Ausgabe 10/2018 - 09.03.2018
Eichstätt (epd). Beschäftigte sind dem erhöhten Leistungs- und Kontrolldruck in ihren Betrieben nicht wehrlos ausgeliefert. Dies machte Katharina von Koppenfels-Spies, Rechtsprofessorin an der Uni Freiburg, am 6. März auf der Fachtagung "Immer schneller, besser günstiger - Leistungsdruck in der Dienstgemeinschaft" in Eichstätt deutlich. Gegen "unbillige Maßnahmen" der Arbeitgeber könnten sie vor Gericht ziehen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt ist nach Koppenfels-Spies` Auffassung "arbeitnehmerfreundlicher" geworden, wie sie an jüngsten Entscheidungen des Gerichts zeigte.
"Großes Aufsehen" habe im Herbst 2017 ein BAG-Urteil erregt, in dem es die Versetzung eines Mitarbeiters von Dortmund nach Berlin als "unbillig" zurückwies. Der Beschäftigte verweigerte den Ortswechsel, worauf ihm gekündigt wurde. Das BAG lehnte die Kündigung als unwirksam ab. Der Arbeitnehmer durfte sich in den Augen der Richter über die Weisung hinwegsetzen. Der Senat machte, wie Koppenfels-Spies ausführte, deutlich, dass nach seinem Verständnis Weisungen in einem "partnerschaftlichen Miteinander statt einem von Oben nach Unten" zu erfolgen haben.
In einem weiteren BAG-Fall aus 2017 stellte die Freiburger Juristin dar, dass den Kontrollrechten von Unternehmen – und damit dem psychischen Überwachungsdruck auf Beschäftigte - Grenzen gesetzt sind. Ein Unternehmen hatte durch die gesamten Eingaben eines Mitarbeiters am Betriebs-PC aufgezeichnet und überwacht. Dabei stellte das Unternehmen fest, dass der Mitarbeiter den PC auch für private Zwecke genutzt hatte und entließ ihn daraufhin.
Die BAG-Richter verwarfen jedoch die Kündigung. Eine heimliche Überwachung ohne konkreten Verdacht, sondern "ins Blaue hinein" verletze das Recht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung, wie dies im Bundesdatenschutzgesetz geregelt sei. Dieses Gesetz gilt zwar nicht unmittelbar im Bereich der Kirchen, aber die Kirchen haben inzwischen ihre Datenschutzbestimmungen dem allgemeinen Niveau angepasst, wie der Arbeitsrechtsexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Fey, auf der Tagung ergänzte. Sie sollen im Mai in Kraft treten.
Krankenhäuser versuchen, die Kosten zu drücken, indem sie die für das An- und Ausziehen der Dienstkleidung benötigte Zeit nicht als Arbeitszeit werten - und entsprechend auch nicht vergüten. Dies wollte sich ein Krankenpfleger nicht gefallen lassen und klagte. Vor dem BAG forderte er, dass ihm die täglich zwölf Minuten, die er zum Umziehen braucht, bezahlt werden. Das BAG gab ihm recht. Es sei ihm nicht zuzunuten, die weiße Dienstkleidung bereits vor der Fahrt zur Arbeit anzuziehen. Begründung: Das Outfit eines Pflegers sei "in der Öffentlichkeit besonders auffällig".
Dieser Rechtsstreit eines Krankenhauses ist eine spezielle Facette, die den enormen Kosten- und Leistungsdruck deutlich macht, unter dem die knapp 2.000 Krankenhäuser in Deutschland stehen - und den sie an ihre Beschäftigten weitergeben. Die Ökonomisierung des stationären Gesundheitssektors hat nach der Überzeugung von Anke Manthey, früher in einem psychiatrischen Krankenhaus tätig und heute bei Audi in Ingolstadt für Gesundheitsförderung zuständig, in großem Maß auch ganz unwirtschaftliche Folgen. Die statistisch belegte Tatsache, dass Krankenpflegekräfte nach durchschnittlich acht Jahren aus ihrem gelernten Beruf aussteigen, ist laut Manthey nüchtern betrachtet Geldverschwendung. Je länger Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber treu bleiben, um so eher lohnten sich die Beträge, die Kliniken in die Ausbildung und Einarbeitung ihres Personals investieren.
Aber auch die überdurchschnittlich vielen krankheitsbedingten Ausfallzeiten schlagen zu Buche. Besonders viele Fehltage ermittelte die DAK bei Pflegekräften aufgrund psychischer Erkrankungen: 29 Tage im Jahr. In keiner zweiten Berufsgruppe zählte die DAK so viele Fehltage.
Als besonders belastend und stressig geben Beschäftigte laut Manthey in Umfragen an, dass sie das Gefühl haben, verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig ausüben zu müssen. "Multitasking kann aber niemand, auch nicht die Frauen, obwohl ihnen das gerne nachgesagt wird", unterstrich die Sozialpädagogin.
Als "Kraftquellen", um den Belastungen standzuhalten, nennen die Beschäftigten Manthey zufolge vor allem: eine gute Zusammenarbeit mit den Kollegen und das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Als Entlastung – und damit gesundheitsfördernd - wirken aber auch "erlebte Gratifikationen". Das seien: Anerkennung, Wertschätzung, Entwicklungsperspektiven, Arbeitsplatzsicherheit und ein angemessenes Gehalt. Manthey: "Wer das nicht erhält, erlebt Verausgabung und stellt sich die Sinnfrage: Wofür mache ich das alles?"
Die Audi-Angestellte gab in Eichstätt auch konkrete Tipps, wie Unternehmen "zufriedenstellende Arbeitsbeziehungen" bieten können: Nötig seien klare und eindeutige Organisationsstrukturen, regelmäßige Informationen über betriebliche Belange und Veränderungen. Mitarbeiter müssten bei der Erledigung ihrer Aufgaben Unterstützung erfahren, sie müssten in ausgeruhten persönlichen Gesprächen eine Rückmeldung über ihre Arbeitsergebnisse erhalten.
Und: "Sie müssen gesehen werden." Das klingt banal, die Beachtung dieses Leitsatzes hatte bei Audi laut Manthey aber durchaus eine überraschende Konsequenz: Beschäftigte werden, wenn sie nach einer Krankheit zurückkommen, regelmäßig von ihrem Vorgesetzten um ein persönliches Gespräch gebeten. Mittlerweile werde dies in der Belegschaft als Ausdruck der Wertschätzung wahrgenommen - nach anfänglichem Misstrauen gegenüber diesem Führungsinstrument.
Der Geschäftsführer der bayerischen Krankenhausgesellschaft, Siegfried Hasenbein, räumte Defizite in der Personalführung an Krankenhäusern unumwunden ein - und nannte dafür als Hauptgrund: Alle Kräfte in den Kliniken seien darauf konzentriert, eine gute Patientenversorgung zu gewährleisten und dabei schwarze Zahlen zu schreiben. Angesichts der "deutlich verschlechterten Rahmen- und Finanzbedingungen" sei eine stärker an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtete Unternehmensführung oft schlicht nicht machbar, bedauerte Hasenbein.
Die Co-Autorin des Buches "Tatort Krankenhaus", Jeanne Turczynski, warnte, eine weitere Ignoranz "ernüchterter und ausgebrannter Pflegekräfte" werde zur Gefahr für die Patienten. Bei den Recherchen zu ihrem 2017 erschienenen Buch sei sie auf Pflegekräfte gestoßen, die am Arbeitsplatz "in die innere Migration gegangen sind, sich verbal zynisch und roh äußerten und sogar physische Gewalt gegen ihre Patienten angewendet haben".
Bei der Analyse des "frustrierten Rückzugs" von Pflegekräften stieß Turczynski nach eigenen Angaben häufig auf den Satz: "Ich bin nur Krankenschwester, ich habe hier nichts zu sagen." Besonders frustrierend werde dabei die starke Hierarchie zwischen den Berufsgruppen Ärzte und Pflegekräfte erlebt.
Als "sinnvolle Gegenmaßnahme" empfahl Manthey ein betriebliches Vorschlagswesen. "Mitarbeiter sehen in ihrer täglichen Arbeit, woran es fehlt und wie es besser werden kann." Sie seien deshalb in den Betrieben als Experten anzuerkennen. Ihre Vorschläge und Ideen sollten im System Krankenhaus einen offiziellen Platz bekommen. "Klar muss sein: Mit ihnen setzt sich das Haus bis in die oberste Führungsebene ernsthaft auseinander", sagte Manthey.