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Obdachlosigkeit

Wohnungslose in der Pandemie unter Druck



Die Pandemie führt zu einer geringeren Nutzung der Angebote der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe. Das belegen neue Daten aus Baden-Württemberg. Zugleich steigt jedoch die Not der Betroffenen, auch, weil es immer schwerer wird, eine günstige Wohnung zu finden.

Im vergangenen Jahr haben weniger Menschen als in den Vorjahren die Einrichtungen der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg aufgesucht. Das geht aus der jährlichen Erhebung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege hervor, die am 25. Februar in Stuttgart vorgestellt wurde. Der Rückgang spiegelt laut Sabine Oswald vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg nicht das ganze Ausmaß der Not wider. "Die Zahlen sind ein Ergebnis der Infektionsschutzmaßnahmen," sagte die für den Liga-Unterausschuss Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe zuständige Oswald. Die Not in Baden-Württemberg sei weiterhin groß.

"Wohnungslosigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen," sagte Oswald. Für Erzieherinnen, Pflegekräfte, Sozialarbeiter oder Beschäftigte bei der Müllabfuhr sei in Ballungszentren kaum noch eine Wohnung zu finden. Viele würden bei Freunden übernachten. "Allein in Stuttgart warten aktuell 4.900 Menschen auf eine Sozialwohnung." Gebraucht würden vor allem kleine, preiswerte Wohnungen in der Stadt.

Wachsende Wohnungsnot

Die Umwidmung freier Büroflächen in Wohnraum sehen Oswald und ihre Kollegin beim Diakonischen Werk Württemberg, Gabriele Kraft, skeptisch. Diese Flächen seien zu lukrativ, um sie zu Sozialwohnungen umzubauen. Sie stelle sich vielmehr eine neue "Quartiersentwicklung" in den Ballungsräumen vor, um der wachsenden Wohnungsnot zu begegnen, sagte Oswald.

Kraft ergänzte: "Wir brauchen ein Förderprogramm für Wohnraum". Sie forderte darüber hinaus eine dauerhafte Sozialbindung entsprechender Wohnungen. Präventive Maßnahmen wie etwa die Übernahme von Mietrückständen durch Sozialhilfeträger könnten helfen, dass Familien gar nicht erst in die Wohnungslosigkeit geraten.

Sabine Oswald und Gabriele Kraft erwarten einen Anstieg der Wohnungslosigkeit. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, sinkende Einkommen oder der Wegfall von Beschäftigungsverhältnissen gerade bei Solo-Selbstständigen führten absehbar bei vielen Menschen in die Überschuldung und Armut. "Wir befürchten eine Riesenwelle in den Sozial-, Wohnungslosen- und Schuldnerberatungen," sagte Kraft. Bereits jetzt gebe es lange Wartelisten bei den Beratungsstellen.

Soforthilfen des Landes

Kontaktbeschränkungen, Abstands- und Distanzgebote, die Minderbelegung von Einrichtungen zur Reduktion des Ansteckungsrisikos, vorzeitige Haftentlassungen oder die Verschiebung von Haftstrafen in Fällen, wo die öffentliche Sicherheit nicht bedroht ist, führten zu einer Mehrbelastung der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg. Corona treffe Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen besonders hart, so Oswald.

Mit 900.000 Euro Soforthilfen für Wohungslose unterstützte das Land die Kommunen im vergangenen Winter bei der zusätzlichen Anmietung von Notunterkünften. In den Wärmestuben, Tagestreffs und Fachberatungsstellen fehlten allerdings ausreichend FFP2-Masken. Es gebe keine Teststrategie. Unklar sei zudem, wie eine Impfung - sowohl der Mitarbeiter in den Notunterkünften sowie der Wohnungslosen selbst - vonstattengehen solle, erklärte die Vorstandsvorsitzende der Liga Baden-Württemberg, Annette Holuschka-Uhlenbrock.

Susanne Lohse


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