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Medizinethik

Interview

"Jeder hat das Recht, eine Organspende abzulehnen"




Larissa Pfaller, Soziologin an der Universität Erlangen.
epd-bild/Privat
Eine neue Studie befasst sich mit der Wirkung und möglichen Fehlern bei Werbekampagnen für mehr Organspenden. „Ich möchte lieber nicht. Das Unbehagen mit der Organspende und die Praxis der Kritik", heißt die Untersuchung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Sie enthält interessante Ergebnisse.

In dem Projekt haben Professor Frank Adloff und Larissa Pfaller vom Institut für Soziologie in Erlangen mit Professorin Silke Schicktanz und Solveig Lena Hansen vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen zusammengearbeitet. Sie haben die Motivationen für oder gegen eine Organspende nach dem Tod erforscht. Was dabei an Erkenntnissen herausgekommen ist und welche Kritik es an den bestehenden Kampagnen gibt, erläutert Larissa Pfaller im Gespräch mit Dirk Baas.

epd sozial: Nach Umfragen steht ein Großteil der Bürger der Organspende aufgeschlossen gegenüber, doch nur eine Minderheit besitzt einen Spenderausweis. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Larissa Pfaller: Organspende wird zum großen Teil als prosoziales Verhalten beurteilt und positiv bewertet. Dennoch gibt es gute Gründe, selbst keine Organspenderin oder kein Organspender werden zu wollen. Es ist etwas anderes, ob man etwas grundsätzlich gut findet oder etwas unter den ganz konkreten Umständen auch selbst zu tun bereit sein möchte. Bei der Organspende wird immer wieder nach dieser Diskrepanz gefragt.

epd: Sie haben zwei Jahre lang über die Gründe für die Ablehnung einer Organspende geforscht. Wie sind Sie vorgegangen?

Pfaller: Zusammen mit den Göttinger Kolleginnen sind wir das Thema "Nein zur Organspende" von zwei Seiten angegangen. Zum einen haben wir Interviews und Gruppengespräche mit Personen geführt, die einer Organspende zurückhaltend, ambivalent oder auch explizit kritisch gegenüberstehen. Hier haben wir bisher mit 60 Personen gesprochen. Die Göttinger Kolleginnen haben die Posterkampagnen der letzten 20 Jahre analysiert und hier insgesamt 83 Postermotive genauer betrachtet. Einige der Motive haben wir unseren Interviewteilnehmerinnen und - teilnehmern auch vorgelegt.

epd: Was wollten Sie dabei konkret erfahren?

Pfaller: Hinter diesem Vorgehen steht die Forschungsfrage, ob und wie ein Nein zur Organspende geäußert werden kann, wenn im öffentlichen Diskurs ausschließlich positive Argumente gebracht werden.

epd: Es fehlt offenbar am Spendewillen der Bürger. Wie ließe sich Zurückhaltung und Skepsis überwinden?

epd: Es fehlt nicht am Spendewillen der Bürger. Die Zahl der tatsächlichen Organspenden kann nicht lediglich aus dem Spendewillen der Bevölkerung abgeleitet werden.

epd: Das müssen Sie näher erklären.

Pfaller: Die Akzeptanz der Organspende ist hoch und etwa 70 Prozent sind bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Tatsächlich werden die allerwenigsten von uns aber in die Lage kommen, dann auch wirklich Spenderin oder Spender werden zu können. Entscheidend für diese Möglichkeit ist der sogenannte Hirntod. Tatsächlich ist dieser Zustand aber äußerst selten. Insgesamt wird der Hirntod in Deutschland nur rund 4.000 Mal festgestellt. Es ist also nur in 0,5 Prozent aller Fälle überhaupt erst prinzipiell möglich, Organspender zu werden, was aber noch nicht heißt, dass die Organe auch in einem Zustand sind, dass sie für eine Spende in Frage kommen. Vor diesem Hintergrund sind die 877 Fälle, in denen Jahr eine Organspende realisiert werden konnte, doch gar nicht so wenig.

epd: Aber die Spenderzahlen sollen doch weiter steigen?

Pfaller: Ihre Frage setzt schon voraus, dass es ein wünschenswertes Ziel ist, Skepsis und Zurückhaltung zu überwinden. Dabei hat jedermann das Recht, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. In der Zurückhaltung, von der Sie sprechen, dokumentiert sich der Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit und Schutz der eigenen Person. Das sind gute Gründe, sich gegen eine Organspende zu entscheiden.

epd: Sie haben die moralischen Botschaften der Werbekampagnen genauer untersucht. Mit welchem Ergebnis?

Pfaller: Jeder Bürger soll frei entscheiden können, ob er Organe nach dem Tod spenden will. Dennoch, das zeigen die Ergebnisse unserer Kolleginnen in Göttingen, sind die Posterkampagnen auffallend einseitig: Organspende wird als sozial erwünschtes Verhalten dargestellt. Organspender übernähmen Verantwortung für ihre Familien und linderten das Leiden von Personen, die auf ein Organ warten.

epd: Aber das stimmt doch auch.

Pfaller: Ja, aber es wird suggeriert, eine Entscheidung zur Organspende sei leicht und einfach zu treffen. Bedenken, Ambivalenz oder ein klares Nein werden hingegen nicht adressiert. So kommt es, dass die Betrachter sich durch die Kampagnen nicht in erster Linie gut informiert, sondern manipuliert und moralisch unter Druck gesetzt fühlen.

epd: Ist das vom Werbeeffekt her klug?

Pfaller: In Ihrer Frage dokumentiert sich schon der Zielkonflikt in der Aufklärungsarbeit zur Organspende: Zum einen soll neutral informiert, zum anderen die Spendebereitschaft erhöht werden. Unsere Studie zeigt, dass die Bevölkerung sehr sensibel auf den Versuch reagiert, mit subtilen Mitteln in der eigenen Entscheidung beeinflusst zu werden. Allein von "Werbeeffekt" zu sprechen, ist hier schon problematisch.

epd: Sie betonen, dass in den Infokampagnen auch Fehlinformationen verbreitet werden. Was läuft da schief?

Pfaller: Teilweise werden durch die Postermotive falsche Assoziationen geweckt. Slogans wie "Du bekommst alles von mir, ich auch von Dir?" suggerieren ein personalisiertes Vergabeverfahren, das zudem auch noch diejenigen bevorzugt, die selbst bereit sind, ein Organ zu spenden.

epd: Offenbar sehen auch viele Befragte den Hirntod aus Voraussetzung für eine Organentnahme sehr kritisch. Das aber berührt die Fundamente des Spendesystems. Ist das nicht wirklich irrational?

Pfaller: Auf was bezieht sich "irrational"? Es ist keineswegs irrational, sich mit dem Tod und auch dem Hirntod auseinanderzusetzen. Für viele sind hirntote Patientinnen keine Toten, sondern Sterbende. Zudem schafft sich jede Kultur Rituale und Praktiken, wie sie mit ihren Toten umgeht. Der Diskurs um Organspende ist stark von der medizinischen Definition des Todes geprägt.

epd: Welche Aspekte kommen denn zu kurz?

Pfaller: Viele Menschen spüren ein Unbehagen, wenn der Körper von einer Sekunde zur nächsten als bloße Materie gesehen werden soll, die auch verwertet werden kann. Für diese Personen stellt eine Organentnahme, auch nach dem Tod, einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und dar. Und: Wir wünschen uns einen respektvollen Umgang mit unserem Körper nach unserem Tod, beispielsweise durch eine Beerdigung.

epd: Wie muss sich auf der Basis Ihrer Untersuchungen die öffentliche Kommunikation wandeln? Mehr Aufklärung statt nur Reklame?

Pfaller: Ich würde mir wünschen, dass in der öffentlichen Kommunikation der Wunsch, keine Organe zu spenden, nicht einfach auf mangelnde Information oder Misstrauen in das Transplantationssystem reduziert wird. Die Vorstellung, dass der eigene Körper nicht bloße Materie darstellt und der Wunsch nach körperlicher Integrität auch über den Tod hinaus sind gute Gründe für eine Entscheidung, auch gegen eine Organspende. Zudem wünsche ich mir kritischere Medien und einen guten Journalismus, der die gängigen Narrative rund um die Organspende nicht fraglos hinnimmt und weiterträgt.

epd: Woran machen Sie die Kritik fest?

Pfaller: Es ist immer wieder zu lesen, dass nach den Skandalen 2012 die Zahl der Organspenden eingebrochen sei und dass das an mangelnder Spendebereitschaft in der Bevölkerung liege, deren Vertrauen nun erschüttert wäre. Dabei wird übersehen, dass die Zahl der Organspenden bereits seit 2010 kontinuierlich sinkt. Wenn Sie sich die Diagramme der DSO ansehen, werden sie keinen Einbruch 2012 entdecken. Darüber hinaus ist die Spendebereitschaft nach 2012 sogar gestiegen. Dass weniger Organe zu Verfügung stehen als transplantiert werden können, liegt nicht am mangelnden Spendewillen der Bevölkerung, sondern in der Natur der Sache: Der Hirntod ist ein seltenes Ereignis. Die Spendebereitschaft in der Bevölkerung noch weiter zu erhöhen wird keine Einfluss auf die Zahl der Spenden haben.


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