sozial-Politik

Senioren

Das Alter ist bunt oder "Die Alten gibt es nicht"




Hermann Döbber (re.) mit seinem Trainingspartner Hans-Jürgen Thran
epd-bild/Michael Ruffert
Mehr als 22 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ist älter als 65 Jahre. Die Lebenssituationen der älteren Menschen und ihre Risiken sind in der Corona-Krise sehr unterschiedlich verteilt.

Sein Gesicht ist leicht gerötet, die Backen aufgeblasen, die Armen schwingen kräftig mit: Das Foto zeigt Hermann Döbber im Sport-Shirt kurz vor dem Ziel und dem Sieg bei den Deutschen Meisterschaften im 60-Meter-Lauf in Erfurt vor vier Jahren. Er legt die Strecke in 9,47 Sekunden zurück – und lässt damit die anderen 80-Jährigen hinter sich. Döbber, Jahrgang 1936, holt den 1. Platz in der Altersgruppe M80, in der sich immer noch viele Athleten um die Plätze auf dem Treppchen streiten. "Ich habe mein Leben lang Sport getrieben und fühle mich fit und gesund", sagt der heute 83-Jährige aus Haltern am See. Dabei gehört er in der Corona-Pandemie offiziell zur Risikogruppe. Denn das Virus schlägt besonders im Alter zu: 86 Prozent der inzwischen rund 8.300 Todesopfer sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts älter als 70 Jahre.

Lebensalter nicht entscheidend

Doch Beispiele wie das von Hermann Döbber, der immer noch jede Woche seine Runde auf dem Sportplatz dreht und weiter Meistertitel holt, zeigen, dass pauschale Aussagen oft nicht zutreffen. "Das Alter ist bunt, und wir müssen uns hüten, verallgemeinernd über ältere Menschen zu sprechen", sagt Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen. Nicht das Lebensalter sei entscheidend für das Risiko, das von Covid-19 ausgehe, sondern der Gesundheitszustand und die Vorerkrankungen. Er sieht die Gefahr, dass stereotype Aussagen über die "Alten", die man schützen müsse, dazu beitragen, dass Altersdiskriminierung zunimmt und der Generationenkonflikt befeuert wird.

Fast 18 Millionen Deutsche sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes älter als 65 Jahre. Das sind rund 22 Prozent der Bevölkerung - und ihr Anteil nimmt weiter zu. Wie unterschiedlich die Lebensphase "Alter" ausgeprägt ist, untersucht des Zentrum für Altersfragen alle drei Jahre: Für den Deutschen Alterssurvey werden repräsentativ bundesweit Menschen befragt, die sich in der "zweiten Lebenshälfte" befinden, also 40 Jahre und älter sind.

Dabei wird auch die "funktionale Gesundheit" erhoben. Die Menschen in den verschiedenen Altersgruppen werden befragt, inwieweit sie in der Lage sind, ihren Alltag zu bewältigen. Sie müssen erklären, wie schwer ihnen bestimmte Tätigkeiten gefallen: Einkaufstaschen tragen, Treppensteigen, sich beugen, knien, bücken, mehr als einen Kilometer zu Fuß gehen.

So schnell wie lange nicht mehr

Auf die Frage, ob ihm solche Aktivitäten schwer fallen, kann Hans-Jürgen Thran nur lächeln. Der 74-Jährige gehört zu den trainingsfleißigsten Läufern bei seinem Verein "Spiridon Haltern", dreht jede Woche seine Runden um den Sportplatz – und mischte im vergangenen Jahr ganz vorne bei den Deutschen Seniorenmeisterschaften im Mittelstreckenlauf mit: Er startete über 400, 800, 1.500 und 5.000 Meter. Mit seiner Zeit über 1.500 Meter (6,12 Minuten) war er besonders zufrieden: "Da war ich so schnell wie lange nicht mehr."

Thran macht sich keine große Gedanken darüber, dass er "zur Risikogruppe" gehört. "Ich halte mich an die Regel und trage jetzt natürlich die Maske beim Einkaufen", erzählt der ehemalige Polizeibeamte. In der kritischen Phase der Pandemie hat er seine Laufrunden gedreht, jetzt geht er unter Einhaltung der Hygiene Regeln auch wieder ins Fitness-Studio.

Thran und Hermann Döbber sind gute Beispiele dafür, dass Aussagen, wie "alle alten Menschen haben einen schlechten Gesundheitszustand" oft nicht stimmen. "Zwischen Menschen desselben Alters kann es sehr große Unterschiede geben", betont Tesch-Römer. Dabei spielt nicht nur die körperliche Aktivität, sondern auch der ausgeübte Beruf und die Bildung eine große Rolle.

Funktionale Gesundheit

Menschen, die körperlich schwer arbeiten mussten, sind im Alter gesundheitlich oft stärker angeschlagen, als diejenigen, die mit guter Ausbildung im Büro tätig. "Mehr Menschen im Alter von 75 bis 84 Jahren mit hoher Bildung haben häufiger eine sehr gute funktionale Gesundheit als Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren mit niedriger Bildung", geht aus dem Deutschen Alterssurvey hervor. "Praktisch für alle Altersgruppen über 40 gilt, dass Menschen mit hoher Bildung eher eine gute funktionale Gesundheit haben", betont Tesch-Römer.

Mit seinen 83 Jahren leitet Hermann Döbber noch eine Seniorengymnastik-Sport-Gruppe. Vor der Corona-Krise trafen sich wöchentlich rund 20 Aktive ab 50 Jahren, die er lautstark zu Sprints, Ballspielen und gymnastischen Übungen antrieb. "Nur ein Teilnehmer ist mit 84 Jahren älter als ich", sagt Döbber. Ihm fehlen derzeit die Senioren-Wettkämpfe. Und das dortige Gespräch mit einem Sportkameraden aus Dormagen. Der ist über 90 Jahre alt – und gewinnt, erzählt Döbber, regelmäßig den 60-Meter-Lauf in der Altersgruppe M90.

Michael Ruffert