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Flüchtlinge

"Gesetz zum Familiennachzug ist voller Widersprüche"




Ulrike Schwarz
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Ab August sollen monatlich 1.000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ihre engsten Angehörigen nach Deutschland holen können. Doch wie das konkret funktionieren soll, wissen nicht mal Experten aus den Verbänden. Auch beim Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge herrscht Rätselraten.

Ab August sollen monatlich 1.000 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ihre engsten Angehörigen nach Deutschland holen können. Doch wie das konkret funktionieren soll, wissen nicht mal Experten aus den Verbänden. Ulrike Schwarz, Juristin beim Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, über rechtliche Unsicherheiten und Widersprüche im Gesetz. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Ab dem 1. August soll der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz anlaufen. 1.000 Personen pro Monat dürfen laut Gesetz nach Deutschland einreisen. Wird das funktionieren?

Ulrike Schwarz: Wir haben da große Zweifel. Das Familiennachzugsgesetz strotzt vor Widersprüchen und ist unsauber gemacht. Es bestehen erhebliche rechtliche Unsicherheiten.

epd: Wo erwarten Sie Probleme?

Schwarz: Weder im Gesetz noch in der Begründung steht, wie der Familiennachzug genau funktionieren soll. Das ist absurd. Was sind genau die humanitären Gründe, die den Nachzug ermöglichen? Ist die Aufzählung abschließend. Wer entscheidet, ob und was ausreichende Integration in Deutschland ist? Darf die Ausländerbehörde selber bestimmen, was ein humanitärer Härtefall ist? Fragen über Fragen, aber es gibt keine Antworten. Diese Probleme haben übrigens auch den Bundesrat beschäftigt, der dazu intelligente Fragen gestellt hat.

epd: Um was zu erfahren?

Schwarz: Zum Gesetz gab es zwei Anmerkungen aus der Länderkammer. Die eine betraf das Bundesverwaltungsamt. Die Abgeordneten wollten wissen, warum ausgerechnet dieses Amt, das mit dem aktuellen Verfahren zum Familiennachzug nicht befasst ist und insofern auch nicht über den Erfahrungsschatz verfügt, über den Familiennachzug entscheiden soll. Die andere Frage betraf die Kriterien der Prüfung zu den humanitären Gründen, die im Gesetz stehen. Sind das Kriterien, die vorliegen müssen oder gibt es da Ermessensspielräume der Behörden. Das hat extreme Folgen. Denn wenn das Tatbestandsvoraussetzungen sind, dann wäre das ganze Verfahren viel enger gefasst und auch eine ablehnende Entscheidung später vollständig gerichtlich überprüfbar.

epd: Die abschließenden Entscheidungen trifft das Bundesverwaltungsamt. Gibt es dazu Regelungen?

Schwarz: Man kann davon ausgehen, dass dazu Verwaltungsvorschriften für die beteiligten Behörden in Arbeit sind. Für uns stellen sich die Fragen, was welches Amt entscheidet und auf welcher Grundlage. Prüfen die Mitarbeiter die Tatbestandsvoraussetzungen? Oder das Ermessen der anderen beiden beteiligten Behörden? Haben die ein eigenes Prüfungsrecht? All das ist unklar.

epd: Kommen wir zurück zu den ganz unmittelbaren Wirkungen des Gesetzes. Wie ist der Sachstand aus Ihrer Sicht?

Schwarz: Das größte Problem für uns als Verband ist, dass der Geschwisternachzug aus dem monatlichen Kontingent vollständig ausgeschlossen ist. Das ist für Familien mit mehreren kleinen Kindern eine unlösbare Situation. Der Elternachzug ist geregelt, während der Geschwisternachzug unmöglich ist. Und es ist total unklar, ob die Geschwister über die Härtefallregelung der Paragrafen 22/23 Aufenthaltsgesetz nach Deutschland kommen können oder nicht.

epd: Warum fehlt es dazu an Informationen?

Schwarz: Dazu steht nichts im Gesetz. Aus den Begründungen kann man nur eine Tendenz herauslesen, den Nachzug von Geschwistern insgesamt zu erschweren.

epd: Was bedeutet das für betroffene Familien?

Schwarz: Die Eltern haben zwei Optionen. Entweder zu den Minderjährigen nach Deutschland nachzureisen, um sich dort um sie zu kümmern, oder deren Geschwister daheim oder in Flüchtlingslagern zu versorgen. Sie müssen sich zwischen den Kindern entscheiden. Das ist nicht nur unwürdig, das ist faktisch für Eltern nicht möglich. Sie müssten die eigene Familie zerstören. Unter dem Strich heißt das: Der Elternnachzug ist durch den Ausschluss des vollständigen Geschwisterkindernachzug quasi ausgeschlossen.

epd: Blicken wir auf die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge?

Schwarz: Das Kontingent ist für diese Personengruppe aufgrund der genannten Situation fast gar keine Option.

epd: Wie viele Personen werden überhaupt versuchen, den Familiennachzug zu nutzen?

Schwarz: Das weiß keiner. Es gibt allenfalls Schätzungen.

epd: Wie viele Minderjährige sind betroffen?

Schwarz: Dazu gibt es ebenfalls keine Daten. Dazu müsste man etwas zählen können.

epd: Warum ist das so schwierig?

Schwarz: Ich zeige das an Beispielen. Wie viele Eltern unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge leben im Ausland? Das kann man nicht zählen, weil man nicht sicher weiß, ob beide Elternteile in Kriegsgebieten überhaupt noch leben. Aber selbst wenn ich diese Zahl hätte: Wer weiß denn, ob die auch alle nachziehen wollen. Davon kann man nicht ausgehen. Weil viele Eltern sagen: Hauptsache mein Kind ist in Sicherheit, ich bleibe dann in der Heimat.

epd: Und was ist mit den Anträgen auf Familiennachzug, die bei den Konsulaten eingeht?

Schwarz: Die sind ebenfalls nicht aussagefähig. Denn dann setzt man voraus, dass alle Personen einen Antrag stellen. Doch viele tun das gar nicht, etwa, weil sie nicht glauben, dass das Verfahren irgendwann für sie zum Erfolg führt. Oder sie bezweifeln, dass sie überhaupt Zugang zu dem Antragssystem haben. Schließlich fallen nach aktueller nationaler Rechtslage Monat für Monat antragsberechtigte Eltern aus dem Familiennachzug heraus, denn wenn deren Kinder 18 Jahre alt geworden sind, hat sich die Sache – so die deutsche aktuelle Rechtslage - für sie erledigt. Zwar gibt es seit April 2018 ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union, der zumindest den Elternnachzug zu Jugendlichen mit Flüchtlingseigenschaft unter bestimmten Voraussetzungen auch nach dem 18. Lebensjahr möglich macht, aber ob diese Entscheidung auch auf Eltern von Jugendlichen mit subsidiären Schutz anwendbar sein kann, ist unklar.

epd: Was ist mit den bewilligten Personen, die über der Grenze von 1.000 Personen im Monat liegen. Sind die dann ab dem 1. Januar 2019 automatisch im nächsten Monatskontingent?

Schwarz: Das weiß wirklich niemand. Wenn Sie es beim Bundesverwaltungsamt recherchieren können, hätten wir dann gerne das Ergebnis. Dann wäre uns sehr geholfen.

epd: Ist das Gesetz vereinbar mit dem Grundgesetz und was halten Sie von einer Überprüfung in Karlsruhe?

Schwarz: Vielleicht kann man so viel sagen: Das Gesetz ist verfassungsmäßig nicht ganz sauber. Es ist mit Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention bedenklich, gleiches gilt für die europarechtliche Dimension. Das Gesetz ist aber auch sehr geschickt und intelligent geschrieben. Der Verweis, dass der Schutz der Familien durch die Paragrafen 22/23 Aufenthaltsgesetz gewahrt wird, könnte genutzt werden, um in Härtefällen einen Nachzug zu ermöglichen und so den Vorwurf "absoluter Ausschluss" weg zu argumentieren. Ob diese Argumentation jedoch erfolgreich ist, ist fraglich.