sozial-Branche

Flüchtlinge

Gastbeitrag

Der lange Weg zur Integration




Birgit Mayrl-Kara
epd-bild/privat
Die Evangelische Familien-Bildungsstätte in Nürnberg hat viel Erfahrung mit der Integration von Zuwanderern. Das Jahr 2015 mit den vielen Flüchtlingen führte auch dazu, die eigenen Strukturen zu verändern, um mit neuen Angeboten zum Erfolg zu kommen. Ein Selbstläufer war das nicht. Wie es die Einrichtung geschafft hat, erläutert die Sozialpädagogin Birgit Mayrl-Kara in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Integration, das bedeutet Unterstützung im Alltag, Angebote zum Deutsch Lernen, Hilfen bei der Orientierung in einem fremden Land, Möglichkeiten zur Begegnung und gesellschaftlichen Teilhabe für die geflüchteten Personen. Es bedeutet aber auch eine offene Haltung, Begegnung auf Augenhöhe und die Fähigkeit und Bereitschaft, sich auf Neues und Fremdes einzulassen. All diesen Aufgaben stellt sich die Evangelische Familien-Bildungsstätte (FBS) seit über 25 Jahren als Anlaufstelle für Integration.

Mit dem Umzug der FBS 1990 aus der Nürnberger Innenstadt in den Stadtteil Gostenhof mit einem hohen Anteil an nicht-deutscher Wohnbevölkerung, veränderte sich die Zielgruppe der Einrichtung. Neben den Angeboten der "klassischen Familienbildung" gehören nun auch niederschwellige Deutschkurse, offene Treffs für Frauen und Familien und Einzel- und Gruppenberatung für Migrantinnen und Migranten zum Programmangebot. Die FBS wurde als Anlaufstelle für kostenlose Deutschkurse gut angenommen. Diese Kurse stellten häufig die einzige Möglichkeit für Menschen ohne festen Aufenthaltsstatus dar, sich erste Deutschkenntnisse anzueignen.

Nachfrage nach "Asylbewerberkursen"

Ab 2005 erhielt die FBS die Trägerzulassung für Integrationskurse durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und konnte auch diese Kurse in ihr Programm aufnehmen. Dadurch erfuhr der Fachbereich "Sprache und Integration" eine deutlich Ausweitung und macht bis heute einen wesentlichen Teil der Angebote der FBS aus.

Bereits Ende 2014 wurde vermehrt nach Plätzen in den "Asylbewerberkursen" gefragt. Ab September 2015 erreichte die Nachfrage ihren Höhepunkt: Die Platzkapazität war ausgeschöpft, und es existierte eine Warteliste mit mehr als 40 Personen.

Zeitgleich rief die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Oktober 2015 kurzfristig die sogenannten "Einstiegskurse für Asylsuchende" mit sicherer Bleibeperspektive ins Leben. Dadurch konnten in der FBS insgesamt 75 geflüchtete Personen aus Syrien, Irak und Iran in insgesamt vier Kurse aufgenommen werden, in denen bis Anfang 2016 in 320 Unterrichtsstunden grundlegende Deutschkenntnisse und eine Erstorientierung in Deutschland vermittelt wurde. Als äußerst problematisch erwies sich, dass geflüchtete Personen aus anderen Herkunftsländern nicht an diesen Kursen teilnehmen konnten.

Grenzen der "Willkommenskultur"

Zu den Einstiegskursen meldeten sich fast nur junge Männer an. Schnell wurden uns die Grenzen der "Willkommenskultur" deutlich: Einige der Sprachkursteilnehmer lebten trotz des Kälteeinbruchs noch in Zelten. Leichtbauhallen oder umfunktionierte Turnhallen, Fabrikgebäude oder ein stillgelegtes Schwimmbad stellten hier die "Luxusvarianten" der Unterbringung dar – immerhin hatten diese Bewohner ein festes Dach über dem Kopf.

Aber: Privatsphäre oder Rückzugsmöglichkeit waren nicht vorhanden. Es wurde deutlich, dass der Sprachkursbesuch neben dem Wunsch, schnell Deutsch zu lernen und etwas über „die deutsche Kultur" zu erfahren, für viele Teilnehmer auch eine Gelegenheit darstellte, der Kälte, Enge und Trostlosigkeit der Unterkünfte kurzzeitig zu entkommen.

Einige Teilnehmer erschienen bereits weit vor Kursbeginn, um sich mit einem heißen Tee aufzuwärmen oder in Ruhe sitzen und telefonieren zu können. Ein weiteres Bedürfnis der Flüchtlinge war sich zurückzuziehen, um zu beten. Ein Gebetsraum für Muslime in einer Evangelischen Familienbildungsstätte - geht das? Ja! Ein kleiner Raum, der zu dieser Zeit leer stand, konnte vorübergehend als Andachtsraum zur Verfügung gestellt werden - zum Gebet für alle Glaubensrichtungen, oder einfach, um sich zurückzuziehen und zur Ruhe zu kommen.

Verantwortung für nachgereiste Familien

Im Nachhinein befragt, was für sie in dieser Phase gut und wichtig war, nannten die Teilnehmer übereinstimmend, dass sie es schätzten, dass die Lehrkräfte nicht nur Unterrichtsstoff vermittelten, sondern immer auch ein offenes Ohr für Probleme anderer Art hatten. Etwa zeitgleich mit dem Ende der Einstiegskurse ab Ende Januar 2016 erhielten viele Teilnehmer eine Berechtigung zum Besuch des Integrationskurses. Bei der FBS startete deshalb im Februar 2016 ein zusätzlicher Integrationskurs mit Teilnehmern aus den Einstiegskursen, den die meisten im Januar 2017 erfolgreich abschlossen.

Bald darauf konnten einige Familienväter ihre Ehefrauen und Kinder im Familiennachzug nach Deutschland kommen lassen. Überglücklich, aber nun selbst gefordert, die bürokratischen Hürden zu überwinden, Wohnungen zu finden und den Umzug zu organisieren, mussten sie nun, kaum selbst hier "angekommen", Verantwortung für ihre Familien übernehmen. Auch hier erwies sich die FBS als oft gefragte Anlaufstelle bei Fragen und Problemen.

Es zeigte sich, dass Sprachkurse mit Kinderbetreuung und Krippen- und Kindergartenplätze fehlten, so dass die Frauen und Kinder zunächst in den Gemeinschaftsunterkünften isoliert blieben. Hier sah die FBS ihren Auftrag gemäß ihrem Leitbild darin, dieser Zielgruppe mit passenden Angeboten erste Schritte zur Integration zu ermöglichen. Im Herbst 2016 wurden ein Deutschkurs mit Kinderbetreuung, der an einem "Miniclub" orientierte Eltern-Kind-Kurs "Babyclub Kunterbunt" und der offenen Frauentreff "Dunya Café" ins Programm genommen. Alle drei Angebote wurden durch Projektmittel finanziert, was jedoch dazu führte, dass die Angebote nach Beendigung der Förderung nicht weitergeführt werden konnten.

Treffpunkt für Frauen

Das ist sehr zu bedauern, denn vor allem das "Dunya Café" hatte sich als niederschwelliges Angebot bewährt. Es gelang jedoch, den Betrieb seit September 2017 durch eine andere, auf drei Jahre ausgelegte Finanzierung wieder aufzunehmen. Das "Dunya Café" fungiert sowohl als Treffpunkt für Mütter und Kinder aus unterschiedlichen Ländern als auch als Lernort, um erste Deutschkenntnisse zu erwerben.

Der Nachmittag ist so konzipiert, dass die Mütter miteinander ins Gespräch kommen, sich Tipps und Anregungen bei den Fachkräften – eine Mitarbeiterin spricht Arabisch, Kurdisch und Türkisch - holen können, während die Kinder genügend Platz und anregendes Material zum Spielen vorfinden. Weitere Schwerpunkte dieses Treffs sind inhaltliche Inputs zu Erziehungsfragen, Informationen über Angebote für Mütter und Kinder in Nürnberg, Unterstützung, Beratung und Vermittlung zu Fachstellen.

Dieser kurze Abriss zum Angebot für geflüchtete Familien in der FBS Nürnberg soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass all dies nur ein erster Schritt in Richtung Integration dieser Zielgruppe ist.

Bei Interviews mit (ehemaligen) Kursteilnehmern und Teilnehmerinnen gaben diese an, dass sie sich in Deutschland sicher fühlen. Einige bedankten sich ausdrücklich für die Hilfsbereitschaft, die sie – vor allem anfangs – erfahren hatten. Problematisch erleben sie jedoch vor allem die Wohnungssituation, gefolgt von Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, häufig in Zusammenhang mit Problemen bei der Anerkennung der Abschlüsse aus den Heimatländern.

Bitte Erfahrungen bei der Jobsuche

Eine weitere bittere Erfahrung, die einige schilderten, war ihre Ablehnung bei der Jobsuche aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens. Auch fehlende Kontakte zu Deutschen, fehlende Sprachkenntnisse und zu wenig Wissen über "die deutsche Kultur" sehen die Befragten als Integrationshindernisse an. Die Ergebnisse dieser Interviews zeigen auf, wo künftig Handlungsbedarf besteht.

Integration ist ein langer Prozess, vielleicht eine Generationenaufgabe. Dazu braucht es Geduld, es verlangt, aufeinander zuzugehen und eine Begegnung auf Augenhöhe aller Akteure.

Für eine erfolgreiche Integration reichen jedoch der gute Wille und das Engagement Einzelner allein nicht aus. Es sind vor allem geeignete gesetzliche und organisatorische Rahmenbedingungen nötig, die über Abteilungs- und Ressortgrenzen hinausgehen, eine gute Vernetzung der Akteure und innovative und integrative inhaltliche Konzepte fördern und fordern. Diese Strukturen sind die Basis, auf der Integration gelingen kann.

Die Diplom-Sozialpädagogin Birgit Mayrl-Kara ist Mitarbeiterin der Evangelischen Familien-Bildungsstätte Nürnberg.

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