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Kommission fordert mehr Therapieplätze für Missbrauchsopfer




Demonstration für besseren Kinderschutz
epd-bild/Rolf Zöllner
Sexuelle Gewalt gegen Kinder geschieht täglich. Nach dem Missbrauchsskandal von Staufen hatte die baden-württembergische Landesregierung eine Kommission Kinderschutz eingesetzt. Die schlägt jetzt Schulungen für Familienrichter vor.

Für minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs in Baden-Württemberg sollten mehr Therapieplätze und Kindertraumaambulanzen eingerichtet werden. Das empfiehlt die Kommission Kinderschutz des Landes, die am 17. Februar in Stuttgart ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Außerdem fordert die Kommission, Familienrichter umfassend fortzubilden und alle ermittelnde Personen in "entwicklungsgerechter Gesprächsführung mit Kindern" zu trainieren.

Die Expertengruppe weist zudem darauf hin, dass Mütter als mögliche Täterinnen stärker in Betracht gezogen werden müssen. Hintergrund ist der Fall eines Jungen in Staufen bei Freiburg, der von seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten sexuell missbraucht sowie an andere Männer verkauft worden war. Die 2017 entdeckten Straftaten waren Anlass, die von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) geleitete Kommission Kinderschutz ins Leben zu rufen.

"Mütter können Täterinnen sein"

Laut Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor an der Universitätsklinik Ulm, werden 10 bis 20 Prozent der Fälle sexualisierter Gewalt von Müttern begangen. Leibliche Mütter seien sogar häufiger an diesen Straftaten beteiligt als leibliche Väter. "Wir müssen es in die Köpfe bekommen, dass Mütter Täterinnen sein können", betonte Fegert.

Der Mediziner wies darauf hin, dass Skandalfälle wie Staufen das Thema ins öffentliche Bewusstsein brächten. Es gehe bei diesem Problem aber um den alltäglichen Missbrauch. "Die Dimension, wie viele Kinder betroffen sind, das ist der eigentliche Skandal", sagte er.

Einig sind sich die Fachleute, dass selbst kleine Kinder bei Missbrauchsverdacht von den zuständigen Stellen angehört werden müssen. Fegert forderte eine Begründungspflicht, wenn Gerichte auf eine Anhörung verzichten. Auch Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut, hält es für notwendig, Kindern eine Stimme zu geben. Die Fragenden müssten dazu geschult werden.

Blick in Abgründe

Der Abschlussbericht mahnt eine bessere Kooperation der zuständigen Stellen an. Der Staufener Fall habe gezeigt, dass Polizei, Jugendämter und Familiengerichte wichtige Informationen nicht erhalten hätten. Wer dem Jugendamt einen Hinweis auf möglichen Missbrauch gibt, soll der Kommission zufolge künftig eine Empfangsbestätigung bekommen.

Die Vizepräsidentin des Bayerischen Landeskriminalamts, Petra Sandles, sprach sich für gelockerte Datenschutzvorschriften aus, wenn es um den Kinderschutz geht. Auch brauche es ein Wohnungsbetretungsrecht für Polizisten, um bereits überführte Täter besser kontrollieren zu können. Die Online-Durchsuchung von Computern hält Sandles für sinnvoll, sie sei aber technisch nicht leicht umzusetzen. Im Missbrauchsfall von Staufen hätte so eine Durchsuchung nichts gebracht, meinte sie.

Sozialminister Lucha warnte davor, sexualisierte Gewalt gegen Kinder als Nebenthema zu betrachten. Er habe eine Ermittlungsgruppe Kinderpornografie besucht, bei dem dort gesammelten Material blicke man in Abgründe. "Und das ist in der Mitte der Gesellschaft", sagte Lucha.

Der Minister sieht in dem Abschlussbericht einen "klaren Wegweiser hin zu mehr Aufmerksamkeit, mehr Kooperation und mehr Kinderschutz". Die Aufgabe, Kinder besser zu schützen, sei allerdings nur durch die Gesellschaft als Ganzes zu bewältigen, schreibt er im Vorwort.

Marcus Mockler