sozial-Politik

Bundesregierung

Sozialer Arbeitsmarkt soll Langzeitarbeitslosen Perspektiven eröffnen




Künftig Aufgabe der Jobcenter: das neue Förderprogramm für Langzeitarbeitslose.
epd-bild/Norbert Neetz
Die Bundesregierung will mit einem neuen sozialen Arbeitsmarkt die Jobchancen der rund 900.000 Langzeitarbeitslosen in Deutschland verbessern. Kommunen loben die Pläne, Arbeitgeber und Sozialverbände sind eher kritisch. Auch die Opposition geht auf Distanz.

Mit einer Milliardenförderung für den sozialen Arbeitsmarkt will die Bundesregierung die Jobchancen der rund 900.000 Langzeitarbeitslosen in Deutschland verbessern. Den Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums dazu hat das Kabinett am 18. Juli in Berlin auf den Weg gebracht. Künftig soll es zwei neue Förderinstrumente geben, "Teilhabe am Arbeitsleben" und "Eingliederung von Langzeitarbeitslosen". Die Pläne stießen überwiegend auf Zustimmung. Die Diakonie und die Gewerkschaften forderten Nachbesserungen am Gesetzentwurf.

Menschen, die schon seit mehreren Jahren arbeitslos sind, sollen nach dem Willen der Regierung bis zu fünf Jahre mit Lohnkostenzuschüssen gefördert werden. Voraussetzung ist, dass sie sozialversicherungspflichtig bei privaten Unternehmen, Kommunen oder gemeinnützigen Trägern beschäftigt werden.

Die volle Förderung sollen dem Regelwerk zufolge Menschen erhalten, die sechs Jahre ohne längere Unterbrechung arbeitslos waren und Grundsicherung bezogen haben. Für zwei Jahre sollen die Lohnkosten für die Geförderten in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns komplett von der öffentlichen Hand übernommen werden. Danach sollen die Zuschüsse um zehn Prozent pro Jahr gekürzt und vom Arbeitgeber übernommen werden. Die Förderung läuft nach spätestens fünf Jahren aus.

Gestufte Lohnkostenzuschüsse als Anreiz

Für Menschen, die mindestens zwei Jahre arbeitslos sind, sieht der Entwurf eine Unterstützung für zwei Jahre vor. Dabei sollen im ersten Jahr 75 Prozent, im zweiten Jahr 50 Prozent zu den Lohnkosten hinzugeschossen werden. Bei dieser Zwei-Jahres-Förderung sind die Arbeitgeber verpflichtet, die Beschäftigung danach für mindestens ein halbes Jahr fortzusetzen. Die Lohnkostenzuschüsse sollen durch eine neue Regelung im Sozialgesetzbuch II ermöglich werden.

Weiterbildungen sowie ein begleitendes Coaching sollen ebenfalls finanziert werden, damit die Geförderten möglichst langfristig in Arbeit bleiben. Vom Bund sind für die Maßnahmen bis zum Jahr 2022 vier Milliarden Euro eingeplant. Das Gesetz muss noch von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Es soll im Januar 2019 in Kraft treten.

Beate Müller-Gemmeke, Expertin für Arbeitsmarktpolitik, kritisierte, dass sich die Förderung beim Sozialen Arbeitsmarkt nicht an Tariflöhnen, sondern nur am Mindestlohn orientieren soll. "Bundesarbeitsminister Heil hat sich damit dem Druck der Union gebeugt und verspielt so Chancen, die der Soziale Arbeitsmarkt vielen Menschen bieten könnte."

Mit dieser Regelung würden gerade die Betriebe benachteiligt, die die Tarifpartnerschaft hoch halten, denn sie müssen die Lohnlücke zwischen Tariflohn und Mindestlohn selber erwirtschaften, wenn sie langzeitarbeitslose Menschen anstellen. "Betriebe ohne Tarifbindung aber bekommen die Jobs in Höhe des Mindestlohns komplett ersetzt. Das ist nicht gerecht", sagte die Grüne. So werde der Soziale Arbeitsmarkt für tarifgebundene Betriebe, Kommunen und Beschäftigungsträger wenig attraktiv. Das sei fatal, denn die soziale und berufliche Integration von Menschen, die lange arbeitslos waren, ist eine gesellschaftliche Aufgabe und müsse von allen engagiert angegangen werden.

Diakonie wirbt für Korrekturen

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik Deutschland, sagte in Berlin, auch ein sozialer Arbeitsmarkt brauche faire Löhne. "Nur den Mindestlohn zu fördern, auch wenn tariflich gebundene Arbeitgeber Tariflohn zahlen, macht das Programm unattraktiv. Lohnkostenzuschüsse müssen sich am Tariflohn und nicht am Mindestlohn orientieren, sagte Loheide.

Ebenso ist nach ihrer Bewertung die Hürde zu hoch, nach der Langzeitarbeitslose mindestens sieben Jahre Leistungen bezogen haben müssen und in dieser Zeit kaum erwerbstätig waren. "Das schließt Menschen aus, die vier oder fünf Jahre draußen sind aus dem Arbeitsmarkt und ohne diese Förderung kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben." Der Gesetzentwurf müsse deutlich nachgebessert werden, "damit der soziale Arbeitsmarkt ein Erfolg wird und Langzeitarbeitslose eine echte Chance und Perspektive bekommen."

Ähnlich äußerte sich auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Die Voraussetzung zur Teilnahme am Programm, vorher mindestens sieben Jahre Hartz-IV bezogen haben zu müssen, sei eine unnötige Einschränkung. Der Zeitraum sei viel zu lang, hieß es. "Die Menschen sollten nicht so lange warten müssen, bis sie an einem für sie passenden Förderinstrument teilnehmen können."

"Es ist längst überfällig für Langzeitarbeitslose langfristig angelegte Fördermaßnahmen im SGB II zu verankern. Nur so erhalten sie eine realistische Chance, wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden", sagte Caritas-Präsident Peter Neher in Berlin. Gut sei zudem, dass eine ganzheitlich beschäftigungsbegleitende Betreuung (Coaching) verpflichtend vorgesehen ist, von der auch die Familienmitglieder in Haushalten von Langzeitarbeitslosen profitieren können.

Neher sagte jedoch auch, die Schwierigkeit für soziale Träger bestehe darin, dass die im Gesetz vorgesehene Pflicht zur Weiterbeschäftigung nach Projektende nicht gewährleistet werden könne, da im Unterschied zu Unternehmen die Mittel fehlen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte, dass von dem Gesetz nur Arbeitslose profitieren sollen, die mindestens sieben Jahre lang Hartz-IV-Leistungen bezogen und keine nennenswerten Beschäftigungen hatten. "Schon deutlich kürzere Zeiten in verfestigter Arbeitslosigkeit führen nach aller Erfahrung bei vielen Betroffenen zu massiven gesundheitlichen Belastungen und sozialer Ausgrenzung. Deswegen muss deutlich früher geholfen werden", erklärte Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Er plädierte dafür, dass das Gesetz spätestens nach vier Jahren durchgängiger Arbeitslosigkeit Angebote ermöglicht.

Ver.di warnt vor Mitnahmeeffekten

Für die Gewerkschaft ver.di sagte Vorstandsmitglied Dagmar König, es sei nicht hinnehmbar, dass die Beschäftigten im Sozialen Arbeitsmarkt trotz mehrjähriger Beschäftigung keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben sollen. "Die vorgesehenen Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber müssen auf Grundlage der Tariflöhne berechnet werden." Die Akzeptanz von Mindestlöhnen setze einen falschen Anreiz, da damit vor allem Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor geschaffen würden.

Bei den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten ist laut König darauf zu achten, dass es zu keinen Verdrängungswettbewerben zu bisherigen Arbeitsplätzen komme: "Insbesondere bei Einsätzen jenseits kommunaler beziehungsweise öffentlicher Auftraggeber ist es wichtig, dass bloße Mitnahmeeffekte vermieden werden."

Kommunen begrüßen Pläne

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hält die Pläne der Bundesregierung für einen sozialen Arbeitsmarkt für richtig. Das Programm von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sei ein "vernünftiger Ansatz", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Südwestrundfunk. Die Arbeitgeber befürchten indes, dass sich der der geplante soziale Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose in erster Linie auf öffentliche Arbeitgeber beschränken könnte. "Das ist keine Brücke, die in den ersten Arbeitsmarkt führt", sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Landsberg sagte, es werde nicht möglich sein, für alle Langzeitarbeitslosen etwas zu finden, dafür seien die Mittel zu gering. Trotzdem sei es richtig, ein solches Experiment zu wagen, in bis zu 150.000 Fällen könne es funktionieren. "Alles besser als Arbeitslosigkeit", sagte er. Allerdings werde man noch einmal über die Bezahlung der Arbeitskräfte reden müssen. Es sei wichtig, dass die Menschen nicht nur Mindestlohn bekämen, sondern nach Tarif bezahlt würden, sonst seien sie vom ersten Tag an diskriminiert.

Landsberg befürchtet durch das Langzeitarbeitslosenprogramm keine Wettbewerbsverzerrung bei den Unternehmen. Der Verdrängungseffekt werde nicht eintreten, weil händeringend Arbeitskräfte gesucht würden. Das Programm müsse aber so unbürokratisch wie möglich laufen, um nicht zu scheitern.

Mey Dudin, Dirk Baas