Oldenburg (epd). Der ehemalige Krankenpfleger Niels Högel bleibt lebenslänglich im Gefängnis. Das Landgericht Oldenburg befand ihn am 6. Juni in 85 Fällen des Mordes für schuldig. In 15 weiteren Fällen wurde er freigesprochen. Außerdem stellte das Gericht im größten Serienmordprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte eine besondere Schwere der Schuld fest.
Auf eine anschließende Sicherheitsverwahrung verzichtete das Gericht jedoch. Für die Haftdauer mache dies keinen Unterschied, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann. Ein bereits bestehendes Berufsverbot für Högel wurde bestätigt. Wegen weiterer Taten verbüßt der 42-Jährige bereits eine lebenslange Haftstrafe.
Dem Angeklagten waren insgesamt 100 Patientenmorde vorgeworfen worden, die er zwischen 2000 und 2005 in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst verübt haben sollte. Er hatte laut Feststellung des Gerichts seine Patienten mit Medikamenten vergiftet, die zum Herzstillstand führten, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er vor Kollegen als kompetenter Retter glänzen.
Högel hatte 43 Mordvorwürfe selbst eingeräumt. Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haft in 97 Fällen. Die Verteidigung verlangte Freisprüche in 31 Fällen, sie plädierte auf 55 Morde und 14 Mordversuche.
Mit bewegter Stimme entschuldigte sich der Richter bei den Angehörigen dafür, dass das Gericht nicht in allen Fällen für Gewissheit sorgen konnte. "Ich weiß, das muss schwer für sie sein." Bei den Freisprüchen hätten Restzweifel nicht ausgeräumt werden können. In all diesen Fällen habe der Wirkstoff Lidocain eine Rolle gespielt, dessen Beweiskraft nicht absolut sei. Bei der Verlesung der Freisprüche verließen mehrere Angehörige unter Tränen den Gerichtssaal.
Bührmann beschrieb die Dimensionen des Verfahrens als so unbegreiflich groß, dass der menschliche Verstand kapituliere: "Herr Högel, Ihre Schuld ist unumfassbar."
Der Sprecher der Angehörigen, Christian Marbach, lobte nach dem Urteil das Gericht: "Das Verfahren war solide, genauso wie das Urteil. Allerdings steht hinter jedem Mord ein Schicksal, somit können wir mit dem Urteil nicht zufrieden sein." Die Freisprüche seien hart für die Familien. "Juristisch mag das vertretbar sein, emotional ist es das nicht."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch drängte auf weitere Konsequenzen: Auch die Mitschuld von Arbeitgebern, Kollegen und Behörden müsse nun geklärt werden: "Warum wurde weggeschaut, unter den Teppich gekehrt und Ermittlungen verzögert? Das gilt es aufzuklären und von Gerichten zu ahnden."
Brysch forderte zudem politische Konsequenzen des Bundes und der Länder. In allen 2.000 Krankenhäusern und 14.500 Pflegeheimen in Deutschland seien unabhängige und externe Anlaufstellen für anonyme Hinweisgeber nötig. Die Abgabe von Medikamenten müsse lückenlos, standardisiert und elektronisch kontrolliert werden.
Der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme sagte, es sei richtig und notwendig gewesen, das Schicksal jedes einzelnen Opfers zu beleuchten. "Das war wichtig für das Vertrauen in den Rechtsstaat, aber auch im Interesse der Angehörigen." Es sei von Anfang an klar gewesen, "dass wir nicht alles restlos aufklären können". Dazu gehörten die zahllosen Mordversuche, bei denen die Opfer die Reanimation überlebten, aber auch die vielen Opfer, die eingeäschert wurden, so dass keine Beweise mehr gesichert werden konnten.
Az: 5Ks 1/18