Kosten der Obdachlosigkeit sowie auch für Wohngeld, könnten reduziert werden und in menschenwürdigen Wohnraum investiert werden.

Für mehr bezahlbaren Wohnraum genügen, wie dargestellt, die kommunalen Aktivitäten nicht. Unverzichtbar sind weitreichende strukturelle Änderungen, die auf eine gemeinwohlorientierte Grundstücksvergabe und Grundstücksnutzung ausgerichtet sind. Hierzu gehören zum Beispiel eine bodenwertbezogene Grundsteuerreform, die Besteuerung von Gesellschaftsanteilen von Immobiliengesellschaften (sogenannte "share deals") sowie eine Grunderwerbssteuersenkung bei kommunalem Grundstückserwerb.

Die Instrumente des Baugesetzbuchs könnten und sollten von der Bundesregierung geschärft werden: etwa das kommunale Vorkaufsrecht für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung durch die Limitierung des Kaufpreises auf den Verkehrswert sowie die Einbeziehung von Gemeinwohlbelangen bei der Erteilung einer Baugenehmigung im innerstädtischen Bereich.

Flächen für sozialen Wohnungsbau

Zu Rechtsänderungen muss die finanzielle und personelle Ausstattung der wohnungspolitischen Akteure hinzukommen, maßgeblich der Gemeinden und ihrer kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und gemeinwohlorientierter Bauträger, die an der Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu sichern, mitwirken. Hier sind die Länder und der Bund in der Pflicht. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als eine der großen Immobilienbesitzerinnen Deutschlands sollte ihre Flächen zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus einsetzen. Preisnachlässe für Flächen, auf denen geförderte Wohnungen errichtet werden, sind ein erster Schritt.

Auch Länder stellen nun eigene Liegenschaften vergünstigt und gebunden zur Verfügung. Die mit öffentlicher Förderung erfolgte Bautätigkeit sollte langfristig die Mietpreis- und Belegungsbindungen sichern - sei es durch eine neue Form der Wohnungsgemeinnützigkeit oder durch Erbbauverträge.

Gefragt ist ein gesellschaftspolitischer Bewusstseinswandel: Wohnraum müsste verstanden werden als Gegenstand der öffentlichen Daseinsvorsorge und nicht als Kapitalanlage.

Literatur:

Arnt von Bodelschwingh und Astrid Gilewski: Kommunale Handlungskonzepte und Ansätze zur Feinsteuerung in: Eberhard von Einem (Hrsg.) Wohnen. Markt in Schieflage- Politik in Not, Berlin 2016

Iris Behr, Klaus Habermann-Nisse: Zusammenhalt stärken durch eine aktive kommunale Wohnungspolitik in: Geteilte Räume Strategien für mehr sozialen und räumlichen Zusammenhalt, Bericht der Fachkommission räumliche Ungleichheit der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 2017

DIFU Deutsches Institut für Urbanistik/VHW Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. Bodenpolitische Agenda 2020 – 2030 Warum wir für eine nachhaltige und sozial gerechte Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik eine andere Bodenpolitik brauchen, Roadmap Bodenpolitik, Oktober 2017

Iris Behr ist Rechtsanwältin und Prokuristin bei der Institut Wohnen und Umwelt GmbH.