sozial-Recht

Bundesfinanzhof

Volle Umsatzsteuer für gemeinnützige Sozialbetriebe




Beschäftigter in einer Behindertenwerkstatt in Köln
epd-bild/Jörn Neumann
Werkstätten für behinderte Menschen und andere gemeinnützige Vereine mit sogenannten Zweckbetrieben drohen künftig höhere Umsatzsteuerzahlungen.

Gemeinnützige Einrichtungen können nach einem Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) für ihre Zweckbetriebe in Zukunft meistens nicht mehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent beanspruchen. Denn steht der Zweckbetrieb mit seinen Leistungen im unmittelbaren Wettbewerb zu regulären Firmen, wird nach "zwingendem Unionsrecht" regelmäßig der volle Umsatzsteuersatz von 19 Prozent fällig, entschieden die Münchner Richter in einem am 21. November veröffentlichten Urteil.

Folgen für die gesamte Branche

Welche Auswirkungen das Urteil bundesweit auf gemeinnützige Einrichtungen und der Finanzierung ihrer Zweckbetriebe hat, ist noch nicht klar. "Als Konsequenz werden viele Caritas-Vereine und -Träger entgegen derzeit häufiger Praxis prüfen müssen, ob sie für die Umsätze ihrer Betriebe, wo zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder langzeitarbeitslose Menschen beschäftigt werden, den ermäßigten Steuersatz anwenden und diese Betriebe unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen des Steuerrechts weiterführen können", sagte Janina Bessenich, Stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP).

Die strenge Auslegung der Steuerpflicht bei gemeinnützigen Organisationen werden die Caritas-Träger "vor erhebliche Herausforderungen stellen", befürchtet die Justiziarin. Einerseits stehe im Mittelpunkt der Caritas-Arbeit der Satzungszweck, wie die Unterstützung behinderter oder anders benachteiligter Menschen. Andererseits müssten die Formen der Betätigung genau geprüft werden, um die Anforderungen der Gemeinnützigkeit zu erfüllen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Leistungen einzuhalten.

Die Diakonie Deutschland konnte zu den konkreten Auswirkungen noch nichts Genaues sagen. "Die Auswirkungen seien davon abhängig, inwieweit das BFH-Urteil in den Umsatzsteueranwendungserlass übernommen und damit unmittelbarer Prüfgegenstand der Finanzämter im Rahmen der Umsatzsteuerprüfung wird", teilte die Diakonie in einer Stellungnahme mit.

Zweckbetrieb oder Wirtschaftsunternehmen

Im entschiedenen Streitfall hatte eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) unter anderem ein Bistro und eine öffentliche Toilette betrieben. In dem Bistro arbeiteten drei behinderte Langzeitarbeitslose, deren Stellen öffentlich gefördert wurden. Für die Außenumsätze berücksichtigte die WfbM den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent.

Sie begründete dies mit der Abgabenordnung und dem Umsatzsteuergesetz. Das Bistro sei ein sogenannter Zweckbetrieb, da hier mindestens 40 Prozent behinderte Menschen arbeiten. Erbringen Zweckbetriebe Leistungen, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, sei für Umsätze der ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden. Das Finanzamt sah dagegen in dem Bistro einen für die Kunden regulären Betrieb, für dessen Umsätze 19 Prozent Umsatzsteuer fällig werden.

Der BFH entschied nun, dass Gemeinnützigkeit nicht automatisch vor dem vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent schützt. Allein die Mitarbeit behinderter oder anders benachteiligter Menschen in der Einrichtung reiche für den Anspruch auf einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent nicht aus, erklärten die Münchner Richter.

"Vorgaben des Unionsrechts"

Stünden gemeinnützige Einrichtungen mit ihren Zweckbetrieben in unmittelbarem Wettbewerb mit regulären Unternehmen, seien die Außenumsätze grundsätzlich nach dem vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent zu versteuern. Dies seien "zwingende Vorgaben des Unionsrechts", also des EU-Rechts.

Nur wenn bei den erbrachten Leistungen kein Wettbewerb mit regulären Unternehmen besteht oder wenn mit den Leistungen "die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke selbst verwirklicht werden", könne ein ermäßigter Steuersatz infrage kommen. Dies sei aber nicht der Fall, wenn die Leistungen in erster Linie den Zwecken der Kunden und nicht der benachteiligten Menschen dienen.

Hier dienten die Gastronomieleistungen des Klägers in erster Linie dem Kunden und nicht den behinderten benachteiligten Beschäftigten, stellte der BFH fest. Grundsätzlich fiele dann der volle Umsatzsteuersatz von 19 Prozent an.

Die obersten Finanzrichter verwiesen den Fall an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurück. Dieses muss noch prüfen, ob aus anderen Gründen ein ermäßigter Umsatzsteuersatz infrage kommt, etwa wenn Speisen lediglich zur Mitnahme angeboten werden.

Az.: XI R 2/17

Frank Leth