sozial-Politik

Corona-Krise

Depressiv in der Quarantäne-Gesellschaft



Die Corona-Krise und ihre sozialen Begleiterscheinungen treibt viele Menschen an ihre psychische Belastungsgrenze: Für Menschen mit Depressionen und auch anderen psychischen Erkrankungen ist sie brandgefährlich.

Sie liegt voller Selbstverachtung im Bett. Eine Userin schreibt ins Online-Diskussionsforum Depression, sie sei angestrengt. "Obwohl ich seit Corona so gut wie nichts mehr mache." Der Hass auf sich und ihre mangelnde Leistungsfähigkeit bestimme nun im Homeoffice ihr Leben. Eine verzweifelte Nachricht, auf die sie viele Antworten bekommt - von Menschen, die ihr das nachfühlen können.

Corona treibt derzeit viele an ihre Belastungsgrenze. Für psychisch Erkrankte ist die Quarantäne-Situation jedoch besonders gefährlich, sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Insbesondere Menschen mit depressiven Erkrankungen seien gefährdet. "Die aktuelle Situation verstärkt die Tendenz zum sozialen Rückzug", sagt der Stuttgarter Psychotherapeut. "Isoliert kreisen die Gedanken - im schlimmsten Fall auch um Suizid."

Verlust der Tagesstruktur

Wenn der Arbeitsplatz wegbricht oder wie bei der Forenschreiberin ins Homeoffice wandert, gehe neben sozialer Kontrolle durch Kollegen auch die für Erkrankte so wichtige Tagesstruktur verloren. Alltägliche Abläufe wie Aufstehen, Bewegung, regelmäßiges Essen fallen schwerer: Das kann Depressionen verstärken. Auch die Gruppe der Angstpatienten macht Munz Sorgen. "In einer Situation, wo überall ein gefährliches Virus befürchtet werden muss, können sich Ängste verstärken", sagt der Therapeut.

Rund vier Millionen Versicherte werden in Deutschland pro Quartal bei niedergelassenen Medizinern wegen psychischer Krankheiten behandelt. Kliniken und Ambulanzen haben jährlich 3,5 Millionen Patienten, weisen die Zahlen der Fachgesellschaft DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) aus.

Psychisch Erkrankte können sich auch während der Corona-Epidemie weiter an Psychotherapeuten wenden, betont Munz. Es sei auch weiter möglich, sich zum persönlichen Gespräch in der Praxis zu treffen, wenn keine Ansteckung drohe. Therapie werde aber nun verstärkt über Videositzungen angeboten. "Die Regelungen wurden zum Glück der Krise angepasst." Vor Corona durften nur 20 Prozent der Behandlungen digital sein - und Erstgespräche grundsätzlich gar nicht.

Digitale Psychotherapie

"Es brechen aber Angebote weg", sagt Hanne Horvath, Mitgründerin von "HelloBetter", einem Anbieter digitaler psychologischer Trainings. "Nicht alle Therapeuten können und machen digitale Therapie", sagt sie. Diese müsse auch anders umgesetzt werden, weil die Wahrnehmung zwischen Patient und Arzt stärker eingeschränkt ist. "Das Fachwissen dazu hat man nicht einfach so", sagt die Hamburger Psychologin.

Auch das Wissen von Notfallpsychologen sei jetzt gefragt. Denn: "Die Corona-Krise löst starke akute Krisen bei Menschen aus", beobachtet sie. Mehr als zehntausend Menschen nutzen schon die Corona-Video-Sprechstunde, die "HelloBetter" anbietet. "Der Leidensdruck der Menschen ist gefühlt um 500 Prozent höher", sagt Horvath.

Wie Munz erwartet auch Horvath einen starken Anstieg des Behandlungsbedarfs - sowohl von bereits Erkrankten, als auch von Menschen, die jetzt starken Stress durch Jobverlust und beengte Wohnsituationen erleben. Auch bei Berufen im medizinischen Bereich entstünden gerade hohe Belastungen. "Mit den Folgen haben wir sicher noch länger zu tun", sagt Munz.

Viele Verbände haben ihre telefonischen und Online-Angebote erweitert. "Der Bedarf ist riesig", sagt Karl-Heinz Möhring vom Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Der Corona-Stress löse Krankheitsschübe aus, Stützen durch Tagescafés oder Selbsthilfetreffen fielen weg. "Auch für Angehörige ist das extrem" sagt der 79-jährige Münchner, der selbst in Sorge um seine akut erkrankte Frau ist. Er kann sie wegen des Besuchsverbots nicht in der Klinik besuchen und wegen ihrer Hörbehinderung auch kaum sprechen.

Von Miriam Bunjes


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Unterstützung für psychisch Kranke: telefonisch und online

Menschen in seelischen Krisen können an vielen Stellen telefonische Beratung und Unterstützung bekommen. Viele Verbände haben während der Corona-Pandemie ihre Hotline-Zeiten erweitert und bieten Online-Foren und Beratung an. Die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung geht auch in Corona-Zeiten weiter, man setze sich mit allen Mitteln dafür ein "unter den aktuell eingeschränkten Bedingungen die optimale Behandlung der Patienten mit dem vorhandenen Personal aufrechtzuhalten", schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Kliniken und Praxen bauen Video- und Telefonsprechstunden sowie Online-Interventionen aus.

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