sozial-Politik

Häusliche Gewalt

Was Opfer prügelnder Partner erleben




Jede vierte deutsche Frau wird Opfer häuslicher Gewalt.
epd-bild/Steffen Schellhorn
Unzählige Frauen in Deutschland werden jedes Jahr Opfer von häuslicher Gewalt. Viele brauchen Jahre, um sich aus einer von Gewalt geprägten Partnerschaft zu befreien. Nur wenige haben die Kraft, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Lächeln, bis das Gesicht wehtut, das hat sich Verena Roth zum Motto gemacht. Der Spruch "Smile till your face hurts" hängt eingerahmt in ihrer kleinen Küche irgendwo am Rand des Rhein-Main-Gebiets. Verena Roth heißt in Wirklichkeit anders, aus verständlichen Gründen möchte sie ihren Namen nicht in der Presse lesen. Aber sie hat eine Geschichte zu erzählen. Vier Jahre lang wurde sie von ihrem damaligen Lebensgefährten fortlaufend brutal misshandelt und gedemütigt. Heute findet sie nur langsam zurück in einen Alltag ohne ständige Angst.

Bis heute berufsunfähig

"An schlechten Tagen habe ich gedacht, du kannst nichts mehr verlieren", sagt Verena Roth. Zwei Jahre ist es jetzt her, dass sie den tyrannischen Mann verlassen hat. Aber an so etwas wie Zukunftspläne kann sie erst seit einigen Monaten wieder denken. Berufsunfähig ist die einstige Angestellte bis heute.

Die Hände der jungen Frau zittern etwas, als sie in ihren Unterlagen nach einem orangefarbenen Ordner sucht. Darin steckt eine Liste mit den schwersten Übergriffen und Demütigungen: kaputtes Trommelfell, schwere Verletzungen am Rücken und immer wieder Quetschungen an den Händen: "Das sind die Sachen, die außer der Reihe passiert sind."

Nach den Attacken konnte sie sich vor Schmerzen oft tagelang nicht mehr rühren. Auf Anraten von Ärzten besucht sie mittlerweile eine Rentner-Rückenschule. Dort ist sie die jüngste Teilnehmerin und muss doch oft vor einfachen Aufgaben kapitulieren.

Dass der Mann bei den Attacken keine Waffen oder Gegenstände eingesetzt habe, sei eiskaltes Kalkül gewesen, glaubt sie. Denn falls sie doch einmal zur Polizei gegangen wäre, wäre der vorbestrafte Täter nicht wegen gewöhnlicher, sondern gefährlicher Körperverletzung belangt worden. Dabei hätte er deutlich härtere Strafen befürchten müssen.

Verhängnisvoller Irrtum

Der Entschluss, zu dem älteren Bekannten zu ziehen, war in einer Notsituation gefallen. Verena Roth war von einem Ex-Freund regelrecht gestalkt worden und suchte dringend eine neue Bleibe. Doch das Leben mit dem vermeintlichen Gönner erwies sich schnell als Hölle auf Erden.

Statt sich von dem Täter sofort zu trennen, fiel die Frau in eine Starre. Zu viele Probleme prasselten gleichzeitig auf sie ein: Sie war auf Jobsuche, brauchte eine Wohnung, hatte auch Ärger in der Familie und wusste nicht, mit welcher Herausforderung sie beginnen sollte.

"Die Außenstehenden haben keinen Namen für das", sagt Verena Roth über ihre Erlebnisse. Lange versuchte sie selbst, die Übergriffe zu vertuschen: "Der Kosmetikindustrie sei Dank kann man auch mal einen blauen Fleck übertünchen." Anfangs wollte sie ihre Probleme einfach alleine lösen. Damit niemand Verdacht schöpfen konnte, wechselte sie ständig die Ärzte. Später, als sie sich selbst nach Hilfe sehnte, hätten alle weggeschaut. Die Nachbarn hätten zwar mitbekommen, wie ihr Partner sie auf die Veranda schleifte, aber geschwiegen. Die gemeinsamen Bekannten hätten ebenfalls weggesehen oder ihr die Schuld an der Gewalt gegeben.

Furcht vor Racheakten

Seit mittlerweile 40 Jahren kümmert sich die Opferschutzorganisation "Weißer Ring" um Gewaltopfer wie Roth. Hinter den vermeintlich beschaulichen Fassaden gebe es viel Gewalt und Missbrauch, seufzt die ehrenamtliche Helferin Gabriele Schuster: "Aber das ist einer der heftigsten Fälle, die ich je erlebt habe." Nach Einschätzungen des Bundesfamilienministeriums ist in Deutschland jede vierte Frau im Alter zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal im Leben Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt in einer Beziehung geworden. Das Risiko sei somit höher als bei anderen Gewaltdelikten.

Anzeige hat Verena Roth nicht erstattet, einerseits aus Furcht vor Racheakten des Ex-Partners, andererseits aber auch, weil eine Verurteilung des Mannes nach all den Jahren keineswegs eine ausgemachte Sache gewesen wäre. Eine Aussage vor Gericht kann sie sich ebenfalls kaum vorstellen: "Ich glaube, das würde ich nicht durchstehen, man müsste mich unter Valium dort hinsetzen." Die Entscheidung sei ihr alles andere als leichtgefallen: "Ich weiß, dass es mit einer anderen Frau noch einmal passieren kann."

Karsten Packeiser

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