sozial-Politik

Behinderung

Verband: Ohne Hilfe ist betreuten Menschen eine Wahl kaum möglich




Thorsten Becker
epd-bild/Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e.V.
Personen, die in allen rechtlichen Dingen betreut sind, dürfen bei der EU-Wahl am 26. Mai erstmals wählen. Die meisten schaffen das nicht ohne fremde Hilfe. Was vor der Wahl zu beachten ist und wie sie ihr Kreuz machen können, das erläutert Thorsten Becker, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/innen (BdB) im epd-Interview.

Niemand kann sagen, wie viele der rund 80.000 wahlberechtigten Bürger, die in allen rechtlichen Angelegenheiten betreut werden, tatsächlich bei der EU-Wahl ihr Kreuz machen werden. Betreuer und Betreute müssen zuvor selbst aktiv werden, und auch die kommunalen Behörden haben fristgerecht die Formalitäten zu erledigen. Das alles geschieht unter hohem Zeitdruck, erläutert Thorsten Becker: "Wenn einige Kommunen das nun rein technisch nicht mehr rechtzeitig hinbekommen, dann ist das natürlich bedauerlich." Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Das Bundesverfassungsgericht hat im April den Weg dafür frei gemacht, dass Menschen, die in allen rechtlichen Angelegenheiten betreut sind, schon an der EU-Wahl am 26. Mai teilnehmen können. Werden die nun auch flächendeckend ihr Kreuz machen können?

Thorsten Becker: Das kann man aus heutiger Sicht nicht sicher sagen. Da wird einiges im Bereich der Vermutung bleiben müssen. Die Möglichkeit zur Wahl haben nach meiner Kenntnis bundesweit rund 80.000 Personen, die bislang ausgeschlossen waren. Zuvor müssen aber einige Formalitäten geregelt werden. Und auch die lokalen Behörden müssen ihre Aufgaben fristgerecht erledigen, dafür ist nicht viel Zeit geblieben. Klar ist aber auch, dass natürlich nicht alle Menschen unter vollständiger Betreuung auch wählen wollen. Ähnlich wie in der Bevölkerung generell gibt es auch dort Personen, die schlicht kein Interesse an der politischen Mitbestimmung haben.

epd: Jetzt muss der Wahlausschluss unter großen Zeitdruck beseitigt werden. Hätte man damit nicht besser doch bis zur nächsten Wahl gewartet?

Becker: Nein, das würde ich so nicht sagen. Wenn eine Situation, wie der Wahlausschluss, verfassungswidrig ist, dann muss das schnellstens beseitigt werden. Das sind wir, ja die ganze Gesellschaft den betroffenen Personen schuldig. Wenn einige Kommunen das nun rein technisch nicht mehr rechtzeitig hinbekommen, dann ist das natürlich bedauerlich. Dennoch ist die Entscheidung aus Karlsruhe auch als Signal sehr zu begrüßen.

epd: Kommen wir zu den Formalitäten, die ja auch Sache der Betreuer sind. Was ist zu tun, damit zuvor Ausgeschlossene nun wählen zu können?

Becker: Zuerst muss ein Antrag auf Eintrag in das Wählerverzeichnis gestellt werden. Dabei brauchen die meisten Betroffenen sicher schon Unterstützung, denn sie wissen ja meist gar nicht, wie das zu machen ist. Dabei muss man auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Bezug nehmen. Möglich ist auch, einen Einspruch oder eine Beschwerde gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Wählerverzeichnisses zu stellen, um es im Sinne der neuen Entscheidung berichtigen zu lassen. Es geht darum zu erreichen, dass die in vollem Umfang Betreuten jetzt unverzüglich in das Verzeichnis aufgenommen werden müssen. Und damit müssen ihnen dann die Wahlunterlagen zugestellt werden.

epd: Ist das denn überhaupt noch zeitlich möglich?

Becker: Für die Europawahl dürfte das schon knapp sein. Es liegt an den Betreuern, die Anträge auf Aufnahme in das Wählerverzeichnis schnell zu stellen. Ich gehe nicht davon aus, dass das die Ämter von sich aus machen. Im Einzelfall mag das vielleicht so sein, flächendeckend aber sicher nicht.

epd: Und wie wählen die Betroffenen dann ganz konkret?

Becker: Wenn sie selbst ins Wahllokal gehen können, wäre das der normale Weg. Natürlich müssen sie wie jeder andere Bürger ihre Wahlbenachrichtigung dabei haben, sonst bekommen sie keine Wahlunterlagen. Braucht die betreute Person dabei fremde Unterstützung, dann kann es Aufgabe des Betreuers sein, eine Assistenz zu organisieren, die dann vor Ort den Menschen zur Wahl begleitet.

epd: Das machen die Betreuer nicht selbst?

Becker: Nein, in aller Regel nicht. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Hier geht es um eine reine persönliche Begleitung. Diese Dienstleistung übernehmen Mitarbeiter der Eingliederungshilfe. Der eigentliche Entscheidungsprozess, wo das Kreutz auf dem Wahlzettel gemacht wird, ist den Helfern ohnehin entzogen. Die Wahl ist geheim, alles andere wäre unzulässig. Das muss man wirklich betonen. Der Betreuer muss vorher aktiv werden und dafür sorgen, dass, wenn es nötig ist, eine Assistenz am Wahltag anwesend ist. Ganz ohne Probleme ist aber auch das nicht. Wenn kein Dienst vor Ort vorhanden ist oder die Kostenübernahme für dieses Leitung noch unklar ist, wird es schwierig, hier Begleitung zur Wahl hinzubekommen. Dann sollte eine Briefwahl in Betracht gezogen werden.

epd: Und wenn die Entscheidung für die Briefwahl gefallen ist?

Becker: Dann müssen rechtzeitig die Briefwahlunterlagen beantragt werden.

epd: Die Kreuzchen werden dann in der Einrichtung oder in der eigenen Wohnung gemacht, aber auch mit Unterstützung?

Becker: Ja. Aber auch hier ist das Wahlgeheimnis streng zu beachten. Das Kreuz muss jeder alleine machen. Aufgabe des Betreuers kann es höchstens sein, ganz allgemein, ohne Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen, über die Wahl, die Parteien und die politische Landschaft zu informieren. Und natürlich zu helfen, die richtigen Umschläge verwenden, zu füllen und abzusenden. Es geht also auch um das ganze formale Drumherum. Da sollten auch die Mitarbeiter in den Einrichtungen die Ansprechpartner sein. Wenn bei einem meiner Klienten ein solches Problem auftaucht, würde ich dann selbst weiterhelfen.

epd: All das kann nur funktionieren, wenn es auch genügend verständliches, barrierefreies Informationsmaterial zur EU und zu den Wahlen gibt. Liegt das inzwischen vor?

Becker: Ja. Hier dürfte es keine Probleme geben, denn es durften ja auch in der Vergangenheit schon viele Menschen mit Handicap, die eine Betreuung haben oder auch keine, wählen und darauf haben sich die Einrichtungen und die Fachverbände natürlich vorbereitet. Es gibt also längst Auskünfte in leichter Sprache oder andere barrierefreie Angebote, die nötig sind, um das politische Geschehen verstehen zu können. Sicher ist das auch in den verschiedenen Regionen unterschiedlich, aber wir sind da schon erheblich weiter als noch vor einigen Jahren.