sozial-Politik

Corona-Krise

Ein Virus in Gebärdensprache




Die Frau an Wielers Seite: Bernadette Zwiener
epd-bild/Christian Ditsch
Die Pandemie mit Gesten und Gebärden erklärt - Bernadette Zwiener übersetzt Informationen zur Corona-Krise simultan während der wichtigsten deutschen Pressekonferenzen zu dem Thema.

Wenn der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, seine Statistiken zur Corona-Pandemie vorträgt, steht bei der Pressekonferenz schräg hinter ihm eine Gebärdensprachdolmetscherin und übersetzt simultan. Bernadette Zwiener ist staatlich geprüfte Übersetzerin. Seit drei Wochen sieht man sie in dunkler Kleidung am Bildrand, wo sie das Gesagte für Gehörlose verständlich macht. Davor war ein solcher Anblick während der wichtigsten Nachrichten in Deutschland selten. Allmählich wird er zur Normalität. Denn mehrere Institutionen haben nachgezogen: Simultanübersetzungen in Gebärdensprache gibt es inzwischen etwa bei Ansprachen der Kanzlerin oder bei den regelmäßigen Regierungspressekonferenzen.

Sprache mit eigener Struktur

Aber warum Gebärdensprache? Reichen Untertitel nicht aus, mögen sich all jene fragen, die keine tauben Menschen kennen. "Texte in deutscher Schrift sind immer eine Fremdsprache für Gehörlose", sagt Bernadette Zwiener. Denn Gebärdensprache ist von der Struktur her ganz anders: Sie ist dreidimensional und hat eine andere Grammatik. So wird das Virus zum Beispiel in der Deutschen Gebärdensprache mit eingeknickten Fingern dargestellt - eine Geste, die an in die Luft gezeichnete Anführungszeichen denken lässt. Das neuartige Coronavirus, das der Lunge gefährlich wird, kann mit den Händen auf der Lunge dargestellt werden. Eine andere Gebärde dafür ist die Faust über der die gespreizte Hand gedreht wird, was wiederum an die Mikroskopbilder des Erregers erinnert.

Dolmetscherin Zwiener arbeitet selbstständig, und man könnte vermuten, dass sie sich im Moment vor Aufträgen kaum retten kann. Doch der Eindruck, der entsteht, weil ihre Auftritte in den verschiedensten Medien wiederholt werden, trüge, sagt sie. Er spiegele nicht das tatsächliche aktuelle Arbeitspensum wieder. Tatsächlich brechen ihr wegen der Pandemie zahlreiche Aufträge weg: Termine beim Arzt, in Firmen, Schulen, Museen oder bei Konferenzen.

Zwiener bereitet sich auf jeden Einsatz tagesaktuell vor. Sie selbst ist weder taub noch mit Gebärdensprachen groß geworden. "Man kann ein Leben lang in diesem Beruf tagtäglich etwas Neues lernen, es wird nie langweilig", sagt sie. Neben der Arbeit für das Robert Koch-Institut ist Zwiener auch im Haus der Bundespressekonferenz im Einsatz, zum Beispiel wenn Sprecherinnen und Sprecher der Bundesregierung den Hauptstadtjournalisten Rede und Antwort stehen. Sie recherchiert vor ihren Auftritten in speziellen Lexika und schlägt Übersetzungsansätze für aktuelle Themen in Video-Gebärdensammlungen nach. Vor allem Videos von tauben Gebärdensprachdolmetschern - Muttersprachlern also - helfen Zwiener weiter. Und gibt es für ein Wort einmal keine Gebärde, buchstabiert sie.

Längst überfällig

Ihre Arbeit wird geschätzt. Viele Menschen schreiben ihr, dass es längst überfällig sei, dass Gebärdensprachübersetzungen angeboten würden. "Ich glaube, eine solche Resonanz hätte es vor einigen Jahren nicht gegeben", sagt Zwiener. "Die Inklusionsarbeit trägt Früchte." Etwa 80.000 Gehörlose leben nach Angaben des Deutschen Gehörlosen-Bundes in der Bundesrepublik. Doch gibt es für sie immer noch zu wenige Lehrkräfte, die überhaupt Gebärdensprache können, wie der Geschäftsführer der Berliner Gebärdensprachschule Yomma, Benedikt Sequeira Gerardo, sagt. Gehörlose würden im Bildungsbereich diskriminiert und wiesen deshalb oftmals ein hohes Bildungsdefizit auf.

Die Übersetzung aktueller Ansprachen und Pressekonferenzen in Gebärdensprache ist Teil der derzeitigen Ausnahmesituation und kein Garant dafür, dass es künftig so bleibt. Bernadette Zwiener sagt: "Im Moment gilt ein anderer Kosten-Nutzen-Faktor: Jetzt, wo es auf jede einzelne Person ankommt, weil alle Krankheitsüberträger sein können, muss auch jede einzelne Person informiert werden."

Gebärdensprache ist immerhin sichtbarer geworden. In den Niederlanden verbreitete sich in sozialen Medien jüngst ein Video sogar tausendfach. Es zeigt eine Gebärdensprachdolmetscherin, die das Wort "Hamstern" übersetzt: Mit verbissenem Blick schaufelt sie mit beiden Händen die imaginäre Ware zu sich hin.

Mey Dudin