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Menschen mit geistiger Behinderung werden zu Hochschul-Lehrern




Menschen mit Behinderungen werden zu Inklusions-Experten ausgebildet.
epd-bild/Claudia Rometsch
Wenn es um Belange von Menschen mit Behinderung geht, sprechen meist Nicht-Behinderte für sie. Erstmals sollen nun in Nordrhein-Westfalen Menschen mit geistiger Behinderung Studierende an Hochschulen in Sachen Inklusion unterrichten.

Florian Lintz hatte trotz seiner Behinderung immer das Ziel, einen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt zu bekommen. "Ich habe eine Zeit lang in der Krankenpflege gearbeitet. Man hat mir auch gesagt, dass ich kognitiv relativ fit bin", sagt der junge Mann. "Aber ich musste dann wegen Mobbing aufhören", berichtet er. Nun ist Florian Lintz glücklich. Denn er wird nun zusammen mit sechs weiteren Menschen mit geistiger Behinderung zur Bildungsfachkraft an Hochschulen qualifiziert.

Ausbildung zu Inklusions-Experten

Der offizielle Startschuss für das Projekt "Inklusive Bildung NRW", das erstmals Behinderte in Nordrhein-Westfalen zu Experten in eigener Sache ausbildet, fiel in Köln. "Die Teilnehmer sollen dazu beitragen, dass Studierende darauf achten, sich auf die Belange Behinderter einzustellen", erklärt die Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Bildungsministerium, Annette Storsberg (CDU), das Ziel des Lehrgangs.

Florian Lintz und die sechs anderen Teilnehmer sollen drei Jahre lang zu Inklusions-Experten qualifiziert werden. Nach Abschluss der Ausbildung durch das Institut für Inklusive Bildung NRW werden sie Lehrkräften und Studierenden an nordrheinwestfälischen Hochschulen die speziellen Bedürfnisse und Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen vermitteln. Gefördert wird das Projekt vom Landschaftsverband Rheinland (LVR), der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und der Kämpgen-Stiftung.

Mit Unterstützung einer pädagogischen Assistenz oder einer hauptamtlichen Lehrkraft werden die Bildungsfachkräfte Seminare und Workshops abhalten, etwa zu Themen wie Barrierefreiheit oder die Anforderungen an einen inklusionsorientierten Arbeitsplatz. Ziel sei es, die beiden gesellschaftlich getrennten Welten der hochschulischen Exzellenz und der sogenannten geistigen Behinderungen miteinander zu verbinden, erklärte Claudia Paul vom Institut für Inklusive Bildung NRW.

"Lange überfällig"

"Das ist eine tolle Idee", freut sich Jennifer Cöllen. Die 24-Jährige, die bislang in einer Kölner Behindertenwerkstatt gearbeitet hat, hat bereits Erfahrungen in einem Projekt mit Studierenden gesammelt. "Ich freue mich darauf, anderen viel zu vermitteln." Auch sie hat bei einem Praktikum im Einzelhandel erfahren, wie wenig die Arbeitswelt auf Menschen mit Behinderungen eingestellt ist.

Das Projekt "Inklusive Bildung NRW" will bereits bei den Studierenden ein Bewusstsein für die Bedürfnisse von Behinderten wecken. "Das Projekt soll langfristig und innovativ zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention beitragen", sagt Storsberg. Diese schreibt die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen vor.

"Es ist ein tolles und lange überfälliges Experiment", sagt der Präsident der Technischen Hochschule Köln, Stefan Herzig. Die Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule ist Partner des Projekts. Es sei Zeit, die Perspektive zu öffnen und Behinderte zu Experten in eigener Sache zu machen.

"Ich will zeigen, was ich kann"

Die Bildungsfachkräfte sollten zunächst am Studiengang Kindheitspädagogik und Soziale Arbeit eingesetzt werden, sagt Paul. Geplant sei aber die Ausdehnung auf weitere Studienfächer. Denkbar sei zum Beispiel die Schulung von Architekturstudenten, damit diese in ihrer späteren Berufspraxis die Belange Behinderter besser berücksichtigen könnten.

Ziel ist es, den Einsatz der künftigen Bildungsfachkräfte auf möglichst viele nordrhein-westfälische Hochschulen auszudehnen. Dazu sollen entsprechende Kooperationen vereinbart werden. In Schleswig-Holstein, das einzige Bundesland, wo bereits ein entsprechendes Projekt läuft, funktioniert das bereits sehr gut. Dort schulten die Bildungsfachkräfte mit geistiger Behinderung im vergangenen Jahr insgesamt 3.400 nicht behinderte Menschen.

Nach Abschluss ihrer Ausbildung soll den Bildungsfachkräften eine reguläre Anstellung im ersten Arbeitsmarkt angeboten werden. Dazu ist die Gründung eines Inklusionsunternehmens vorgesehen. Florian Lintz freut sich über diese Chance. "Ich will zeigen, dass ich nicht das bin, was man unter einem klassischen Menschen mit Behinderung versteht. Ich will zeigen, was ich kann."

Claudia Rometsch