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Niedersachsen

Sozialministerin verteidigt im Landtag umstrittene Pflegekammer




Alle Beschäftigten in der niedersächsischen Pflege sind automatisch Mitglieder der Pflegekammer.
epd-bild/Werner Krüper
Seit Wochen sorgt die neu gegründete Pflegekammer für Diskussionen in Niedersachsen. Ihre Gegner kritisieren die ersten Beitragsbescheide und fordern ein Ende der Pflichtmitgliedschaft. Im Landtag stellten sich SPD und Grüne jetzt hinter die Kammer.

Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) hat im Landtag die umstrittene Pflegekammer gegen scharfe Kritik aus FDP und AfD verteidigt. "Das ungeschickte Vorgehen der Pflegekammer bei der Beitragserhebung sollte jetzt nicht dazu genutzt werden, den Pflegekräften eine für die Wahrung ihrer Interessen sehr wichtige Vertretung abspenstig zu machen", sagte Reimann am 23. Januar in Hannover. Die jetzt geforderte Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht würde "aus einer starken Stimme der Pflege einen zahnlosen Tiger" machen.

Reimann bat um Geduld, damit die erst im August gegründete Kammer ihre Arbeit weiter aufbauen und festigen könne. Sie habe "eine zweite Chance verdient". Auch die Grünen unterstützten die Pflegekammer.

Zuvor hatte FDP-Fraktionschef Stefan Birkner gefordert, die "Zwangsmitgliedschaft" in der Pflegekammer zu beenden und in eine freiwillige Mitgliedschaft umzuwandeln. Birkner verwies auf eine Online-Petition, nach der inzwischen mehr als 46.000 Unterzeichner die Auflösung der Kammer fordern, darunter 41.000 aus Niedersachsen. "Alle diese Menschen sollten in ihrem Protest ernstgenommen und nicht diskreditiert werden."

Kritik an drohenden Höchstbeiträgen

Anlass der Petition waren Bescheide, in denen den Mitgliedern der Einzug des Höchstbeitrages angekündigt wurde, wenn sie nicht schnell ihre Einkommensverhältnisse offenlegten. Die Pflegekammer hatte als Reaktion auf die Proteste in der vergangenen Woche eine überarbeitete Beitragsordnung vorgestellt. Birkner sprach von einem "vergifteten Weihnachtsgeschenk", dass die Pflegekräfte kurz vor den Feiertagen vorgefunden hätten. Bei vielen entscheidenden Themen der Pflege wie der Festlegung der Personalschlüssel und bei den Rahmenbedingungen der Arbeit habe die Pflegekammer kein Mitspracherecht, kritisierte er.

Bereits am 17. Januar hatte die Pflegekammer auf dieser Vorwürfe reagiert. "Etwa 13.000 Mitglieder, die weniger als 9.168 Euro pro Jahr verdienen, müssen zukünftig gar keinen Beitrag zahlen", sagte Kammerpräsidentin Sandra Mehmecke im Gesundheitsausschuss des Landtages. Auch die Festsetzung des Jahreshöchstbeitrags im Regelbescheid werde ab dem Beitragsjahr 2019 abgeschafft. Mehmecke stelle die neue Beitragsordnung am 17. Januar im Gesundheitsausschuss des Landtags vor. Im Anschluss an die Sitzung rügten die Oppositionsparteien mangelnde Unterstützung der Landesregierung für die Kammer.

Nach der neuen Beitragsordnung zahlten Mitglieder 0,4 Prozent der Jahreseinkünfte aus dem vorletzten Kalenderjahr, erläuterte Mehmecke. Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin mit einem Jahreseinkommen von beispielsweise 30.000 Euro solle abzüglich der Werbungskosten etwa 116 Euro im Jahr bezahlen. Da in Pflegefachberufen von einer hohen Teilzeitquote auszugehen sei, liege der Beitrag bei einer halben Stelle durchschnittlich bei unter fünf Euro

CDU spricht sich für Evaluation aus

Die AfD forderte jetzt im Parlament, die Pflegekammer in eine durch das Land finanzierte Vereinigung der Pflegekräfte mit freiwilliger Mitgliedschaft nach bayrischem Vorbild umzuwandeln. "Eine Kammer, in der die Mitglieder zwangsverpflichtet werden, aber eigentlich gar nicht Mitglied sein wollen, ist ein armseliges Feigenblatt der Mächtigen", sagte der Abgeordnete Stephan Bothe.

Der CDU-Sozialexperte Volker Meyer verlangte, sofort mit den Vorbereitungen für eine Evaluation der Kammer zu beginnen, die nach dem rot-schwarzen Koalitionsvertrag bis Mitte 2020 vorliegen solle.

Die Kammer war 2016 unter der Vorgängerregierung mit den Stimmen von SPD und Grünen beschlossen worden. Für die Grünen, jetzt in der Opposition, betonte die Abgeordnete Meta Janssen-Kucz: "Die Pflegekammer ist eine Einrichtung von Pflegekräften für Pflegekräfte." Ihre Initiatoren wollten nicht länger darauf warten, bis sich Krankenkassen oder andere erbarmten und ihnen Verbesserungen gewährten: "Sie wollen mitreden und mitbestimmen, wenn es um ihren Beruf geht." Dafür müssten alle in dem Beruf Beschäftigten dort Mitglied sein.

Ver.di fordert neue Umfrage

Für die SPD-Fraktion sagte der Abgeordnete Uwe Schwarz, im freiwilligen bayrischen "Pflegering" seien von landesweit rund 180.000 Pflegekräften weniger als ein Prozent Mitglied.

Unterdessen reagierte die Gewerkschafts ver.di mit Unverständnis und Kritik am Verhalten der Landesregierung. Landesleiter Detlef Ahting: "Weit über 45.000 Menschen haben bislang eine Online-Petition unterzeichnet, beim Landtag sind mehr als 4.500 Eingaben eingereicht worden und die Politik reagiert mit intensivem Beharrungsvermögen." Ohne zu wissen, warum so massive Kritik geübt worden sei, könne man doch gar nicht die richtigen Weichen stellen. "Daher ist jetzt eine Befragung aller Pflegekräfte durch ein unabhängiges Institutut erfoderlich." Nur so könne eine Legitimationsgrundlage für eine Kammer überprüft werden.

Michael Grau