Ausgabe 19/2017 - 12.05.2017
Stuttgart (epd). Die Forderung des Deutschen Pflegerats nach einer Bundespflegekammer als Spitzenorganisation der pflegerischen Selbstverwaltung wird zu Frust bei Pflegekräften führen. Denn damit werden bessere Bezahlung, Mitsprache und Anerkennung in Aussicht gestellt: ein Märchen schönster Sorte. Obwohl die Forderungen richtig sind – eine Pflegekammer wird sie nicht erfüllen, sondern Zusatzkosten, Mehraufwand und neue Funktionärsposten verursachen. Das ist durchaus von Vorteil, aber nicht für Pflegekräfte.
Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerats, und Karl-Josef Laumann, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, möchten die Pflege stärken. Das möchte ich auch. Anders als sie bin ich aber überzeugt, dass Pflegekammern das nicht leisten können. Stattdessen müsste die Politik Ressourcen und Reformkraft dafür einsetzen, um die Pflegeversicherung so umzustrukturieren, dass Pflegekräfte einen besser anerkannten, fair bezahlten Beruf und Pflegebedürftige eine bezahlbare Versorgung bekommen.
Die Pflegekammer soll als berufsständische Körperschaft landes- und öffentlich-rechtlich organisiert sein und die berufsständische Selbstverwaltung übernehmen, so wie die Ärzte- oder Anwaltskammern. Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben das Modell umgesetzt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen prüfen derzeit entsprechende Vorschläge.
Nun zieht Bayern mit der Gründung einer "Vereinigung der bayerischen Pflege" nach – eine Art Pflegekammer light, ohne Zwangsmitgliedschaft. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) forderte Pflegende auf, sich zu beteiligen, um "sich bei wichtigen Themen für die Pflege einzubringen". Westerfellhaus sieht das im Falle Bayerns anders. Er spricht von einer "Mogelpackung", die "nicht die einer starken Pflegekammer zugeschriebenen Aufgaben erfüllen" kann.
Nun, in diesem Fall hat Westerfellhaus in gewisser Weise Recht: Die Pflegekammer ist eine Mogelpackung. Denn sie verspricht Antworten auf dringende Fragen, die sie aber nicht liefern wird. Wir brauchen Fachkräfte, die hervorragend ausgebildet, fair bezahlt und gesellschaftlich anerkannt werden, weil sie eine wichtige Arbeit leisten, die in Deutschland immer stärker benötigt wird.
Laut Bundesgesundheitsministerium werden wir im Jahr 2050 etwa 4,3 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland haben, das Statistische Bundesamt spricht von 4,6 Millionen. Für den gleichen Zeitraum rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft Köln mit einem Pflegepersonalmangel von 1,5 Millionen Vollzeitstellen. Woher sollen diese Fachkräfte kommen? Eine Pflegekammer kann sie nicht herbeizaubern.
Diese Meinung wird auch in Berlin geteilt. Regina Saeger, Vorsitzende des Landesseniorenbeirats, ist überzeugt: "Nur eine bessere gesellschaftliche Anerkennung, eine leistungsgerechte Bezahlung, verbesserte Arbeitsbedingungen, ausreichende wie verlässliche Stellenschlüssel werden mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern." Das kann die Pflegekammer nicht leisten – das Märchen der Pflege-Rettung mag schön klingen, die Argumente halten aber nicht Stand. Denn es gibt bereits mehr als genug Organisationen, die sich mit Nachdruck für die Pflege einsetzen: Gewerkschaften, Wohlfahrts-, Berufs-, Fachverbände und der Pflegerat. 17 Pflegekammern sind da obsolet. Sie würden zwar neue Posten generieren; es fehlen aber Pflegekräfte und nicht Funktionäre.
Die Aufgaben, die eine Kammer übernehmen soll, sind auf die Pflege nicht übertragbar oder werden bereits von bewährten Strukturen erfüllt. Das gilt auch für eine bessere Bezahlung, denn darüber entscheiden Gewerkschaften und Arbeitgeber als Sozialpartner.
Auch Pflege-Standards kann nicht ausschließlich eine Pflegekammer entwickeln, sondern sie müssen mit weiteren Akteuren abgestimmt werden, so wie das bereits geschieht. Pflegekräfte sind zudem zum Großteil abhängig beschäftigt. Nur etwa fünf Prozent sind freiberuflich tätig – soll die Kammer nur sie vertreten?
Die Abstimmung zwischen einer Pflegekammer und den bislang zuständigen Akteuren auf Landes- und Bundesebene wäre ausgesprochen schwierig. Bei pflegepolitischen Entscheidungen etwa müssen Leistungserbringerverbände oder Vertreter anderer Berufsgruppen wie Betreuungs-, Hauswirtschaftskräfte oder Sozialdienste konsultiert werden. Den erhofften einen Ansprechpartner und die starke Stimme für die Pflege wird es durch die Einführung einer Pflegekammer nicht geben.
Vor allem würde eine Pflegekammer neue Kosten verursachen. Denn Kammern werden über Zwangsmitgliedschaften der Mitglieder finanziert, in diesem Fall von monatlichen Beiträgen der Pflegekräfte. Sollen diese dafür bezahlen, dass sich die Politik für ihre Belange einsetzt? Wer die gesellschaftliche Anerkennung und das Image der Pflege stärken will, wird das nicht über Zwangsmitgliedschaft und zusätzliche Bürokratie erreichen.
Dennoch ist es richtig, Pflegekräften eine kräftige Stimme zu geben. Die Politik würde aber gut daran tun, nach Reformen zu suchen, die den Pflegekräften den Rücken stärken, die Pflegebedürftigen finanziell entlasten und der Branche damit einen Image-Schub verpassen.
Das funktioniert mit einer Strukturveränderung in der Pflegeversicherung: Die Pflegekasse übernimmt die pflegebedingten Kosten, künstliche Sektorengrenzen werden abgebaut, die Zivilgesellschaft wird gestärkt, eine pflegerische Infrastruktur als kommunale Pflichtaufgabe definiert und die Personalsituation verbessert. Das sind eine echte Stärkung des Pflegeberufs und eine Unterstützung der Pflegekräfte. Sollte stattdessen eine Pflegekammer eingeführt werden, endet sie mit Sicherheit in einer großen Enttäuschung – Verlierer werden am Ende die Pflegekräfte sein.