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Gastbeitrag

EuGH gibt dem Diskriminierungsrecht ein größeres Gewicht




Jacob Joussen
epd-bild/Norbert Neetz
Paradigmenwechsel? Revolution im deutschen Staat-Kirchen-Verhältnis? Was ist nicht alles über das EuGH-Urteil im Fall Egenberger vs. Diakonie gesagt worden. Aber nein, erklärt der Arbeitsrechtler Jacob Joussen in seinem Gastbeitrag für epd sozial: Ein Paukenschlag sei das Urteil nicht.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird die Grundfesten des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat nicht erschüttern. Doch es verlagert erkennbar den Akzent: Stand bislang in diesem Verhältnis nach deutschem Rechtsverständnis die Sicht der Kirchen im Vordergrund, haben die Richter deutlich gemacht, dass die allgemeine staatliche Rechtsordnung und insbesondere das Diskriminierungsrecht jenseits der verfassungsrechtlichen Autonomie der Kirchen stärker als bisher zu gewichten ist.

Gute Argumente der EuGH-Richter

Die Kernfrage, die die Richter zu entscheiden hatten, lautete: Dürfen Kirchen einschränkungslos selbst bestimmen, ob sie für eine Tätigkeit die Zugehörigkeit zur eigenen Religion verlangen? Oder gibt es Grenzen – bzw. welche Grenzen hier? Bislang dominierte die Vorstellung, den Kirchen stünde dieses Recht zu. Gestützt wurde dies auf ihr verfassungsrechtliches "Selbstbestimmungsrecht", aufgrund dessen man bislang das Diskriminierungsrecht so weit verstanden hat, dass man den Kirchen einen letztlich nicht überprüfbaren Freiraum eingeräumt hat – der vor den Gerichten nur bei erkennbarer Willkür kritisiert wurde, wenn also beispielsweise die Kirchen den einen Bewerber wegen der fehlenden Religionszugehörigkeit ablehnten, den anderen aber bei derselben Stelle akzeptierten. Doch kam bei dieser Einschätzung zu kurz, dass ein Arbeitnehmer, der wegen seiner fehlenden Religionszugehörigkeit nicht eingestellt wurde, in seiner Religionsfreiheit beschränkt wurde. Die schützt nämlich auch die Entscheidung, keiner Religion anzugehören. Oder einer anderen. Stießen diese beiden Positionen aufeinander, gewann bislang in aller Regel die Kirche, ohne dass dies näher überprüft wurde.

Das ist falsch, sagen nun die Richter des EuGH. Und sie haben gute Gründe auf ihrer Seite. Und gute Argumente gefunden. Es ist richtig, dass man auch in diesem Fall abwägen muss – wie immer, wenn zwei Rechtspositionen aufeinandertreffen. Das kennt und macht der Jurist jeden Tag, wurde aber in der hier entschiedenen Frage bislang regelmäßig nicht getan. Die Richter haben für diese Abwägung nun zum einen festgelegt, dass ein staatliches Gericht nachvollziehen können muss, ob die Kirchen die Vorgaben des Diskriminierungsrechts einhalten, sie also bei der jeweiligen Entscheidung mit Recht die Religionszugehörigkeit verlangt haben. Und zum anderen machen sie deutlich, dass die Kirchen auch im Diskriminierungsrecht Anspruch auf Achtung ihrer Autonomie geltend machen können. Ein wahrer Balanceakt der Richter: Auf der einen Seite wird die Überprüfbarkeit in den Mittelpunkt gerückt. Auf der anderen Seite akzeptiert, dass auch im Diskriminierungsrecht den Kirchen überlassen ist, autonom die Kirchenzugehörigkeit bei bestimmten Positionen zu verlangen. Damit wird deutlich: Autonomie ja, aber Überprüfbarkeit der einzelnen Entscheidung.

Gerichte können eingreifen

Es ist nicht zu verkennen, dass auf diese Weise der bisherige Status quo verändert wird. Dieser hatte immer betont, dass die Kirchen auch auf europäischer Ebene ein weitreichendes Selbstbestimmungsrecht hätten. Man ging letztlich davon aus, dass das Recht der Kirchen, wie es in Deutschland geschützt wird, auch auf europäischer Ebene den gleichen Schutz genieße. Dass, mit Worten der europäischen Verträge, der Status der Kirchen geachtet und gewahrt und nicht beeinträchtigt werde. Das sieht nun anders aus – besser gesagt: Es wirkt anders. Denn nun sollen Gerichte doch eingreifen können. Aber letztlich muss man konstatieren, dass bisher auch diese häufig allzu bereit waren, die Position und die Vorstellungen der Kirche zu übernehmen – etwa dort, wo sie grundsätzlich oder bei jeder Stelle die Kirchenzugehörigkeit verlangt haben. Das geht nun nicht mehr. Der EuGH hat damit eher das Gleichgewicht wiederhergestellt als zu stark zu Lasten der Kirchen eingegriffen.

Man muss dann aber nicht gleich davon ausgehen, auf diese Weise sei das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Kirchen auch in Deutschland in Gefahr. Vielmehr erinnern die Richter aus Europa die deutsche Rechtsordnung (erneut) daran, darauf zu achten, dass es in einem Rechtsstreit eben immer auch noch andere Grundrechtsträger gibt. Deren Rechte sind zu achten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Kirchen können – und dies ist eine wichtige Botschaft der Entscheidung – die Kirchenzugehörigkeit verlangen. Sie müssen aber nachvollziehbar begründen können, warum die Zugehörigkeit im jeweiligen Fall wesentlich, warum das Stellen dieser Anforderung verhältnismäßig ist. Damit werden die Kirchen ein wenig mehr zu einem normalen Arbeitgeber. Sie behalten aber eigenständige Rechte. Denn kein sonstiger Arbeitgeber darf bei Stellenbesetzungen auf die Religion achten. Die Begründung im Einzelfall wird der Kirche gelingen, wenn die Art der Tätigkeit die Religionszugehörigkeit verlangt – etwa bei einer lehrenden oder seelsorgerischen Tätigkeit. Aber auch dann, wenn die Umstände der Tätigkeit dies verlangen – etwa weil nur so die kirchliche Außenwirkung herstellbar ist. Das ist in einem Krankenhaus bei pflegenden Berufen wahrscheinlicher als beim Parkplatzwächter.

Verfassungsrechtliche Sonderstellung gewahrt

Dass die Kirchen also nicht mehr grundsätzlich immer und bei allen Tätigkeiten die Zugehörigkeit verlangen können, fügt sich in unsere Rechtsordnung gut ein, die immer beide betroffenen Seiten im Blick hat. Der bisher normierte Grundsatz, alle Beschäftigten einer evangelischen Einrichtung müssten evangelisch sein, lässt sich damit nicht halten. Das gilt auch für die Formulierung in der seit 2016 geltenden Richtlinie der EKD zur Loyalität. Doch die damit erfolgte Einschränkung stellt kein Ende der verfassungsrechtlichen Sonderstellung dar. Zwar wird beklagt, die einschlägige europäische Schutznorm werde zu wenig beachtet. Doch wahrt und achtet auch der EuGH die Rolle der Kirchen – weniger als vorher, aber stimmig im Gesamtsystem. Sie müssen nun nämlich überprüfbar plausibel machen, dass sie diese Sonderstellung zurecht einnehmen und ihnen bewusst ist, dass in den hier entschiedenen Fällen immer auch die betroffenen Arbeitnehmer grundrechtlich geschützt sind.

Faktisch wird sich wenig ändern: Denn schon jetzt wich die evangelische Kirche von ihren eigenen Grundsätzen immer wieder ab und beschäftigte viele Nichtchristen. Es wird sich anderes ändern müssen: Dauerhaft wird nämlich der Kirche aufgegeben sein, daran zu arbeiten, die Kirchlichkeit ihrer Einrichtungen auf andere Weise deutlich werden zu lassen als durch eine überwiegende Anzahl evangelischer Mitarbeiter. Nicht die schlechteste Konsequenz dieser EuGH-Entscheidung.

Jacob Joussen ist Hochschullehrer für deutsches und europäisches Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Bochum und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

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