sozial-Politik

Familie

Wenn Kinder zwei Zuhause haben




Hand drauf: Alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern.
epd-bild/Maike Glöckner
Welche Betreuungsform ist nach einer Trennung der Eltern am besten für die Kinder? Die FDP fordert die gesetzliche Festschreibung des sogenannten Wechselmodels als Regelfall und hat damit eine Diskussion unter Experten ausgelöst.

Als Martin und Bettina K. sich trennten, wollte keiner von beiden den Alltag mit den zwei Kindern missen. Beide Ex-Partner arbeiten als Lehrer. Die Kinderbetreuung hatten sie sich immer weitgehend geteilt. Deshalb wollten auch die beiden zehn- und zwölfjährigen Söhne weder auf Mama noch auf Papa verzichten. Schließlich fand die Familie einen Kompromiss: Die Kinder wohnen nun im wöchentlichen Wechsel bei Vater oder Mutter.

In diesem Fall einigten sich die Ex-Partner friedlich. Aber soll das sogenannte Wechselmodell auch zum Regelfall werden, wenn getrennte Eltern um die Kinder streiten?

Darüber ist eine Diskussion entbrannt, die durch einen Antrag der FDP-Fraktion im Bundestag angefacht wurde. Die Forderung der Liberalen: Das Wechselmodell sollte als gesetzlicher Regelfall festgeschrieben werden, wenn Eltern sich nicht einigen können und vor Gericht über den Wohnsitz und die Betreuung ihrer Kinder streiten. Keine andere Bundestagsfraktion unterstützt das.

Gerichte geben Sorgerecht im Streit meist der Mutter

Derzeit gehen die Gerichte im Streitfall vom Residenzmodell aus. Das heißt: Können sich Mutter und Vater nicht einigen, dann entscheiden die Richter, bei welchem Elternteil das Kind künftig wohnen soll. In aller Regel ist das die Mutter.

Die FDP möchte nun, dass die Gerichte in Streitfällen künftig - soweit es die Lebensumstände erlauben - dem Wechselmodell Vorrang geben. "Die Vorstellung, dass die Kinder nach einer Scheidung automatisch bei der Mutter leben, ist althergebracht", erklärt die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding zur Begründung.

Vor allem bei betroffenen Vätern trifft der Vorstoß der Liberalen auf große Zustimmung. Die heutige Regelung basiere auf dem Familienmodell der 50er oder 60er Jahre, als Väter noch Alleinernährer waren und die Kinderbetreuung fast ausschließlich Sache der Mütter war, sagt Markus Witt, Bundesvorstandsmitglied des Vereins Väteraufbruch für Kinder. Heute seien meist beide Elternteile berufstätig und kümmerten sich gemeinsam um die Kinder. "Wenn dann nach einer Trennung die alten Rollenbilder durch eine Gerichtsentscheidung wieder festgeschrieben werden, dann ist das eine Rolle rückwärts", sagt Witt.

Viele Eltern wollen gemeinsame Betreuung

Viele Eltern wollen das auch gar nicht und einigen sich deshalb einvernehmlich auf ein gemeinsames Betreuungsmodell. Tatsächlich kümmern sich bereits 22 Prozent aller getrennt lebenden Eltern annähernd zu gleichen Teilen um ihre Kinder. Das ergab eine repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Danach sind 93 Prozent dieser Ex-Paare mit der Regelung zufrieden. Dabei handelt es sich in aller Regel um Eltern, die sich aus freien Stücken auf eine Doppelresidenz für ihre Kinder geeinigt haben.

Das Wechselmodell sei allerdings nicht geeignet für Eltern, die sich streiten, sagt Erika Biehn, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. "Ihnen ein Betreuungsmodell zu verordnen, das besonders viel Kommunikation und Kooperation erfordert, wird dem Wohl der betroffenen Kinder nicht dienen."

Auch der Kinderschutzbund hält nichts von dem FDP-Vorstoß, der ja gerade für Eltern wirksam würde, die vor Gericht streiten. Gerade bei konflikthaften Trennungen sei die für ein Wechselmodell notwendige Gesprächsbasis oft nicht vorhanden, sagt Beate Naake, Vorstandsmitglied des Kinderschutzbundes.

Dieses Argument kann Familienrechts-Expertin Hildegund Sünderhauf-Kravets von der Evangelischen Hochschule Nürnberg nicht nachvollziehen. "Wenn Eltern zerstritten sind, geht der Konflikt ja auch im Residenzmodell weiter", beobachtet die Juristin. Sie befürwortet daher den Vorstoß der FDP. Müttern und Vätern müssten gleiche Rechte und Pflichten bei der Betreuung ihrer Kinder zugestanden werden. Derzeit seien die Väter vor Gericht meist in der Situation, begründen zu müssen, warum sie die Betreuung ihres Kindes übernehmen wollten. "Der Vater muss sich oft regelrecht als Super-Papa qualifizieren."

Studien sprechen für das Wechselmodell

Doch wie wirkt sich das Wechselmodell eigentlich auf die Kinder aus, um deren Wohl es ja in erster Linie gehen sollte? Befürworter einer gesetzlichen Änderung verweisen auf internationale Studien, die gezeigt hätten, dass Kinder mit dem Wechselmodell besser zurechtkommen.

"Tatsächlich gibt es Belege dafür, dass Kinder im Wechselmodell stabiler sind", sagt Stefan Rücker. Der Psychologe leitet die Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht", die derzeit im Auftrag des Bundesfamilienministeriums erstmals in Deutschland die Auswirkungen der unterschiedlichen Betreuungsmodelle nach Trennungen untersucht.

Allerdings gebe es zahlreiche Faktoren, die das Kindeswohl nach einer Trennung der Eltern beeinflussten, sagt Rücker. Wichtiger als das Betreuungsmodell sei das Verhalten der Eltern. Unter dem Streit der Eltern litten Kinder immer, ganz gleich in welcher Form sie betreut würden. Das Beste für die Kinder sei, wenn die Eltern es schafften, sich friedlich zu einigen. "Damit das gelingt, brauchen wir dringend mehr Beratung für Eltern während der Trennungsphase." Denkbar wäre laut Rücker eine angeordnete Beratung, so wie sie in Österreich eingeführt wurde. Eltern, die sich trennen, sind dort verpflichtet, sich mindestens einmal beraten zu lassen.

Claudia Rometsch