sozial-Branche

Kinderbetreuung

Interview

"Kindern den Leistungsdruck nehmen"




Rosemarie Reichelt
epd-bild/Erol Gurian

Zwölf Jahre lang hat Rosemarie Reichelt die Abteilung "Kindertagesstätten" der Inneren Mission München geleitet und von fünf auf 17 Einrichtungen vergrößert. Reichelt geht zum 1. März in den Ruhestand. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie über die Entwicklung der Kitas, Anforderungen ans Personal und die Rolle der Eltern. Die Fragen stellte Susanne Schröder.

epd sozial: Nach Medienberichten war 2016 in München der geburtenstärkste Jahrgang der vergangenen Jahre. Was bedeutet das für Kindertagesstätten?

Rosemarie Reichelt: Trotz großen Ausbau-Anstrengungen wird es uns nicht gelingen, allen Familien den gewünschten, wohnortnahen Platz anbieten zu können. Ich glaube, dass sich Eltern auf größere Wegstrecken einstellen müssen. Dies wird sich in den Stadtteilen Münchens sehr unterschiedlich gestalten.

epd: Welche Ansprüche hat die Innere Mission als Träger an Ihre Arbeit? Und welche Ansprüche stellen Eltern an Sie?

Reichelt: Grundsätzlich wollen wir für alle Beteiligten - Kinder, Eltern, Personal - gute Rahmenbedingungen schaffen und in der prekären Personalsituation die Qualität nicht aus den Augen verlieren. Dabei steht das Kind in seiner ganzheitlichen Entwicklung im Mittelpunkt. Der Weg dorthin deckt sich nicht immer mit den Vorstellungen der Eltern, die oft schon in der Kita schulische Strukturen - zum Beispiel Englischkurse, Musikkurse - erwarten.

epd: Haben sich die Bedürfnisse der Kinder verändert?

Reichelt: Der Leistungsdruck auf die Kinder ist immer größer geworden. Die Zeiten, die Kinder selbstbestimmt gestalten können, werden leider immer weniger. Der Tag wird komplett durchorganisiert und dabei wird nicht immer auf die wirklichen Bedürfnisse von Kindern Rücksicht genommen. Das Thema Zeit, Kinder in ihrer Entwicklung begleiten, den Druck nehmen, nicht bestimmen und überbehüten sind daher die Hauptaufgaben in unseren Kindertageseinrichtungen. Kinder müssen zum Teil wieder lernen, zu spielen. Aber auch Sprachauffälligkeiten und Bewegungsmangel haben zugenommen.

epd: Thema Personalsituation: Ist Besserung in Sicht?

Reichelt: Durch den enormen Ausbau von Kindertagesstätten und die gestiegene Geburtenrate sehe ich in München so schnell keine Besserung, denn generell wurde von politischer Seite zu spät in die Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Kräften investiert. Wir als Träger haben durch die Gründung unserer Fachakademie für Sozialpädagogik versucht, hier gegenzusteuern.

epd: Wie ist die Lage dort?

Reichelt: Aktuell sind die Klassen in den Fachakademien voll. Die jetzigen Studierenden und die Studierenden einer neuen, verkürzten Ausbildungsform "Optiprax" werden den Bedarf nur bedingt decken können. Wir sollten uns ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen. Hier sind unter anderem Erzieher und Lehrer gleichgestellt. Meines Erachtens ist das ein wichtiges Signal, um den Beruf aufzuwerten und damit mehr Menschen, vor allem auch mehr Männer, in den Beruf zu bekommen.

epd: Plant die Innere Mission einen weiteren Ausbau des Bereichs?

Reichelt: Qualität ging uns immer vor Quantität, das wird sicher auch in Zukunft so bleiben. Sicherlich wird die Abteilung noch wachsen, aber sehr überlegt und dosiert.


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