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Pflege

Verbände fordern Steuerbefreiung bei Überstunden




Schichtplan eines ambulanten Pflegedienstes in Bielefeld (Archivbild)
epd-bild/Werner Krüper
"Das System rast auf den Abgrund zu": Am "Tag der Pflegenden" machte der Paritätische Wohlfahrtsverband mit drastischen Worten auf die Nöte der Branche aufmerksam. Die Kanzlerin versichert, dass die Regierung an einer Verbesserung der Lage arbeite.

Zum "Tag der Pflegenden" am 12. Mai haben Branchenvertreter mehr Anerkennung und eine bessere Vergütung für Pflegekräfte gefordert. So sprach sich der Arbeitgeberverband Pflege dafür aus, dass Überstunden von Beschäftigten im Pflegebereich künftig von Steuern und Abgaben befreit werden sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte in ihrem Video-Podcast allen professionellen Pflegekräften und jenen, die ihre Angehörigen pflegen. Die Bundesregierung arbeite daran, deren Situation zu verbessern.

Der internationale "Tag der Pflegenden" (International Nurses Day) wird in Deutschland seit 1967 veranstaltet. Es ist der Geburtstag der Britin Florence Nightingale (1820-1910), der Begründerin der systematischen Krankenpflege. Das Motto des Aktionstages lautete in diesem Jahr "Gesundheit für alle".

Forderung nach finanzieller Anerkennung

Nach den Worten des Chef des Arbeitgeberverbandes Pflege, Thomas Greiner, kann an vielen Orten die Pflege nur sichergestellt werden, wenn die Pflegekräfte viele Überstunden leisten. Wenn die Überstunden von Steuern und Sozialversicherungsabgaben befreit würden, "hätten die Pflegekräfte eine echte Anerkennung, die sie sofort im Geldbeutel spüren", erklärte Greiner. Was in Frankreich für alle Arbeitnehmer geschaffen werde, solle in Deutschland wenigstens für den Mangelberuf Pflege möglich sein. Die Bundesregierung dürfe "nicht bei warmen Worten stehen bleiben".

Merkel sagte, immer noch seien es die Angehörigen, auf denen der größte Teil der Arbeit bei der Pflege laste: "In den Familien wird Unglaubliches geleistet." Der Staat könne hier zwar nur unterstützend tätig sein. Aber es seien eine bessere soziale Absicherung, Möglichkeiten zur beruflichen Freistellung und eine professionelle Beratung geschaffen worden. Am Ziel sei man aber noch lange nicht: "Wir arbeiten dauerhaft daran, die Bedingungen zu verbessern", sagte sie ihrem wöchentlichen Video-Podcast.

Auch für professionelle Pflegekräfte bleibe noch viel zu tun, aber die Regierung sei mit dem "Sofortprogramm Pflege" auf gutem Weg, fügte sie hinzu. Damit sei zum Beispiel die Ausbildung für Pflegekräfte vollkommen neu geordnet worden. Für Pflegekräfte in der Ausbildung werde es in Zukunft kein Schulgeld mehr geben, "sondern eine anständige Vergütung". Zudem finanziere die Bundesregierung 13.000 neue Vollzeitstellen. Auch solle die "Konzertierte Aktion Pflege" zu einer vernünftigen und bundeseinheitlichen Bezahlung führen.

Verband: Lage in der Pflege ist dramatisch

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen zeichnete ein düsteres Bild der Lage in der Altenpflege. Die Versorgungssicherheit stehe auf der Kippe. Politik und Kostenträger müssten endlich an einem Strang ziehen, um eine Katastrophe zu verhindern, teilte der Verband am Sonntag mit. "Dieses System rast auf den Abgrund zu und braucht schnellstens eine Kehrtwende." In der ambulanten Pflege müsse der Arbeitsdruck sinken, und die Vergütung müsse besser werden.

Schon jetzt müssten Pflegedienste immer wieder Pflegegesuche ablehnen, weil die Personaldecke zu dünn sei. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen klagten über unpersönliche "Pflege im Minutentakt", schilderte der Verband. Ursache sei, dass für bestimmte Dienstleistungen nur eine bestimmte, knapp bemessene Zeit rückvergütet werde. Nähmen sich die Pflegekräfte dennoch mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten, bekomme der Pflegedienst dafür kein zusätzliches Geld von der Pflegekasse. Auch die Fahrzeiten zwischen den einzelnen Einsatzorten würden unzureichend vergütet.

Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegten, seien stark beansprucht und hätten kaum Möglichkeiten zur Erholung. Deshalb müssen dem Verband zufolge sowohl die professionellen Pflegekräfte als auch die pflegenden Angehörigen viel mehr unterstützt werden.

Ver.di fordert mehr Personal

Die Gewerkschaft ver.di forderte erneut mehr Personal und Entlastung sowie angemessener Bezahlung in Krankenhäusern und Altenpflege. "Bei den Missständen in der Pflege gibt es kein Erkenntnisproblem, was es braucht sind entschlossene und umfassende Lösungen. Politik und Arbeitgeber sind dringend aufgerufen, zügig zu handeln, um dem Fachkräftebedarf zu begegnen", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

Für eine ganzheitliche und würdige Pflege fehle das Personal. "Es braucht endlich bundeseinheitliche verbindliche Vorgaben für eine Personalausstattung, die sich am tatsächlichen Pflegebedarf orientieren", sagte Bühler. Vor allem in der Altenpflege werde oft schlecht bezahlt, deshalb müssten diese Arbeitgeber verpflichtet werden, einen flächendeckenden Tarifvertrag zu Mindestbedingungen in der Altenpflege anzuwenden.

Die aktuell veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen laut Bühler, dass sich der Fachkräftemangel in Alten- und Krankenpflege noch einmal dramatisch verschärft hat. Nur mit guten Arbeitsbedingungen und einer anständigen Bezahlung könnten Pflegekräfte gehalten, in den Beruf zurückgeholt und neue Beschäftigte gewonnen werden.

"Der Pflegenotstand hat weder mit fehlenden Pflegekräfte zu tun noch damit, dass die Menschen jetzt älter werden als früher. Der Pflegenotstand ist eine logische Folge verfehlter Politik", erklärte Pia Zimmermann, Sprecherin der Linksfraktion. "Ich bin sicher, dass die Altenpflegeeinrichtungen sich vor Bewerberinnen und Bewerbern nicht retten könnten, wenn sich die Arbeitsbedingungen und die Gehälter in der Altenpflege radikal ändern würden." Denn die meisten Pflegekräfte verließen weit vor dem Erreichen des Rentenalters ihren Beruf. Sie gingen, um sich selbst vor den miserablen Arbeitsbedingungen zu schützen.

Stefan Fuhr, Dirk Baas