sozial-Thema

Pflege

Weniger Stress, keine Nachtschichten und ein guter Verdienst




Leiharbeit in der Pflege kann für Kliniken und Heime zum Problem werden.
epd-bild/Gustavo Alabiso
Pflegepersonal ist längst knapp. Und es wird noch knapper - auch durch das Abwandern von einst fest angestellten Pflegekräften in die lukrative Leiharbeit. Die Politik will diesen Trend stoppen, doch das Unterfangen ist ebenso umstritten wie schwierig.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will verhindern, dass immer mehr fest angestellte Pflegekräfte in die Leiharbeit wechseln. Per Gesetz soll sie in den Kliniken zumindest eingedämmt werden. Ein schwieriges Unterfangen, denn es scheint sich herumzusprechen, dass die Zeitarbeit für die begehrten Fachkräfte so manchen Vorteil bietet. Noch sind die Zeitarbeiter in Kliniken und Heimen mit einem Anteil an allen Pflegekräften von rund zwei Prozent eher niedrig. Dennoch ist die Branche alarmiert.

"Die Leiharbeit macht die Bedingungen in der Altenpflege erträglich", sagt eine 42-jährige examinierte Altenpflegerin aus Berlin. Sie verdiene nicht nur besser, sie habe auch mehr Mitspracherechte bei ihren Arbeitseinsätzen. "Ich muss nicht befürchten, in eine Frühschicht gedrängt zu werden, obwohl ich lieber Spätschicht arbeite. Und ich kann an freien Tagen auch nicht zur Arbeit gerufen werden, um für einen erkrankten Kollegen einzuspringen."

Folgt man dem Deutschen Pflegerat, dann ist die unmittelbare Folge von zunehmender Zeitarbeit sozialer Unfrieden bei den verbliebenen Mitarbeitern. Dadurch komme ein Teufelskreis in Gang: Wo das Betriebsklima erkalte, nehme die Abwanderung aus dem Job zu und die Patientensicherheit gerate in Gefahr.

Spahn: Leiharbeit soll Ausnahme sein

Folglich sagt Minister Spahn: "Leiharbeit in der Pflege soll die Ausnahme sein und nicht die Regel werden. Deswegen werden die höheren Kosten nicht refinanziert." Die Ausgaben für Leiharbeit in den Krankenhäusern sollen im Rahmen des Pflegebudgets nur noch bis zum Tariflohn vergütet werden. Und: Provisionen für die Vermittlung von Leihpersonal werden künftig nicht mehr im "Pflegebudget" berücksichtigt, das die Kassen zahlen. Auf diesem Umweg, so Spahns Kalkül, gibt es für die Kliniken weniger lukrative Anreize, Leiharbeiter zu verdingen.

Grundsätzlich werden die Pflegepersonalkosten ab dem nächsten Jahr aus den Fallpauschalen herausgenommen und von den Kassen refinanziert. Bisher entnehmen die Kliniken die Gehälter der Pflegekräfte aus den Fallpauschalen. Diese Änderung ist Teil des neuen Pflegepersonalstärkungsgesetzes.

Deutlich weiter geht Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Sie kündigte am 16. Dezember an, dass Berlin Anfang kommenden Jahres eine Bundesratsinitiative für ein generelles Verbot von Leiharbeit in der Pflege starten werde. Ihren Angaben nach beklagen die Krankenhäuser, dass Pflegepersonal insbesondere im intensivmedizinischen Bereich von den Zeitarbeitsunternehmen gezielt abgeworben werde: "Als Folge verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen für fest angestellte Pflegekräfte und deren Belastung nimmt zu." Pflege sei eine Mensch-zu-Mensch-Beziehung, betonte die Senatorin: "Die ist bei kurzen Einsätzen der Leiharbeitskräfte schwer aufzubauen.

Hetz: Verbot verfassungsrechtlich bedenklich

Thomas Hetz, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP), hält das für puren Aktionismus. Der Plan sei europa- und verfassungsrechtlich "mehr als bedenklich". Hetz verweist auf die aktuellen Daten. Demnach liegt die Quote der Zeitarbeiter an allen Pflegekräften bei 1,02 Prozent. Zudem betont Hetz, dass die Zeitarbeit in der Krankenpflege von 2017 auf 2018 mit einem Minus von 18 Prozent deutlich rückläufig sei. In Bereich der Altenpflege stagnierten die Zahlen.

Er lehnt ein generelles Verbot der Zeitarbeit in der Pflege rundweg ab. Dadurch werde man den Pflegenotstand nur noch weiter verschärfen. "Denn die Zeitarbeit sorgt dafür, dass Pflegekräfte in ihrem Beruf tätig bleiben, weil die Personaldienstleister ihnen Rahmenbedingungen bieten, die ihrer speziellen Lebenssituation Rechnung tragen." Ohne diese Option würden eine Reihe von Arbeitnehmern ganz aus der Pflege aussteigen oder nicht wieder einsteigen wollen, sagt Hetz.

Zu einer ganz anderen Bewertung kommen der Deutsche Pflegerat und das Aktionsbündnis Patientensicherheit. Ihren Angaben nach hat Leiharbeit in der Pflege rasant zugenommen. "In den letzten fünf Jahren hat sie sich in der Krankenpflege fast verdoppelt, von 12.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern im Jahr 2014 auf 22.000 im Jahr 2018." Auch in der Altenpflege sei die Zahl der Leiharbeiter in den letzten fünf Jahren merklich gestiegen von gut 8.000 auf 12.000 im Jahr 2018. "Tatsächlich melden Kliniken, insbesondere in Ballungsräumen, bereits zweistellige Anteile von Leiharbeit in den Pflegeteams", heißt es in einem Impulspapier des Verbandes.

Verbände sehen Politik in der Pflicht

Im Verhältnis zu den insgesamt in der Pflegebranche tätigen 1,6 Millionen Beschäftigten sind das zwar noch immer verschwindend wenige Beschäftigte. Dennoch ist die Branche alarmiert, denn seit 2014 haben sich die absoluten Zahlen an Leiharbeitern in der Pflege um 72 Prozent erhöht. Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ist alarmiert. Er sieht dringenden Handlungsbedarf der Politik, sich mit dieser Entwicklung auseinanderzusetzen.

bpa-Präsident Bernd Meurer argumentiert, dass "Zeitarbeit in der Altenpflege weder die Aufgabe der Qualifizierung noch der Überbrückung von kurzzeitigen Engpässen" erfülle. Sie sei auch kein Instrument der Kostensenkung, "sondern verschlingt knappe Ressourcen ohne Mehrwert für pflegebedürftige Menschen. Der Einsatz von Zeitarbeit geschieht meist nur aus der Verantwortung, Pflege und Betreuung zu sichern."

Zwar sei es "individuell mehr als verständlich, dass jemand über die Leiharbeit bessere Bedingungen für sich rausholen will. Für die Versorgung der Patienten und für die Zusammenarbeit im Team ist die Entwicklung aber verheerend", sagte Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvorstand, dem epd. Denn Gesundheitsversorgung sei Teamarbeit. "Kolleginnen und Kollegen berichten häufig von dem Problem, dass Externe die Arbeitsstrukturen nicht kennen und dadurch für die ohnehin stark belasteten Stammbeschäftigten eine Zusatzbelastung entstehe. Außerdem führen die unterschiedlichen Rahmenbedingungen zur Spaltung der Belegschaften.

Bühler sagte weiter, aufgrund des hohen Fachkräftebedarfs blühe der Markt, "und zwar unter anderen Vorzeichen als sonst bei Leiharbeit üblich". Zur Wahrheit gehört für ver.di aber auch, "dass Leiharbeitsfirmen natürlich Gewinn machen wollen. Der speist sich dann aus unseren Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, die ins System reinfließen - und besser für eine gute Pflege eingesetzt werden sollte."

"Während in vielen anderen Bereichen die Leiharbeiter zu Recht beklagen, dass sie deutlicher schlechter behandelt werden als die Stammbelegschaft, wird aus der Pflege von einer umgekehrten Konstellation berichtet - mit hochproblematischen Rückwirkungen in diesem Fall für die Stammbeschäftigten", sagt der Sozialforscher Stefan Sell.

Der Experte sieht Verbote von Leiharbeit dennoch kritisch: "Man muss zur Kenntnis nehmen, dass man damit einen ziemlich seltenen Bereich von Leiharbeit strangulieren würde, in dem das Pendel zugunsten der Leiharbeitnehmer ausgeschlagen ist."

Hauptproblem ist die akute Personalnot

Wie, wo und aus welchen Gründen Leiharbeiter in der Pflege eingesetzt werden, hat das Institut Arbeit und Technik (IAT) hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung mit Hilfe von Experteninterviews schon im Jahr 2010 untersucht. Dabei traten zahlreiche strukturelle Gründe zutage, die seit jeher mit dem Pflegenotstand in Verbindung stehen und die sich kaum verändert haben - im Gegenteil.

So zeigte sich, dass die Personaldecke in vielen Einrichtungen zu dünn ist. Manchmal werden Leiharbeitnehmer eingesetzt, damit das Stammpersonal überhaupt dazu kommt, Urlaub zu nehmen oder Überstunden abzubauen. Und: Leiharbeitnehmer sind oft billiger, weil sie nur für die tatsächlich geleistete Arbeit bezahlt werden müssen, nicht aber bei Krankheit oder wenn gerade kein Bedarf besteht. Zeitarbeit in der Pflege, fasst das IAT zusammen, sei als Symptom einer unzureichenden Ausstattung mit Planstellen für qualifizierte Fachkräfte zu betrachten.

"Die Zeitarbeit im Pflege- und Gesundheitsbereich muss neu geregelt werden. Gleiche Bedingungen für alle Akteure in der Pflege sind zu schaffen", fordert Thomas Meißner, Vorstand des AnbieterVerbandes qualitätorientierter Gesundheitseinrichtungen (AVG). Denn: "Die derzeitige Situation, dass Leasingfirmen keinen Versorgungsdruck und keine Verpflichtungen ähnlich derer der Unternehmen in der Pflege haben, stellt die Pflege auf den Kopf."

Dirk Baas