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NAK: Zentrale Botschaften zu Alterssicherung und Rente




Renteninformation
epd-bild/Jürgen Blume
Die Nationale Armutskonferenz hat ein Positionspapier zur Zukunft der Alterssicherung verabschiedet. Darin fordert das Bündnis die Bundesregierung unter anderem auf, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auszubauen.

Die Delegierten der Nationalen Armutskonferenz (nak) haben im April ein Positionspapier zur Zukunft der Alterssicherung verabschiedet. Eine der Kernaussagen des Papiers: Der Kreis der Beitragszahler in der Rentenkasse ist dringend zu erweitern: "Ein solidarisches und dauerhaft tragfähiges System der Alterssicherung kann nur funktionieren, wenn möglichst alle Erwerbstätigen einschließlich Selbstständiger beitragen." Die Nationale Armutskonferenz (nak) ist ein Bündnis von Organisationen, Verbänden und Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzen. Wir dokumentieren das Konzept mit geringfügigen Kürzungen:

"Eine auskömmliche, sichere und verlässliche Alterssicherung zu garantieren, ist eine Kernaufgabe des Sozialstaats in Deutschland. Eine Person im Rentenalter kann ihre soziale Situation nicht mehr aktiv verändern. Spätestens im Alter gilt bis auf wenige Ausnahmen: einmal arm - immer arm. Mit der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung existieren sachgerechte Institutionen. Damit sie zukünftig als Gesamtsystem der Alterssicherung strukturell Armut verhindern, müssen sie reformiert und weiterentwickelt werden.

Menschenrechtlicher Mindeststandard

Das Versicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung muss so leistungsfähig werden, dass möglichst alle Menschen umfasst werden. Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung muss ausgebaut werden.

Rentenpolitik ist aber auch vorgelagerte Sozialpolitik. Eine Reform der Alterssicherung ohne echte Arbeitsmarktreformen, die "gute"- das heißt rentenversicherungspflichtige, dauerhafte und auskömmlich bezahlte - Arbeit für alle, die arbeiten wollen, befördert, läuft ins Leere.

Der soziale Schutz - auch im Alter - ist ein Menschenrecht und deckt alle Gefahren ab, die durch den Verlust des Lebensunterhalts entstehen. Dieser menschenrechtliche Mindeststandard wurde bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben und durch Art. 9 des UN-Sozialpaktes für Deutschland zu einer verbindlichen Vorgabe.

Beitragszahlung muss sich lohnen

Für eine Reform der Alterssicherung, die zukünftig Armut verhindern soll, müssen aus Sicht der Nationalen Armutskonferenz die nachfolgenden Botschaften beachtet werden:

I. Die umlagefinanzierte Rente ist im Grundsatz ein Erfolgsmodell. Sie begründet einen "Generationenvertrag": Die Beiträge der Arbeitnehmer/innen sind die Leistungen der Rentner/innen. Gerecht ist der Vertrag, wenn verlässlich und auf Dauer garantiert wird, dass Beiträgen auch zukünftig auskömmliche Leistungen entsprechen. Die Beiträge begründen einen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsanspruch auf Rentenleistungen. Den Beiträgen müssen langfristig angemessene Renten gegenüberstehen. Diese Zusage der Rentenversicherung muss für junge und ältere Beitragszahler/innen gleichsam gelten. Zu diesem Leistungsversprechen in der Rente zählt auch ein stabiles und dauerhaft wieder höheres Rentenniveau.

II. Die Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung muss sich lohnen. Es ist nicht hinnehmbar, wenn jahrelange Beitragszahlungen zu einem Rentenanspruch unterhalb der Armutsgrenze führen. Sicherungslücken entstehen bei Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Zeiten der Erwerbslosigkeit, beruflichen Neuorientierungen oder aufgrund familiärer Aufgaben, die nicht in der Rentenversicherung abgebildet werden. Deshalb müssen Zeiten der Aus- und Weiterbildung sowie Erziehungs- und Pflegeleistungen besser anerkannt werden. Denn: Diese Leistungen werden zu einem großen Teil von Frauen erbracht und führen häufig zu geringen Rentenansprüchen. Auch deshalb haben Frauen im Alter ein überdurchschnittliches Armutsrisiko. Wer Altersarmut gezielt bekämpfen will, muss für diese Gruppen einen sozialen Ausgleich in der Rentenversicherung organisieren.

Anerkennung unbezahlter Arbeit

III. Sozialer Ausgleich und eine sichere untere Grenze in der Alterssicherung sind daher nötig. Das bedeutet vor allem:

In der gesetzlichen Rente müssen langjährige Beitrags-, Erziehungs- und Pflegezeiten besser honoriert werden. Bis 1992 wurden durch die Rente mit Mindestentgeltpunkten niedrige Monatslöhne aufgewertet. Es ist nötig, Modelle zu entwickeln, die einerseits Beitragszahlungen grundsätzlich honorieren und dies mit der Anerkennung unbezahlter gesellschaftlicher Arbeit verbinden.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat mit dem Konzept einer Grundrente einen Vorschlag zur Aufwertung der Rentenansprüche für Menschen gemacht, die langjährig beschäftigt waren, gepflegt oder erzogen haben. Dieser Vorschlag ist im Grundsatz zu begrüßen. Denn wer Kinder erzieht oder Angehörige pflegt, erbringt Leistungen für die Gesellschaft, die auch in Form einer eigenen Absicherung im Alter berücksichtigt werden müssen.

Pflege und Erziehung sollen beim Erwerb der Rentenanwartschaften besser gewürdigt werden. Systematische Benachteiligungen beim Familienlastenausgleich, wie sie insbesondere Alleinerziehende, getrennt Erziehende und Familien mit mehr als drei Kindern treffen, setzen sich in der Rente fort. Darum müssen bedarfsgerechte Förderinstrumente geschaffen werden, die auch den Erwerb ausreichender Rentenanwartschaften stärken.

Für Zeiten des SGB-II-Bezugs werden seit 2011 keine Beiträge mehr zur Gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. Altersarmut ist damit für viele in dieser Gruppe vorprogrammiert. Auch Menschen im SGB-II-Bezug müssen angemessen in die Alterssicherung einbezogen werden. Eine Zwangsverrentung von SGB-II-Leistungsberechtigten darf es nicht geben. Die entsprechenden Regeln sind abzuschaffen.

Kein Geld für private Altersvorsorge

Wer Rentenbeiträge in die gesetzliche Rente, in eine private oder eine betriebliche Altersvorsorge gezahlt hat, muss davon auch dann etwas haben, wenn er oder sie Leistungen der Grundsicherung benötigt. Zwar gibt es neuerdings Freibeträge für die Erträge aus privater oder betrieblicher Vorsorge. Gerade diese erreichen aber Personen am Existenzminimum nicht hinreichend. Denn Menschen mit geringen Einkommen haben aber häufig nicht die notwendigen Ressourcen zusätzlich in private Altersvorsorge zu investieren. Vielfach verfügen sie auch über keine betriebliche Altersvorsorge. Eine Ungleichbehandlung der gesetzlichen Rente gegenüber privater Vorsorge darf es nicht geben. Darum muss es auch auf Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rente dieselben Freibeträge geben wie für private oder betriebliche Formen der Alterssicherung.

Gleichzeitig müssen auch Anreize gesetzt werden, volle Beiträge zu zahlen und nicht etwa durch Sachverhalte wie Opt-Out-Modelle bei Minijobs Beitragszahlungen zu vermeiden.

IV. Ergänzend ist es nötig, den Kreis von Beitragszahlenden zu erweitern. Im Umlagemodell zahlen die heutigen Beitragszahler/innen für die heutigen Rentner/innen. Ein solidarisches und dauerhaft tragfähiges System der Alterssicherung kann nur funktionieren, wenn möglichst alle Erwerbstätigen beitragen. Die gesetzliche Rentenversicherung muss deshalb weiterentwickelt werden zu einer Erwerbstätigenversicherung.

Prekäre Selbstständige

Kurzfristig sind Selbstständige in der Rentenversicherung abzusichern. Selbstständige sind größtenteils nicht verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Das ist aus mehreren Gründen von Nachteil. Insbesondere prekäre Selbstständige leben in Angst vor Altersarmut. Sie würden von einer Einbeziehung in die gesetzliche Rente profitieren, die ihrer spezifischen Einkommenssituation Rechnung trägt. Auf der anderen Seite tragen die Selbstständigen zur Stabilisierung des Rentensystems bei. Zudem führt die Digitalisierung und Hybridisierung der Arbeitswelt zu einem vermehrten Wechsel zwischen versicherungspflichtigen und versicherungsfreien Zeiten im Lebenslauf. Damit ist der Aufbau einer hinreichenden (gesetzlichen) Altersvorsorge für diese Personen in besonderem Maße gefährdet.

Perspektivisch sind auch diejenigen in die Gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, die derzeit in Sondersystemen abgesichert sind (Politiker, Beamte, Freie Berufe). Die Pflicht zur Beitragszahlung in der gesetzlichen Rentenversicherung sollte für jede Erwerbstätigkeit gelten, die Altersvorsorgepflicht sollte von der Art der Erwerbstätigkeit abgekoppelt werden. Die generelle Einbeziehung aller Erwerbseinkommen in die Sozialversicherungspflicht ist dringende Herausforderung für die Sozialpolitik.

V. Zudem muss klar sein: Wer nicht weiterarbeiten kann, muss sich ebenfalls auf die Rente verlassen können. Abschläge in der Erwerbsminderungsrente führen in sehr vielen Fällen zu Armut. Trotz der jüngsten Leistungsverbesserungen besteht weiterer Handlungsbedarf. Erwerbsminderung ist ein Schicksal. Abschläge sind daher unangebracht. Die durch Abschläge bewirkte Kürzung bei den Erwerbsminderungsrenten stellt zudem eine erhebliche Belastung dar. Die nak hält die Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten für verfehlt und fordert ihre Abschaffung - für Neuzugänge in die Erwerbsminderung als auch für Bestandsrentner/innen.

Altfälle in der Erwerbsminderungsrente

Problematisch ist auch, dass die mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz umgesetzte Anhebung der Zurechnungszeiten nur Neuzugängen in die Erwerbsminderung zugutekommt. Dies hat zur Folge, dass sozialpolitisch die Kohorten schlechter gestellt werden, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes gezwungen waren, vor dieser Reform die Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Zurechnungszeiten sollten auch für die Altfälle in der Erwerbsminderungsrente entsprechend angehoben werden.

VI. Das Renteneintrittsalter steigt bis 2031 auf 67 Jahre an. Für viele Beschäftigte ist diese Vorstellung unrealistisch. Wer nicht so lange arbeiten kann und früher in den Ruhestand wechseln muss, erfährt höhere Abschläge und damit geringere Renten. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters ist daher abzulehnen. Die Nationale Armutskonferenz setzt sich für einen flexibel ausgestalteten, nach einer längeren Beschäftigung auch früheren Renteneintritt für körperlich und mental belastende Berufe und Tätigkeiten ein.

VII. Bisher sollen die Beschäftigten durch zusätzliche betriebliche und private Altersvorsorge das sinkende Rentenniveau ausgleichen. Der Ausgleich durch eigene Vorsorge läuft insbesondere bei unteren Einkommensgruppen ins Leere. Denn: wer kein ausreichendes Geld zum Leben hat, kann auch nicht privat oder betrieblich fürs Alter vorsorgen. Das sogenannte. „Drei-Säulen-Modell“ der Alterssicherung funktioniert für diese Gruppe nicht. Dem Wunsch nach sicherer Vorsorge kann die gesetzliche Rentenversicherung besser entsprechen, sofern sie den Lebensstandard wieder sichert und den sozialen Ausgleich organisiert. Ergänzend kann es sinnvoll sein, auch zusätzliche Beitragszahlungen in der gesetzlichen Rente in größerem Umfang als heute zu ermöglichen. Die Möglichkeiten hierzu sollten über die bestehenden Regelungen erweitert werden.

Beitragsbemessungsgrenze anheben

VIII. Für eine ausreichende und soziale ausgleichende Rente wird die Gesellschaft angesichts der demografischen Verschiebung künftig mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. Dies ist - soll die Sicherungsfunktion nicht beschädigt werden - unvermeidlich. Wichtig ist daher, dass die Finanzierung sozial gerecht erfolgt. Besser Verdienende dürfen sich nicht der gesellschaftlichen Solidarität entziehen. Wer wohlhabend ist, lebt länger und bezieht länger Rente. Daher ist es gerechtfertigt, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben Maßnahmen des sozialen Ausgleichs (aktuell insbesondere: "Mütterrente", "versicherungsfremde Leistungen") sind über das Steuersystem zu finanzieren.

IX. Von einer starken und zuverlässigen Alterssicherung profitieren die Arbeitnehmer/innen und insgesamt breite Bevölkerungsschichten. Ziel der Alterssicherung war und muss sein, den Lebensstandard im Alter und bei Erwerbsminderung halten zu können. Dies ist gleichermaßen ein Versprechen der strukturellen Armutsfestigkeit.

Viele Menschen, die sich auf dieses Versprechen verlassen haben, sind durch die Reformen und laufenden Leistungskürzungen verunsichert. Es ist an der Zeit, ihnen durch die genannten Reformen wieder Sicherheit und Zuversicht zu geben, wenn sie an die Rente denken und älter werden.

X. Auch bei einer reformierten Rentenversicherung werden ältere Menschen auf die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen sein, um ihr menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Diese Aufgabe leistet die Grundsicherung in ihrer aktuellen Verfassung nur mangelhaft. Die Leistungen müssen daher auf ein bedarfsdeckendes Niveau angehoben werden. Darüber hinaus muss durch geeignete Verfahren sichergestellt werden, dass die Leistungen die Berechtigten erreichen."