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"Eine gute Geburt ist unserer Gesellschaft zu wenig wert"




Hebammenprotest
epd-bild/Friedrich Stark
Ein Kind zu bekommen, ist etwas Wunderbares. Doch Personalmangel und Kreißsaalschließungen verhindern oft eine stressfreie Geburt. Vertreterinnen von "Mother Hood" setzen sich für eine bessere Betreuung von Müttern und Babys ein.

Es ist eine aufregende Zeit für die Schwangere, als die Geburt naht: Die Geburtsklinik ist ausgesucht, der Fahrtweg geplant, die Tasche gepackt. Doch als die junge Frau mit Wehen in der Klinik ankommt, ist diese überfüllt. Sie wird an der Kreißsaaltür abgewiesen und muss sich eine andere Klinik suchen. Leider kein Einzelfall, sagen Vertreterinnen des deutschlandweit tätigen Vereins "Mother Hood" mit Sitz in Bonn, in dem sich Mütter, Hebammen und Frauenärztinnen vor fünf Jahren zusammengeschlossen haben.

Wohnortnahe Geburtshilfe

Durch Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung, würden Frauen trotz Geburtswehen immer öfter abgewiesen. Allein in Berlin passierte das im Jahr 2018 einer parlamentarischen Anfrage der Linken zufolge fast 400 schwangeren Frauen.

Doch nicht nur in Großstädten, auch in ländlichen Gebieten herrscht Unterversorgung. In Baden-Württemberg müssten Schwangere kurz vor der Entbindung bei der gewählten Geburtsklinik anrufen, ob sie dort überhaupt ihr Kind bekommen können oder eine andere Klinik aufsuchen müssen, sagt Sabrina Capper, die die Ortsgruppe Karlsruhe von "Mother Hood" leitet. Somit sei eine sichere Geburtshilfe nicht mehr überall gegeben. Fahrzeiten von 45 Minuten und mehr gefährdeten zudem Mutter und Kind, kritisiert die dreifache Mutter.

"Geburtshilfe ist eine Akutversorgung, die auch Notfallversorgung umfasst, und sollte daher wohnortnah zur Verfügung stehen", fordert "Mother Hood". Die deutschlandweite Initiative setzt sich eine stressfreie Schwangerschaft sowie eine sichere und selbstbestimmte Geburt mit freier Wahl des Geburtsortes ein. Zu den Hauptforderungen des Vereins gehört auch die Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Hebamme.

Traumatisiert nach der Geburt

Es geht den Beteiligten aber auch darum, Missstände rund um die Geburt aufzudecken. Das seien nicht nur eine fehlende sachgerechte Aufklärung, medizinisch nicht indizierte Untersuchungen oder die Gabe von Medikamenten ohne weitere Erklärung, sagt Capper. Dazu gehörten auch abschätzige Bemerkungen über das Verhalten oder Aussehen der Schwangeren ebenso wie körperliche und verbale Gewalt, zum Beispiel Drohungen nach dem Motto: "Wenn sie nicht zustimmen, stirbt ihr Kind."

Capper berichtet von Frauen, die Ohnmacht und Angst, Respektlosigkeit und Gewalt vor und während der Niederkunft erlebt haben. Sie berichtet vom Geburtstrauma einer Frau, deren Arzt sich ohne Vorwarnung mit voller Wucht auf ihren Bauch wirft, um das Kind aus ihr zu pressen. Anschließend sei diese ohne zusätzliche Schmerzmittel wieder zugenäht worden. Statt eine glückliche Mutter zu sein, leide die Frau unter Flashbacks, Alpträumen und Panikattacken. Sie sei mit ihrem Baby überfordert, könne keine Bindung aufbauen.

Oft suchten die Mütter die Schuld bei sich, wenn es zu Komplikationen kommt, so die Erfahrung der freiberuflichen Hebamme Anja Lehnertz, die ebenfalls bei "Mother Hood" Karlsruhe aktiv ist. Nur selten gebe es Ansprechpartner für junge Mütter. Auch nachträgliche Gespräche im Wochenbett seien selten. "Das muss sich ändern", fordert Lehnertz, die auch als "Hebamme am Limit" bei Facebook bekannt ist. Schlimme Erlebnisse unter der Geburt könnten Traumata auslösen, bei Müttern und Kindern.

Ein wertschätzender Umgang

Es sei ein "gravierendes Problem" wie geringschätzig und missbräuchlich Gebärende in vielen Ländern behandelt würden, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon 2015. Als Beispiele werden etwa körperliche Misshandlung, tiefe Demütigung und verbale Beleidigung, aufgezwungene vorgenommene medizinische Eingriffe, Verweigerung der Schmerzbehandlung oder eine grobe Verletzung der Intimsphäre genannt: "Jede Frau hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitsstandard. Dies beinhaltet das Recht auf eine würdevolle und wertschätzende Gesundheitsversorgung."

"Eine gute Geburt ist unserer Gesellschaft immer noch zu wenig wert", sagt Hebamme Lehnertz. Dabei gehe es um das Wohl von zwei Personen, Mutter und Kind. Auch die Hebammen könnten etwas ändern. Auch unter Zeitdruck sei es immer noch möglich, einer Frau in zwei, drei Sätzen die notwendigen Maßnahmen zu erklären und wertschätzender mit der Schwangeren umzugehen - damit ein guter Start in ein gemeinsames Leben gelinge.

Christine Süß-Demuth