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Familie

Verein vermittelt Paten für Heimkinder




Edeltraud Preuß, Gründerin und Vorsitzende des "Kölner Kreidekreises"
epd-bild/Jörn Neumann
Der "Kölner Kreidekreis" vermittelt Paten für Heimkinder, die keinen oder nur sehr unregelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern haben. Die Paten sollen die Kinder durchs Leben begleiten und ihnen auch bei Heimwechseln langfristige Unterstützung bieten.

Jan hat die vergangenen sechs Jahre in verschiedenen Kinderheimen verbracht. Seit anderthalb Jahren lebt der 13-Jährige in einer Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche bei Mönchengladbach. Seine Eltern hat er seit dem letzten Heimwechsel nicht mehr gesehen, sie scheuen die Anreise. Aufgrund seiner Lernbehinderung ist es ungewiss, ob Jan jemals lesen und schreiben lernen wird. Aber es gibt eine Konstante in seinem Leben: seinen Paten, der ihm vom "Kölner Kreidekreis" vermittelt wurde und vor zwei Jahren in sein Leben trat.

Gemeinsame Wochenenden

Jans Pate ist Gymnasiallehrer in der Nähe von Köln und möchte namentlich nicht genannt werden. Er selbst hat keine Kinder. "Das hat leider nicht geklappt", sagt er. Vor gut zwei Jahren hat er sich beim "Kölner Kreidekreis" gemeldet mit dem Wunsch, eine Patenschaft zu übernehmen. "Man darf nicht erwarten, ein 'normales' Patenkind zu bekommen", sagt der 48-Jährige. "Viele Kinder haben eine Vorgeschichte und ihr Päckchen zu tragen - so sind einige Kinder verhaltensauffällig, in ihrer Entwicklung zurück oder können sich schlecht auf andere einlassen." Aber das hat ihn nie gestört.

Als Jan noch in Köln lebte, hat sein Pate ihn mehrmals in der Woche gesehen. "Das geht jetzt nicht mehr, weil er zu weit weg ist." Stattdessen holt er Jan einmal im Monat von freitags bis sonntags ab und verbringt das Wochenende mit ihm. Dass das einige Stunden Fahrtzeit für ihn bedeutet, nimmt er gern in Kauf: "Ich freue mich immer auf ihn, auch wenn ich dann sonntagabends ziemlich k.o. bin."

Sie kochen zusammen, machen Fahrradtouren, gehen schwimmen oder spazieren. In den Sommerferien fahren sie zusammen in den Urlaub. Alle paar Tage telefonieren sie miteinander.

Langfristige Bindungen

Der 48-Jährige ist einer von 40 Wegbegleitern, die der "Kölner Kreidekreis", ein gemeinnütziger Verein, bislang vermittelt hat. Bevor jemand Pate werden kann, führen die Mitarbeiter intensive Gespräche und besuchen die Interessierten zu Hause. Die Bewerber müssen ein polizeiliches Führungszeugnis einreichen. Dann folgt ein mehrtägiges Vorbereitungsseminar.

"Wir lernen alle Kinder und Paten gut kennen, um herauszufinden, wer zu wem passt", sagt Edeltraud Preuß, die den "Kreidekreis" 2006 gegründet hat. Nach einem begleiteten Kennenlernen in der Einrichtung und einer Probezeit können Kind und Pate dann entscheiden, ob sie den Richtigen gefunden haben. "In aller Regel klappt das von Anfang an total gut, einige unserer Wegbegleiter betreuen ihre Patenkinder schon seit mehr als zehn Jahren."

Preuß ist Sozialpädagogin und hatte beruflich immer mit Heimkindern zu tun. Am schlimmsten sind die Kinder dran, die keinen oder so gut wie keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern haben, weiß sie aus Erfahrung: "Die anderen Kinder dürfen am Wochenende nach Hause fahren, während sie dann allein im Heim zurückbleiben." Deswegen kümmert sich der "Kreidekreis" ausschließlich um Kinder ohne regelmäßigen Elternkontakt: "Die haben es einfach am nötigsten."

Preuß möchte den Kindern und Jugendlichen etwas geben, was ihnen im Alltag kaum widerfährt: Langfristigkeit. "In der stationären Jugendhilfe kommen so viele Wechsel vor: Die Kinder wechseln in unterschiedliche Heime. Die Erzieher, Lehrer und Betreuungspersonen wechseln." Die Paten dagegen sollen für Stabilität sorgen.

Gewollt oder ungewollt kinderlos

"Uns geht es bewusst um langjährige Verbindungen, auch über die Volljährigkeit hinaus", sagt Preuß' Kollegin Antje Lehbrink. "Es klappt oft nicht, dass die Jugendlichen mit 18 plötzlich auf eigenen Beinen stehen. Aber in diesem Zeitraum enden die Maßnahmen der stationären Jugendhilfe. Plötzlich sind die jungen Menschen komplett auf sich gestellt." Der Übergang in die Eigenständigkeit sei oft sehr schwierig, umso wichtiger sei dann die Unterstützung durch die Paten.

Die meisten Paten haben einen akademischen Hintergrund, sind etwa Lehrer oder kommen aus dem IT-Bereich. Manche haben bereits erwachsene Kinder und möchten sich noch einmal um einen Heranwachsenden kümmern. Die meisten sind gewollt oder ungewollt kinderlos geblieben. 50 Bewerber warten zurzeit darauf, ein Patenkind zu bekommen. "Es ist ein Konzept, das viele anspricht", sagt Lehbrink.

In den kommenden Jahren soll der "Kreidekreis" auf 100 Patenschaften anwachsen. "Bislang haben wir nur über Mund-zu-Mund-Propaganda gearbeitet. In vielen Heimen und Einrichtungen sind wir noch unbekannt", sagt Lehbrink. Doch seit 2018 wird der "Kreidekreis" von der Organisation "Aktion Mensch" gefördert und hat zwei feste Stellen eingerichtet.

Jetzt wollen die Mitarbeiterinnen gezielt auf Einrichtungen im Rheinland zugehen. Zudem möchten sie ihr Konzept gern in andere Bundesländer weitervermitteln. Denn bislang gebe es nur in Berlin noch einen weiteren Verein, der unter anderem Patenschaften für Heimkinder vermittele.

Barbara Driessen