sozial-Politik

Medizinethik

Fricke: Nächstenliebe nicht zu aufgedrängter Nächstenhilfe machen




Otto Fricke
epd-bild/Christian Ditsch
Im Bundestag wird über ein Gesetz zur Ermöglichung und Regulierung der Hilfe bei der Selbsttötung diskutiert. Einer von zwei Vorschlägen wurde von dem FDP-Politiker Otto Fricke initiiert. Im Interview erläutert er seine Motive.

Otto Fricke gehört zu den Initiatoren eines der beiden bereits veröffentlichten Vorschläge zur Reform der Sterbehilfe. Der Haushaltspolitiker, früher Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), was ihn dazu bewogen hat, wie seine liberale Haltung mit seinem Glauben zusammenpasst und warum er glaubt, dass legale Sterbehilfe sogar Leben schützen kann. Die Fragen stellte Corinna Buschow.

epd sozial: Herr Fricke, Sie gehören zu den ersten Unterzeichnern eines Entwurfs für eine Regelung der Suizidassistenz. Was hat Sie dazu bewogen?

Otto Fricke: Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes haben wir die Notwendigkeit, etwas zu tun. Wir haben jetzt eine Nichtregulierung, die dazu führt, dass alle in Unsicherheit gelassen werden: diejenigen, die leiden, und diejenigen, die beraten und helfen. Außerdem finde ich es richtig, darüber zu reden. Es gibt in unserer Gesellschaft Hemmungen, sich mit Fragen des Todes zu beschäftigen. Deswegen muss man mehr darüber sprechen. Auch mein christlicher Glaube spielt hier eine Rolle.

epd: Wie passt ihr Vorschlag, der Suizidassistenz vor allem ermöglichen will, damit zusammen? Viele Kirchenvertreter sind skeptisch. Sie sagen, das Leben ist ein Geschenk Gottes, das der Mensch nicht von sich aus zurückgeben soll.

Fricke: Als jüngerer Abgeordneter dachte ich selbst noch anders. Ich war damals eher der Meinung, wir kommen hier an den Kernbereich, wo Leben absolut geschützt werden muss. Die Frage ist aber weniger, wie ich das selbst sehe. Ich wäre sehr viel defensiver bei der Frage, ob ich Suizidassistenz für mich in Anspruch nehmen würde. Aber ich muss unterscheiden zwischen dem Christen als Individuum und dem Christen als Parlamentarier. Wenn der Herrgott mich in die Position als Gesetzgeber gestellt hat, kann ich nicht nur überlegen, was für mich richtig ist, sondern für die Gesellschaft.

epd: Und das ist?

Fricke: Ich sehe das so: Man darf die Nächstenliebe nicht zu einer aufgedrängten Nächstenhilfe machen. Und wenn man mit dem Geschenk des Lebens argumentiert, muss ich auf der anderen Seite auch auf die Lebensverlängerung schauen.

epd: Wie meinen Sie das?

Fricke: Wir haben heute in weitem Maß Möglichkeiten zur Verlängerung des ursprünglich gottgegebenen Lebens. Dabei müssen wir auch erkennen, dass pure Lebensverlängerung kein Lebensschutz ist, jedenfalls solche nicht, die man nur ausübt, weil man es kann. Auch die Ärzteschaft hat nach meiner Wahrnehmung den Widerspruch erkannt, der entsteht, wenn medizinischer Fortschritt immer längeres Leben, damit aber auch immer längeres Sterben ermöglicht.

epd: In Ihrem Gesetzesvorschlag spielen Ärzte die zentrale Rolle. Sie könnten künftig die tödlich wirkenden Mittel verschreiben. Was macht Sie sicher, dass die das überhaupt wollen?

Fricke: Ich bemerke einen Generationswechsel - weg vom Paradigma, dass der Arzt um jeden Preis Leben erhalten soll, hin zu dem, dass der Arzt ein möglichst gutes Leben ermöglichen soll. Bei mir haben sich in letzter Zeit viele Ärzte gemeldet. Sie wollen eine Regelung, auf der anderen Seite aber auch, dass sie durch eine Regelung nicht zu sehr eingeengt werden. Was klar ist: Kein Arzt soll gezwungen werden, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten.

epd: Es wird also zwei Sorten von Ärzten geben?

Fricke: Ich hoffe, dass sich die Ärzteschaft nicht spaltet - in die, die das Leben erhalten, und die, die es beenden. Der Arzt sollte weiter ständiger Begleiter seiner Patienten sein, im Leben und im Sterben. Ein ethisches Dilemma sehe ich aber, über das wir noch reden müssen: Je mehr ein Arzt bestimmte Eingriffe vornimmt, desto mehr Erfahrung und fachliche Kompetenz hat er. Das gilt in allen Bereichen der Medizin, genauso auch hier.

epd: Ihr Gesetzentwurf sieht eine verpflichtende Beratung vor. Wer soll die machen?

Fricke: Das Bundesverfassungsgericht schreibt uns vor, dass wir den freien Willen nicht beeinflussen, sondern stärken sollen, egal in welche Richtung er geht. Also brauche ich Leute, die beispielsweise auf mögliche kurzsichtige Entscheidungen eingehen - wie den 19-Jährigen mit Liebeskummer. Die konkrete Ausgestaltung der Beratungsstellen würde aber bei den Ländern liegen. Bundesberatungsstellen passen nicht ins deutsche System. Deswegen muss das Gesetz auch zustimmungspflichtig durch den Bundesrat sein.

epd: Sehen Sie auch die Kirchen als mögliche Anbieter solcher Beratung?

Fricke: Ja, es wäre ein Weg für die Kirchen, ihr Angebot zu machen. Es wird beim Aufbau dieses Beratungssystems, wenn es so kommt, auch darum gehen, ob es seelsorgerliche Begleitung gibt oder nicht. Ich finde ausdrücklich: ja. Da sind im Gesetzentwurf aus meiner Sicht noch Änderungen möglich.

epd: Einer der umstrittensten Punkte bei der Sterbehilfe ist der Umgang mit Minderjährigen. Wie sehr ringen Sie persönlich damit?

Fricke: Sehr, aber wenn man das Bundesverfassungsgericht ernst nimmt, kann man sie nicht ausschließen. Das Urteil lässt aber zu, dass die Anforderungen bei Minderjährigen viel, viel höher sind, auch wenn wir 16-Jährigen teilweise immer mehr Rechte geben. Altersbegrenzungen müssen differenziert nach dem Schutzzweck festgelegt werden. Bestimmte Dinge kann man mit 16, andere nicht. Wählen kann man dann meiner Meinung nach. Die Inanspruchnahme von Suizidassistenz geht nur in Ausnahmen.

epd: Wer soll darüber entscheiden?

Fricke: Nach unserem Vorschlag muss bei der Beratung beurteilt werden, ob ein autonomer Wille vorliegt oder ob derjenige entwicklungspsychologisch nicht reif für diese Entscheidung ist. Klar wäre für mich aber, dass ein Berater erst einmal sagt, wenn er einen 16-Jährigen vor sich hat: Eigentlich geht das noch nicht.

epd: In der evangelischen Kirche wird gerade darüber gestritten, ob Suizidassistenz auch in kirchlichen Häusern möglich sein soll. Manche wünschen sich Klauseln im Gesetz, um das auszuschließen. Wie sehen Sie das?

Fricke: Das finde ich schwierig. Meiner Meinung nach sollte das eher in den Verträgen der einzelnen Häuser festgehalten werden. Ich sehe diesen Ausschluss mit der Konsequenz, dass jemand dann die Einrichtung verlassen muss, kritisch. Das wäre das typische Alleinlassen und damit seelsorgerlich das Falsche.

epd: Gerade in den Kirchen wird befürchtet, dass durch das Angebot der Suizidassistenz der Druck auf Alte und Schwache wächst, dieses auch in Anspruch zu nehmen. Was entgegnen Sie?

Fricke: Diese Annahme basiert auf einem sehr schlechten Menschenbild. Sie geht davon aus, dass die Gesellschaft mehrheitlich einen solchen Druck laufen lassen würde statt sich ihm zu widersetzen. Vielleicht habe ich da ein bisschen mehr Gottvertrauen in meine Mitbürger. Es ist nach allem, was ich aus den Niederlanden weiß, eher so, dass die Möglichkeit zur Suizidassistenz Menschen die Angst nimmt, zu lange leiden zu müssen. Es ist doch so: Wenn ich gesellschaftlich bewusst mache, dass es den Weg der Suizidassistenz gibt, sage ich Leidenden: Ihr habt nicht nur den Weg der Illegalität. Und auf dem legalen Weg kann man sich jederzeit umentscheiden. Es ist also sogar eine Chance, Leben zu schützen.

epd: Es gibt inzwischen einen eigenen Gesetzesvorschlag von Strafrechtlern, die auch eine Aufweichung der Tötung auf Verlangen fordern. Sie argumentieren, Suizidassistenz komme nicht für jeden infrage. Bleibt die aktive Sterbehilfe für Sie ein Tabu?

Fricke: Tabus gibt es nur für Gesetze, die gegen die Verfassung verstoßen. Dennoch bin ich nicht bereit, diese Frage im Zusammenhang mit diesem Gesetz zu diskutieren. Wenn der Gesetzgeber versucht, für jeden Fall Vorausschau zu betreiben, macht er durch eine Überbelastung mit Spezialfällen die bessere Beherrschung des Alltäglichen kaputt.



Mehr zum Thema

Ringen um ein neues Sterbehilfe-Gesetz

Vor einem Jahr kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot organisierter Hilfe beim Suizid. Der Gesetzgeber ringt mit den Konsequenzen des Urteils. Ein Teil des Bundestags will ein liberales Sterbehilfe-Gesetz durchsetzen, ein anderer zögert.

» Hier weiterlesen