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Wenn Operationen schädlich für Patienten sind




Operationssaal in einem Herzzentrum
epd-bild/Werner Krüper
Patienten in Deutschland werden oft unnötig operiert. Häufig lösen Krebsvorsorgeuntersuchungen überflüssige Eingriffe aus. Auch finanzieller Druck der Kliniken sowie hohe Patientenerwartungen führen zu mehr Behandlungen.

Jährlich zahlen Millionen Menschen aus eigener Tasche Vorsorgeuntersuchungen, um einem möglichen Krebs früh auf die Spur zu kommen. Tests auf Prostata- und Eierstockkrebs gibt es ab je 25 Euro. Tatsächlich aber taugen vorsorgliche Ultraschalluntersuchungen auf Eierstockkrebs und Bluttests auf Prostatakrebs nur wenig, wie aktuelle Studien zeigen. Experten warnen: "Überdiagnosen" führen oft zu Schäden. Männer müssen durch unnötige Operationen im Extremfall mit Inkontinenz und Impotenz rechnen, Frauen mit dem vorzeitigen Eintritt in die Wechseljahre.

Beide Krebsvorsorgeuntersuchungen bieten Ärzte in ihren Praxen als sogenannte IGeL-Angebote (Individuelle Gesundheitsleistungen) an, die Patienten selbst bezahlen müssen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur dann, wenn ein konkreter Verdacht auf eine Erkrankung vorliegt.

IGel-Leistungen umstritten

Tanja Wolf, Gesundheitsmarkt-Expertin bei der nordrhein-westfälischen Verbraucherzentrale, mahnt zu Vorsicht bei solchen Selbstzahlerleistungen. Die IGeL-Angebote ließen sich zwar nicht generell als "Geldmacherei" pauschalisieren, für Patienten sei aber kaum zu durchschauen, welche Angebote für sie die richtigen seien. "Viele Patienten denken, dass eine Vorsorgeuntersuchung sinnvoll ist, wenn der Arzt sie ihnen vorschlägt", sagte Wolf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei könnten Laien kaum wissen, dass der Nutzen einiger IGel-Leistungen wissenschaftlich umstritten sei.

Im Jahr 2018 zahlte schätzungsweise jede 13. Frau ab 35 Jahren privat für einen vorsorglichen Ultraschall der Eierstöcke - insgesamt sind das 2,1 Millionen Untersuchungen. Die Wahrscheinlichkeit, fälschlicherweise bösartige Veränderungen zu entdecken, ist bei der Untersuchung hoch, besagt eine Studie der Bertelsmann Stiftung von November 2019.

Ein solcher falsch-positiver Befund belaste die Frauen nicht nur psychisch, sondern führe auch oft zu unnötigen und risikoreichen Eingriffen. Nur bei zehn Prozent der operierten Frauen entdeckten die Ärzte im entnommenen Gewebe tatsächlich Eierstockkrebs. Bei 90 Prozent bestätigte sich der Verdacht nicht.

PSA-Test auf Prostatakrebs: Schaden überwiegt Nutzen

Ähnlich schlecht schneidet der Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebs bei Männern ab. Der Nutzen durch den PSA-Test auf das sogenannte Prostata-spezifische Anti-Gen (PSA) wiege die Schäden durch überflüssige Behandlungen und Operationen nicht auf, ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit mehr als 400.000 Teilnehmern.

Der Bluttest helfe zwar einigen Männern, indem er ihnen die Krebserkrankung erspare oder verzögere. Gleichzeitig verängstigte ein falsches Testergebnis aber deutlich mehr Männer, kritisiert das Institut. Drei von 1.000 Männern müssten durch falsche Diagnosen und die anschließende Behandlung mit dauerhafter Inkontinenz rechnen, 25 von 1.000 Patienten zusätzlich sogar mit Impotenz.

Wasem: Operieren ist wirtschaftlich attraktiv

Doch nicht nur umstrittene Krebsvorsorgeuntersuchungen führen in Deutschland zu fragwürdigen Operationen. Der Vorwurf, dass Patienten im deutschen Gesundheitssystem nicht notwendige medizinische Leistungen erhalten, hält sich hartnäckig. "In einem Graubereich, wo man abwartend beobachten oder operieren kann, ist das Durchführen von Operationen zumeist das ökonomisch Attraktivere", sagte der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem dem epd. Kliniken in Deutschland seien einem erheblichen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Zusätzlich seien die Krankenhäuser gedrängt, eine jährliche Mindestmenge an Operationen zu erfüllen, damit die Kassen die Eingriffe zahlen.

Die Bertelsmann Stiftung führt als Ursache für überflüssige Leistungen auch die hohen Erwartungen der Patienten an. Zwar seien rund die Hälfte der befragten Bürger der Meinung, dass oft medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht würden. Andererseits stimmten 56 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass jede Therapie besser sei als abwarten und nichts tun. "Es gibt auch bei Patienten die Erwartung, dass zwingend etwas gemacht werden muss - wie bei einem Auto in der Werkstatt", bestätigt Verbraucherschützerin Wolf.

Wenn Angst der Ratgeber ist

Doch "Viel hilft viel" gilt nicht im Gesundheitssystem. Bei Prostatakrebs sei es zum Beispiel nicht zwingend nötig, direkt zu operieren, sagt Wolf. Der Krebs wachse nur sehr langsam und trete in der Regel erst bei älteren Männern auf. "Viele der Männer sterben nicht an der Krebserkrankung, sondern an etwas anderem", betont Wolf. Trotzdem entscheide sich der Großteil der Männer für eine womöglich folgenreiche Operation. "Sie hören Krebs, haben Angst und wollen, dass der Tumor so schnell wie möglich entfernt wird."

Andrea Krull, Vorsitzende des Vereins Eierstockkrebs Deutschland, kann die Ängste der Patienten nachvollziehen. Sie findet, dass es bei einem Verdacht auf Eierstockkrebs ein in Kauf zu nehmendes Übel ist, wenn Frauen durch die OP die Eierstöcke teils oder ganz entfernt werden, auch wenn sich der Krebsverdacht anschließend nicht bestätigt. Dieser Krebs sei für Gynäkologen sehr schwer zu diagnostizieren und verlaufe in den ersten fünf Jahren zu 80 Prozent tödlich, mahnt Krull.

Patricia Averesch