sozial-Recht

Landessozialgericht

Kein gemeinsames Wirtschaften bei alleinstehenden Flüchtlingen



Bei der gesetzlichen Absenkung von Asylbewerberleistungen für alleinstehende Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft bestehen "erhebliche Zweifel gegen die Verfassungsmäßigkeit". Wie das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern in Neustrelitz in einem am 18. Juni bekanntgegebenen Beschluss klarstellte, gibt es keine Belege dafür, dass die betroffenen Flüchtlinge in der Unterkunft "gemeinsam wirtschaften" und daher mit geringeren Leistungen auskommen können.

Der Gesetzgeber hatte für alleinstehende Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften ab 1. September 2019 eine neue Bedarfsstufe mit abgesenkten Asylbewerberleistungen vorgesehen. Dem liegt die pauschale Annahme zugrunde, dass die Flüchtlinge in der Unterkunft mit anderen Asylbewerbern "gemeinsam wirtschaften" und daher Einspareffekte etwa beim Einkauf von Lebensmitteln erzielen.

Bezüge um zehn Prozent gekürzt

So erhielt der geduldete ägyptische Beschwerdeführer nur 90 Prozent der Bedarfsstufe 1 für Alleinstehende, weil er in einer Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis Vorpommern-Greifswald wohnt.

Das LSG gab dem Eilantrag auf höhere Leistungen nun statt. Es gebe "erhebliche Zweifel", dass die neu geregelte Bedarfsstufe verfassungswidrig sei. Sie verstoße gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den allgemeinen Gleichheitssatz. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteilen vom 18. Juli 2012 vorgeschrieben, dass der Gesetzgeber zu einer transparenten und bedarfsgerechten Bemessung der Leistungssätze und deren Fortschreibung verpflichtet ist.

Hier habe der Gesetzgeber jedoch pauschal angenommen, dass alleinstehende Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen ähnlich wie Paare "gemeinsam aus einem Topf wirtschaften". Wegen der Einspareffekte könne daher von einem niedrigeren Bedarfssatz ausgegangen werden.

Caritas: Lebensfremde Sicht

Doch wie bereits eine Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes zeigt, sei ein derartiges Wirtschaften "aus einem Topf" lebensfremd. "Auch dem Senat erscheint nicht nachvollziehbar, warum Fremde, oftmals aus unterschiedlichen Herkunftsregionen und Kulturkreisen, ähnlich wie Paare gemeinsam wirtschaften sollten", heißt es in dem Beschluss. Das sei vom Landkreis auch nicht belegt worden.

Weil es sich um ein Eilverfahren handelte, musste das LSG trotz seiner verfassungsrechtlichen Zweifel das Verfahren nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Das ist dem Hauptverfahren vorbehalten.

Az.: L 9 AY 22/19 B ER