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Pflege

Wenn die "polnische Perle" legal arbeitet




In der häuslichen Pflege tummeln sich viele schwarze Schafe. Die Diakonie setzt auf eigene Angebote.
epd-bild / Jörn Neumann
Fair Care steht für eine angemessene Bezahlung in der Pflege. Obwohl das Fair-Care-Projekt in der Pilotphase noch unter mangelnder Resonanz litt, hat es sich nun etabliert. Die Nachfrage wächst, sagen die Organisatorinnen.

Man kann lange damit rechnen, und doch kommt es meist unerwartet: Wenn ein enger Verwandter plötzlich zum Pflegefall wird, wirft es die Familie häufig aus der Bahn. Tausend Fragen stürzen auf die Betroffenen ein. "Die Angehörigen sind oft total verzweifelt und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen", sagt Tetiana Darchiashvili, eine der Mitarbeiterinnen von Fair Care im Verein für Internationale Jugendarbeit (vij) Württemberg im Verbund der Diakonie. Bei der Suche nach einer günstigen Betreuung bleiben arbeitsrechtliche Standards wie faire Löhne und wichtige Arbeitspausen oft auf der Strecke. Das möchte Fair Care mit seinem Angebot ändern.

Schwarzarbeit heißt das Stichwort. Vor allem osteuropäische Arbeitskräfte werden häufig unter der Hand beschäftigt. "Eine Polin für Oma" titelt eine Buchautorin. Fehlendes Geld oder falsche Sparsamkeit der Familien würden eine Rolle spielen, aber auch mangelndes Wissen und unseriöse Vermittlungsagenturen, sagt Denise Tara Leinberger, zweite im Fair-Care-Dreierteam. "Ausländische Agenturen gibt es wie Sand am Meer", erklärt sie. "Viele Pflegekräfte und Haushalte wissen gar nicht, mit wem sie es da zu tun haben", ergänzt Darchiashvili.

Am Markt agieren viele unseriöse Vermittler

Es gebe immer wieder unseriöse Vermittler am Markt. Einige Agenturen würden beispielsweise sehr viel von den monatlichen Zahlungen in die eigenen Taschen wirtschaften. Manchmal komme trotz monatlicher Kosten von 2.000 Euro kaum Geld bei der Pflegekraft an. Zum Teil seien die Betreuerinnen nicht einmal ordentlich versichert. Es habe auch schon Fälle gegeben, in denen die Pflegekräfte umsonst gearbeitet hätten, weil die Agenturen die Lohnzahlungen verzögert hätten und dann verschwunden seien.

"Mit der Vermittlung von häuslichen Pflegekräften verdienen schwarze Schafe heute sehr viel Geld", sagt Fair-Care-Mitinitiator Johannes Flothow von der Diakonie. In Deutschland geht es um einen Arbeitsmarkt für hochgerechnet rund 350.000 Menschen. Es sei höchste Zeit, die Arbeitsbedingungen für die Betreuungskräfte zu verbessern. In Nordeuropa etwa werde die häusliche Pflege von der staatlichen Daseinsvorsorge getragen, so wie hier die Kindererziehung. Das koste aber Geld, circa drei Prozent der Steuern. Viele deutsche Entscheidungsträger hätten gar kein Interesse, etwas zu ändern.

Verbraucherzentrale NRW empfiehlt Fair Care

Fair Care bietet eine faire Vermittlung an und wird etwa von der Verbraucherzentrale NRW als nützliche Adresse erwähnt. Diese Vermittlung hat allerdings auch ihren Preis. 2.200 Euro zahlen Familien als Arbeitgeber für eine Betreuungskraft, inklusive Sozialversicherung und Fair-Care-Betreuungspauschale. Davon kommen netto 1.050 Euro bei der Beschäftigten an. Die Arbeitgeber müssen zudem Unterkunft und Verpflegung stellen und Urlaub ermöglichen. Möglich ist auch, sich zwei Kräfte im Tandem vermitteln zu lassen, die sich abwechseln. Dies ist dann etwas teurer.

Bislang müssen die Angehörigen Last und Kosten zu großen Teilen selbst schultern, macht Flothow deutlich. Viele könnten sich gar keine Hilfe leisten. Der Zuschuss aus der Pflegekasse von maximal 728 Euro sei viel zu niedrig, davon könne man niemanden bezahlen. "Die betroffenen Familien tragen die Last und sind meistens überfordert." Wer sich eine häusliche Betreuungskraft leisten könne, der bewege sich mit Fair Care wenigstens nicht am Rand zur Illegalität, sagt Denise Tara Leinberger. Zudem gebe es Hilfe bei allen Formalitäten, und die Familie könne auf eine bewährte Kraft zurückgreifen.

Inzwischen wächst die Nachfrage

Der Modellversuch war 2011 bis 2014 eher verhalten gestartet, aber: "Die Nachfrage wächst", sagt Leinberger. 2015 hat Fair Care bundesweit 90 Haushalte betreut, aktuell sind es allein 60 aktive Begleitungen. Der Schwerpunkt liegt klar im Süden und hier vor allem in Baden-Württemberg. Auch sehr viele Vortragsanfragen gebe es inzwischen - für Leinberger "ein erfreuliches Zeichen".

Für dauerhafte schwarze Zahlen müssen laut Johannes Flothow aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen geklärt sein und diese dann auch durchgesetzt werden. "In Zukunft wird es noch mehr alleinstehende ältere Menschen geben. Handeln ist dringend geboten."

Wenke Böhm

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